Produktfreigabeverfahren: Auch Versicherungsvermittler betroffen?

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Im Rahmen der IDD erfolgte auch die Einführung des Produktfreigabeverfahrens. Sodann stellte sich die Frage, ob auch Versicherungsvermittler von der Verpflichtung zur Vorhaltung eines entsprechenden Verfahrens betroffen sein können oder ob lediglich Versicherer hierunter fallen.

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Jens Reichow, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Jens Reichow, Rechtsanwalt, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB © Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Das Produktfreigabeverfahren dient dem Verbraucherschutz. Es soll eine Benachteiligung des Kunden verhindern, einen ordnungsgemäßen Umgang mit Interessenkonflikten unterstützen und sicherstellen, dass den Zielen, Interessen und Merkmalen der Kunden gebührend Rechnung getragen wird. Dies soll insbesondere dadurch sichergestellt werden, dass neu konzipierte Versicherungsprodukte dem Bedarf des Zielmarktes, auf dem sie vertrieben werden sollen, entsprechen.

Gesetzliche Grundlage des Produktfreigabeverfahrens

Art. 25 der europäischen Versicherungsrichtlinie (IDD) sieht für Versicherungsunternehmen- und Vermittler die Pflicht vor, ein internes Produktfreigabeverfahren zu unterhalten und laufend zu überprüfen. Gemeint ist hiermit ein internes Verfahren für die Genehmigung jedes einzelnen Versicherungsprodukts oder jede wesentliche Anpassung bestehender Versicherungsprodukte.

Im deutschen Recht setzt der § 23 VAG diese Vorgaben der IDD nahezu wörtlich um. Ergänzend wurde außerdem die „Delegierte Verordnung zu den Aufsichts- und Lenkungsanforderungen (DVO -POG)“ erlassen. Diese sieht detaillierte Vorgaben zum Produktfreigabeverfahren vor und konkretisiert die jeweiligen Vorgaben für das Freigabeverfahren weiter. Deren Inhalt ist sowohl für die Versicherer als auch für Versicherungsvermittler verbindlich.

Auch Versicherungsvermittler betroffen?

Tatbestandlich knüpft der § 23 Abs. 1 a VAG an „Unternehmen, die Versicherungsprodukte zum Verkauf konzipieren“ an. Gemeint sind damit jedenfalls alle Versicherungsunternehmen im Sinne von § 7 Nr. 33 VAG. Es stellt sich jedoch die Frage, ob auch Vermittler erfasst sind.

Dafür ließe sich anführen, dass Abs. 1a lediglich von Unternehmen und nicht spezifisch von Versicherungsunternehmen spricht. Allerdings verwendet das VAG auch an anderer Stelle den Begriff Unternehmen, obwohl Versicherungsunternehmen gemeint sind. Dagegen spricht außerdem auch die Systematik des VAG und die insoweit auf Versicherungsunternehmen begrenzten Befugnisse der BaFin.

Unabhängig jedoch von der Frage, ob Vermittler unmittelbar durch § 23 VAG von der Pflicht zur Unterhaltung von Produktvertriebsvorkehrungen erfasst sind, verpflichtet zumindest die „Delegierte Verordnung zu den Aufsichts- und Lenkungsanforderungen (DVO -POG)“ neben Versicherern auch Vermittler, die Produkte konzipieren, dazu, ein Produktfreigabeverfahren zu installieren. Die Verordnung ist direkt anwendbar, sodass insoweit keine Notwendigkeit besteht im nationalen Verordnungsweg Näheres zu regeln.

Fraglich ist vor dem Hintergrund der lückenhaften Umsetzung des Art. 25 IDD ins nationale Recht jedoch, wer bei produktkonzipierenden Vermittlern für den Genehmigungsprozess verantwortlich ist. Es bleibt aber festzuhalten, dass nicht nur Versicherungsunternehmen, sondern auch Vermittler grundsätzlich verpflichtet sein können ein Produktfreigabeverfahren zu unterhalten.

Anforderungen an Versicherungsvermittler

Bei dem Großteil der Vermittler dürfte eine entsprechende Verpflichtung zur Durchführung eines Produktfreigabeverfahrens regelmäßig ausscheiden, weil die Vermittler im Massengeschäft nicht „produktkonzipierend“ tätig sind.

Der Großteil der Versicherungsprodukte ist durch die Versicherer vorgegeben und der einzelne Vermittler hat kaum Einfluss auf die Gestaltung der Versicherungsbedingungen oder des Produktes insgesamt. Bei Assekuradeuren und Maklern mit Exklusivdeckungskonzepten mag dies aber zum Beispiel anders sein.

Soweit eine entsprechende Verpflichtung jedoch besteht, so flankiert die Pflicht, ein Verfahren für die interne Freigabe zum Vertrieb jedes einzelnen Versicherungsproduktes oder jeder wesentlichen Änderung eines bestehenden Versicherungsproduktes zu unterhalten, zu betreiben und regelmäßig zu überprüfen gewissermaßen die Beratungspflichten aus §§ 6, 61 VVG und die Informationspflichten nach § 7 VVG.

Bei der Pflicht zur Unterhaltung der Produktfreigabevorkehrungen, handelt es sich um aufsichtsrechtliche Vorgaben zur Geschäftsorganisation, welche die Pflichten gegenüber einzelnen Kunden nicht unmittelbar berühren.

Im Rahmen des produktspezifischen Produktfreigabeverfahrens sind dabei folgende Anforderungen zu erfüllen:

  • Es ist ein Zielmarkt für das jeweilige Produkt festzulegen, an dem die Vertriebsstrategie auszurichten ist
  • Regelmäßige Überprüfung der Produkte

Zur Festlegung des Zielmarktes

Der Zielmarkt beschreibt allgemein und abstrakt den Kreis der potenziellen Kunden. Für jedes neue Produkt muss ein Zielmarkt bestimmt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass das Produkt auch dem generalisierten Bedarf der Kunden in demjenigen Zielmarkt entspricht, auf dem es nach der Vertriebsstrategie beworben wird.

Zwar hat das Freigabeverfahren keine unmittelbare Bindungswirkung im Verhältnis zum Kunden, allerdings könnte unter Umständen die nur unzureichende Bestimmung des Zielmarktes im Rahmen vorvertraglicher Beratung nach § 6 VVG mittelbar zu einer Fehlberatung führen.

Pflicht zur regelmäßigen Überprüfung

Bei der Pflicht, alle freigegebenen Versicherungsprodukte regelmäßig zu überprüfen, steht im Vordergrund, das potenzielle Risiko auf dem Zielmarkt zu beobachten. Es geht darum zu ermitteln, ob das Produkt dem Bedarf des festgelegten Zielmarkts weiterhin gerecht wird und die verfolgte Vertriebsstrategie immer noch tauglich erscheint.

Verändern sich Umstände, die wesentlichen Einfluss auf dieses Risiko haben, müssen sowohl die Eignung des Produkts für den Markt als auch die Eignung der Vertriebsstrategie überprüft werden. (Konkretisierung durch Art. 7 DVO-POG. Gem. § 23 Abs. 3 VAG: einmal jährlich.)

Dokumentation

Die von den Versicherungsvermittlern in Bezug auf ihre Produktvertriebsvorkehrungen ergriffenen Maßnahmen müssen hinreichend dokumentiert, zu Prüfungszwecken aufbewahrt und den zuständigen Behörden auf Verlangen zur Verfügung gestellt werden.

Soweit Versicherungsvermittler produktkonzipierend agieren, sollten sie unbedingt eine weiterführende rechtliche Beratung zur Erfüllung ihrer aufsichtsrechtlichen Verpflichtungen in Anspruch nehmen.

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