Wohngebäudeversicherungen werden immer wieder missbräuchlich in Anspruch genommen. Häufige Ursache für einen (versicherten) Schadensfall ist kein plötzlich auftretendes Ereignis, sondern die unterlassene Instandhaltung der betroffenen Anlagen. Gerade bei älteren Versicherungsverträgen ist es deshalb durchaus attraktiv, die Schadensabwicklung über die Versicherung anzustoßen.
Ein Beitrag von Andreas Griebel Rechtsanwalt Rödl & Partner GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft
Das nehmen die Versicherungsgesellschaften zunehmend oft zum Anlass, bestehende Versicherungsverträge bei Inanspruchnahme anlässlich eines Schadens zu kündigen oder die Versicherung nur zu äußerst unattraktiven Bedingungen fortzusetzen. Da bleibt der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdW) oftmals keine andere Möglichkeit, will sie die Versicherung – was dringend anzuraten ist – aufrechterhalten.
Wenn nun ein wirklicher Schaden in einer großen Eigentümergemeinschaft vorliegt, dieser sich aber nur bei einem Sondereigentümer zeigt und folglich auch nur diesem Sondereigentümer die Leistungen der Versicherung zufließen, stellt sich die Frage, wer die Selbstbeteiligung zu zahlen hat. Hierzu hat sich nun der BGH in seinem Urteil vom 16.09.2022 (V ZR 69/21) geäußert.
Ausgangslage
Die Wohngebäudeversicherung schützt den Eigentümer eines Hauses vor den finanziellen Folgen eines Sachschadens. Versichert ist das gesamte Gebäude einschließlich aller fest eingebauten Gegenstände. In der Regel sind Schäden durch folgende Gefahren abgedeckt: Feuer, Blitzschlag, Explosion oder Implosion, Sturm (ab Windstärke 8) und Hagel, Leitungswasser und Überspannung.
Schäden am Gebäude werden in Wohnungseigentümergemeinschaften häufiger über die bestehende Versicherung abgewickelt als bei einem Einfamilienhaus. Das liegt unter anderem daran, dass die Schäden dort häufig höher als im Einfamilienhaus sind, weil größere Flächen betroffen sind. Man nehme dazu zum Beispiel an, dass in dem zwölften Stock eine Wasser-Strangleitung platzt und das austretende Wasser durch alle zwölf Stockwerke fließt.
Die Versicherungsgesellschaften reagieren bei übermäßiger Inanspruchnahme zunehmend häufig mit genauer Prüfung, ob denn der Schaden tatsächlich plötzlich und unerwartet eintrat oder vielmehr auf eine unterlassene Wartung oder Sanierung der betroffenen schädigenden Anlage zurückzuführen ist.
Das Urteil des BGH
Die Verteilung der nicht von der Versicherung gedeckten Kosten der Schadensbeseitigung und der Selbstbeteiligung beanstandet der BGH nicht, denn die derzeit praktizierte Verteilung des Selbstbehalts auf alle Einheiten nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile ist rechtmäßig.
Der BGH führt aus, dass ein in der Gebäudeversicherung vereinbarter Selbstbehalt wie die Versicherungsprämie selbst nach dem gesetzlichen beziehungsweise vereinbarten Verteilungsschlüssel zu verteilen ist. Bei wertender Betrachtung stellt der von der Versicherungsleistung in Abzug gebrachte Selbstbehalt ebenso wie die Versicherungsprämie einen Teil der Gemeinschaftskosten im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG dar.
Im gleichen Atemzug weist der BGH aber darauf hin, dass es in der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer abweichende Vereinbarungen oder Beschlüsse – auch zukünftige – geben kann. Ohne eine solche Vereinbarung oder einen solchen abweichenden Kostentragungsbeschluss kommt eine abweichende Beurteilung allerdings nur im Einzelfall in Betracht, nämlich wenn ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheine.
Dazu war bislang nichts vorgetragen, sodass der BGH die Entscheidung an das Berufungsgericht zurückgab. Hier ist also zukünftig eine neue „Spielwiese“ für alle beratenden Berufe eröffnet. Gleichzeitig eröffnen sich damit aber folgende Möglichkeiten:
Ausblick für den Verwalter
Der Verwalter hat deshalb zukünftig Sorge dafür zu tragen, dass er zunächst die bestehende Vereinbarungs-/Beschlusslage sichten muss. Gibt es solche Regelungen, bedeutet das, dass er sich streng am Solidaritätsgedanken als Ausgangspunkt orientieren muss.
Stellt der Verwalter fest, dass sich ein einzelner Wohnungseigentümer mit notwendigen Sanierungs- oder Erhaltungsmaßnahmen an den versicherten Anlagen im Verzug befindet, muss der Verwalter die GdW dahin gehend beraten, notfalls gerichtliche Maßnahmen gegen diesen Miteigentümer einzuleiten. Denn sonst droht die Kostenverteilung auf allem, was die Betroffenen selbst zum Anlass nehmen könnten, den Verwalter wegen unterlassener Fürsorge in Anspruch zu nehmen.
Im Falle eines eingetretenen Schadens steht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ein Schadensersatzanspruch gegen den schädigenden Wohnungseigentümer dann zu, wenn er schuldhaft verabsäumt haben sollte, sein in seinem Sondereigentum stehendes Leistungsnetz rechtzeitig zu sanieren. Auch hier muss der Verwalter unmittelbar tätig werden.
Nachdem der BGH abweichende Regelungen für zulässig hält, muss der Verwalter zudem sorgfältig prüfen, ob eine solche Regelung in der von ihm verwalteten Gemeinschaft sinnvoll ist. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das Gebäude aus abtrennbaren Gebäudeteilen besteht, für die Untergemeinschaften gebildet werden können. Dann sind die Kosten quasi „strangweise“ zu verteilen. Solche Beschlüsse hat der Verwalter zu prüfen und der GdW vorzuschlagen.
Jedenfalls aber erspart die Entscheidung des BGH weitere Ermittlungen und quotale Berechnungen, ob und inwieweit Schäden am gemeinschaftlichen Eigentum und/oder Sondereigentum (einer oder mehrerer Einheiten) aufgetreten sind oder nicht, was ein großer Vorteil für die Verwalter ist.
Ausblick für die Wohnungseigentümer
Es genügt an sich ein Mehrheitsbeschluss gemäß § 16 II 2 WEG im Rahmen einer fehlerfreien Ermessensausübung anhand der Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung (§ 18 II WEG), um eine abweichende Kostenverteilung zu erreichen. Das sollten alle betroffenen Wohnungseigentümer beschließen lassen und den Verwalter zur Beschlussfassung anhalten. Denn gibt es eine solche Beschlusslage nicht, gelingt eine abweichende Betrachtung nur im Einzelfall: nämlich dann, wenn es gelingt, eine unbillige Belastung der schadenlosen Beteiligten nachzuweisen.
Das kann dann gegeben sein, wenn das Auftreten der häufigen Leitungswasserschäden in den Wohnungen auf baulichen Unterschieden des Leitungsnetzes beruhen sollte. Zudem sollten die Wohnungseigentümer, die ihre Wohnung vermietet haben, über eine Wohnungshaftpflichtversicherung nachdenken, denn diese deckt auch Schäden am gemeinschaftlichen Eigentum ausgehend von dem Sondereigentum.
Sonderfall Pfusch am Bau
Ein typischer Anwendungsfall ist: Der teilende Eigentümer und Bauträger lässt seine Leistungen mangelhaft ausführen, zum Beispiel, indem Wasserleitungen unfachmännisch verlegt werden. Das führt (nachweislich) immer wieder zu Leitungswasserschäden.
Die Versicherung wird dann nur noch bereit sein, die GdW zu versichern, wenn Sanierungskonzepte erarbeitet werden, die aus Sicht des Versicherers klarstellen, dass die schadhaften Leitungen ausgetauscht werden, um das Schadenseintrittsrisiko zu mindern.
Das löst seinerseits wiederum Tätigkeiten des Verwalters aus, insbesondere im Hinblick auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Bauträger, die die GdW notfalls zunächst zu vergemeinschaftlichen hat. Das ist aber ein in mehrfacher Bedeutung zu verstehendes „eigenes“ Thema …
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