Transparenzgebot in der Wohngebäudeversicherung

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Intransparent ist eine Klausel, wenn sich ihr Regelungsgehalt überhaupt erst aus der in Bezug genommenen Vorschrift erschließen lässt. Wie sich das Transparenzgebot auf die Obliegenheitspflichten in der Wohngebäudeversicherung auswirkt, erläutert Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski im zweiten Teil unserer Beitragsserie.

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Der Verstoß gegen das Transparenzgebot

In dem Fall, den das LG Schleswig am 26.1.2017 zu entscheiden hatte, ging es um eine Wohngebäudeversicherung für ein Einfamilienhaus. Der Versicherungsnehmer (VN) stellte nach Rückkehr aus einem Urlaub am 31.1.2016 einen Leitungswasserschaden im Erdgeschoss fest. Leitungswasser war aus einem Rücklaufventil hinter der Wasseruhr ausgetreten. Feuchtigkeitsschäden waren in mehreren Räumen des Hauses entstanden.

Der Versicherer akzeptierte die Ersatzpflicht mit einer Quote von 70 Prozent und lehnte die Schadenregulierung im Übrigen, weil der VN die Verpflichtung zur jährlichen Wartung des Rücklaufventils und damit eine Sicherheitsvorschrift verletzt hätte. Der VN wies darauf hin, dass es sich bei der Wartungsvorschrift nur um eine ihn nicht betreffende DIN-Norm gehandelt habe.Das LG Schleswig verurteilte den Versicherer zur Leistung, da die gefahrvorbeugende Obliegenheit intransparent sei.

Intransparent sei eine Klausel dann, wenn sich ihr Regelungsgehalt überhaupt erst aus der in Bezug genommenen Vorschrift erschließen lasse.[12] Das sei der Fall, da die Klausel keinen eigenständigen Regelungsgehalt aufweise, sondern lediglich eine dynamische Verweisung auf andere gesetzliche, behördliche oder vertraglich vereinbarte Sicherheitsvorschriften enthalte. Der Regelungsgehalt und damit die Anforderung an den VN ergebe sich folglich nicht aus der Klausel des Vertrages, sondern einzig und allein aus der in Bezug genommenen Vorschrift.[13]

Darüber hinaus handele es sich bei einer DIN-Norm nicht um eine gesetzliche Vorschrift, sondern um eine schlichte technische Empfehlung, die sich noch dazu an den Installationsbetrieb und nicht den Eigentümer des Hauses wende.

Diesen Erwägungen folgte das OLG Schleswig am 18.5.2017 vollinhaltlich.[14] Das Transparenzgebot verpflichte den Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen nach Treu und Glauben, den Regelungsgehalt einer Klausel möglichst klar und überschaubar darzustellen. Zudem verlange das aus dem Transparenzgebot abgeleitete Bestimmtheitsgebot, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lasse, wie dies nach den Umständen gefordert werden könne.[15]

Die Bezugnahme auf die Einhaltung „aller gesetzlichen, behördlichen sowie vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften“ verstoße folglich gegen das Bestimmtheitserfordernis. Eine lediglich präzisierende Verweisung auf gesetzliche Vorschriften begründe zwar regelmäßig keinen Verstoß gegen das Transparenzgebot.

Intransparent sei eine Klausel aber dann, wenn sich der Regelungsgehalt überhaupt erst aus der in Bezug genommenen Vorschrift erschließe oder die Verweisung auf andere Vorschriften dazu führe, dass die kundenbelastende Wirkung der Klausel unter Berücksichtigung alternativer Gestaltungsmöglichkeiten mehr verschleiert als offengelegt und der Kunde deshalb an der Wahrnehmung seiner Rechte gehindert gewesen sei.[16]

Diesen Überlegungen hat der Vorsitzende der Versicherungskammer beim LG Berlin, Sven Marlow, vollinhaltlich zugestimmt.[17] So habe der BGH am 14.8.2019 eine Schadenminderungsklausel in der Rechtsschutzversicherung für intransparent erklärt.[18] Erweise sich eine Klausel als intransparent, so fehle es an einer vertraglichen Obliegenheit, sodass diese nicht verletzt werden könne.

Es komme somit auch nicht auf die Frage des Verschuldens (§ 28 Abs. 2 VVG) oder des Kausalitätsgegenbeweises (§ 28 Abs. 3 VVG) an. Allerdings, darauf weist Marlow ausdrücklich hin, wurde diese gefahrvorbeugende Obliegenheit in der Vergangenheit, wenn auch ohne Begründung, nicht beanstandet.[19] Die Begründung des LG Flensburg und des LG Schleswig sei aber überzeugend, denn der VN wisse bei einer Norm, die auf alle gesetzlichen oder behördlichen Sicherheitsvorschriften verweise, nicht, was er tun müsse, um diese Obliegenheit zu erfüllen. Dies sei für ihn „ein Buch mit sieben Siegeln“, so auch der frühere Richter am BGH des Versicherungssenats Wendt.[20]

Darüber hinaus, so Marlow, bleibe bei der typischen Klausel auch unklar, ob nach Abschluss des Versicherungsvertrages geänderte und/oder später neu hinzukommende gesetzliche oder behördliche Sicherheitsvorschriften gelten sollen. In diesem Fall würde es sich um eine dynamische Klausel handeln, die vom VN verlangen würde, herauszufinden, ob es neue gesetzliche oder behördliche Sicherheitsvorschriften geben könnte.

Wie der durchschnittliche VN ohne spezifische Rechtskenntnisse dies bewerkstelligen solle, bleibe offen.[21] In diesem Zusammenhang könnte es zum Beispiel fraglich sein, ob man die in den Bundesländern eingeführte „Rauchmelderpflicht“ als „gesetzliche Sicherheitsvorschrift“ einzuordnen hätte.[22]

Demgegenüber vertritt Günther eine völlig entgegensetzte Auffassung.[23] Er verweist auf die schon zitierte Rechtsprechung des BGH vom 13.11.1996.[24] Darüber hinaus gäbe es im Wortlaut identische Klauseln, die der BGH seit Langem akzeptiert habe.[25] Ähnlich habe auch das OLG Oldenburg geurteilt[26] und auch der österreichische OGH.[27] Auch in der Literatur sei die Obliegenheit, wonach der VN alle gesetzlichen, behördlichen und im Versicherungsvertrag vereinbarten Sicherheitsvorschriften zu beachten habe, nicht beanstandet worden.[28]

Die Entscheidung des BGH, auf die das LG Flensburg und später auch das OLG Schleswig verwiesen haben, betreffe eine gänzlich andere Klausel aus dem Bankrecht und sei folglich für den versicherungsrechtlichen Kontext irrelevant.

Richtig sei, so Günther, dass eine Obliegenheit hinreichend bestimmt sein müsse. Der VN müsse wissen, was der Versicherer von ihm fordere. Die Rechtsprechung stelle aber zu Recht keine hohen Anforderungen an die Konkretisierung, da durch AVB möglich sein müsse, das zu fordernde Verhalten abstrakt zu formulieren. Es sei eben unmöglich, jede Situation sprachlich zu erfassen. Umgekehrt wisse der VN oder er könne es zumutbar wissen, dass er bestimmte behördliche oder gesetzliche Vorgaben zu beachten habe, wie zum Beispiel Auflagen der Baugenehmigung, das Verbot des Einbaus brennbarer Stoffe oder Vorgaben in der Landesbauordnung zur Errichtung einer Brandschutzwand.

Gerade wegen der enormen Bandbreite der Sachversicherung wäre das Gegenteil von Transparenz der Fall, wenn der Versicherer in den AVB alle gesetzlichen Sicherheitsvorschriften mitaufnähme, wozu dann, um ein Beispiel zu nennen, die Wiedergabe aller Brandschutzbestimmungen in allen sechzehn Landesbauordnungen gehören würde.

Bei behördlichen Auflagen wäre dies dem Versicherer schon deshalb nicht möglich, da diesem – anders als dem VN – diese zum Teil gar nicht bekannt sein können, zum Beispiel, was Auflagen in der Baugenehmigung oder in BImSch-Genehmigungen angehe. Eine konkrete Regelung der Sicherheitsobliegenheit sei nicht möglich und „die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, bestehe nur im Rahmen des Möglichen“[29].

Würde man aber dem LG Flensburg und dem OLG Schleswig folgen, so bestünde die einzige Möglichkeit darin, diese früher tradierte Sicherheitsobliegenheit komplett aus den AVB herauszunehmen, da eine weitergehende Konkretisierung unmöglich sei. Dies aber würde das Gleichgewicht im Versicherungsvertragsverhältnis aushebeln und jenen VN privilegieren, der sich besonders sorglos verhalte, also zum Beispiel Brandschutzbestimmungen, deren Sinnhaftigkeit auf der Hand liege, nicht beachte.[30]

[12] So auch BGH v. 14.1.2014 – XI ZR 355/12, NJW 2014, 924.

[13] LG Flensburg v. 26.1.2017 – 4 O 177/16, juris Rn. 13.

[14] OLG Schleswig v. 18.5.2017 – 16 U 14/17, BeckRS 2017, 158399

[15] So auch BGH v. 14.1.2014 – XI ZR 355/12, NJW 2014, 924.

[16] So auch BGH v. 14.1.2014 – XI ZR 355/12, juris Rn. 28.
[17] VersR 2019, 1557–1559.
[18] BGH v. 14.8.2019 – IV ZR 279/17, VersR 2019, 1284.
[19] So Wandt in Langheid/Wandt, Müko/VVG, 2. Aufl. 2019, § 28 Rn. 34 m.w.N.; Felsch in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl. 2015 Rn. 14 m.w.N.

[20] Die Rechtsprechung des BGH zum Versicherungsrecht – Rechtsschutzversicherung, r-s 2010, 221, 228 f.

[21] Zu ähnlichen Klauseln, die Leistungsfreiheit nach „Maßgabe des VVG“ regeln, Piontek rts 2019, 512 m.w.N. Anm. zu OLG Saarbrücken v. 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019, 289.

[22] Dazu Staudinger, Rauchwarnmelder und etwaige Leistungskürzungen des Gebäudeversicherers nach dem VVG, ZMR 2015, 179; Marlow in BeckOK/VVG Marlow/Spuhl, 6. Ed., § 28 Rn. 17.1.

[23] juris PR, VersR 1/2018, Anm. 2.
[24] IV ZR 2626/95, VersR 1997, 485 und BGH v. 30.4.2008 – IV ZR 3505, VersR 2008, 961.

[25] BGH v. 9.5.1990 – IV ZR 5189, VersR 1990, 887; BGH v. 20.1.2010 – IV ZR 24/09, VersR 2010, 757.

[26] Vom 25.11.1992 – 2 U 112/92, VersR 1994, 715.
[27] Vom 27.1.1997 – 7 Ob 246/98x, VersR 2000, 522.

[28] Zum Beispiel Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., M I Rn. 18 ff.; Johannsen in: Bruck/Möller, VVG, Sachversicherung, 9. Aufl., AFB, § 8 Rn. 3 ff.; Wandt in Müko VVG, § 28 Rn. 34; Dietz, Wohngebäudeversicherung, 3. Aufl., § 8 VGB Teil B Rn. 4 ff.

[29] So OLG Köln v. 15.8.2017 – 9 U 12/17, I-9 U 12/17, VersR 2017, 1265 m.w.N.

[30] So wie im Fall BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 226/95, VersR 1997, 485

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