Fachkräftemangel oder doch nicht? Vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt

Austausch von Würfeln mit Anzugträger-Symbol darauf
© Andrii Yalanskyi – stock.adobe.com

Viele Arbeitnehmer haben es längst gemerkt – manch Arbeitgebende aber noch nicht: Bewerber haben mehr Macht und nutzen diese auch. „Der klassische Arbeitgebermarkt ist Geschichte, Personal muss man heutzutage intensiv suchen und umwerben. Die Rollen haben sich schlicht getauscht, und das ist auch gut so. Nun müssen sich auch die Arbeitgeber strecken, um die besten Fachkräfte zu bekommen und auch halten zu können.

Dirk-Kreuter
Dirk Kreuter, Verkaufstrainer, Speaker, Multi-Unternehmer, Bestseller-Autor © Dirk Kreuter

Ausruhen und glauben, dass Recruiting von selbst funktioniert, das ist eine Sackgasse. Employer Branding bekommt eine immer wichtigere Bedeutung, denn der Kampf um die Fachkräfte tobt längst. Spitz könnte man fragen, ob es überhaupt einen übergreifenden Fachkräftemangel gibt. Branchenspezifisch lässt er sich sicher nicht wegdiskutieren, aber viele Arbeitgeber ruhen sich auch einfach darauf aus. 2022 und 2023 lag die Zahl der offenen Stellen in Deutschland auf einem Rekordhoch. Anfang dieses Jahres gab es einen leichten Rückgang. Trotzdem: Um die 800.000 Stellen sind aktuell unbesetzt. Arbeitnehmer von heute wollen etwas geboten bekommen, sie warten lieber länger auf die passende Stelle, als sich für einen Arbeitgeber zu committen, der nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. Arbeitgeber müssen geeignetes Personal intensiv suchen und sich um die Kandidaten bemühen. HR-Abteilungen entwickeln sich zusehends zu Verkäufern, die ihr Unternehmen, ihre Werte und Benefits den potenziellen Kandidaten näherbringen müssen. Doch was wollen die Bewerber eigentlich?

Im Kern geht es immer um Wertschätzung. Auch Anerkennung, Vertrauen und Atmosphäre sind hier wichtige Stichworte. Talente wollen mit ihrer Individualität vom Arbeitgeber wahrgenommen und geschätzt werden. Dazu gehört auch der Wunsch nach Weiterentwicklung, individueller Förderung der Fähigkeiten, selbstbestimmterem Arbeiten und Teilhabe an Entscheidungen. Daneben haben sich Homeoffice und flexible Arbeitszeitmodelle fast schon zu einer Art Selbstverständlichkeit entwickelt.

Das liebe Geld?

Auch eine gerechte Entlohnung ist eine Form der Wertschätzung. Wer vernünftige Gehälter zahlt, zeigt seinen Mitarbeitenden, dass sie es wert sind. Abseits des Geldes kann man Wertschätzung auch noch anders ausdrücken – sei es mit offener Kommunikation, einem Belohnungssystem oder mit Mitarbeiter-Awards, die Möglichkeiten sind unbegrenzt.

Und genauso individuell: Die Art der Wertschätzung muss zum Mitarbeiter passen und kann auch schlicht Geld sein. Besonders um die Top-Performer zu halten und auch um Talente von Mitbewerbern für das eigene Unternehmen zu gewinnen, ist der monetäre Faktor nicht zu unterschätzen. Ziehen Unternehmen nicht bei der aktuellen Lohnrunde mit, haben sie langfristig das Nachsehen und verlieren ihre besten Kräfte.

In einem gesunden, wachsenden Unternehmen sollte dies eine Selbstverständlichkeit sein. Trotzdem bleibt der Lohn nicht die einzige Stellschraube, eher eine Grundvoraussetzung. Die Vision, der Spirit eines Unternehmens und die Atmosphäre in den Teams sind den heutigen Bewerbern wichtiger denn je.

Benefits zunehmend beliebter und wichtiger

Arbeitnehmer sollten Benefits anbieten, die sonst nur wenige gewähren. Kostenloser Kaffee oder der berühmt-berüchtigte Obstkorb unterscheiden Unternehmen nicht mehr von der Konkurrenz. Außergewöhnlicher sind beispielsweise immer noch die sogenannte Workation, kostenlose Massagen oder ein Babysitter-Service. Gerade die Möglichkeit, mal die Kinder entweder an den Arbeitsplatz mitzubringen oder durch eine Betreuung des Arbeitgebers gut untergebracht zu wissen, erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Das ist nicht nur ein interessanter Aspekt, um Kandidaten vom Unternehmen zu überzeugen, sondern auch eine tolle Möglichkeit, Fehlzeiten aufzufangen. Also insgesamt ein Boost für die Arbeitgebermarke und für die wirtschaftliche Situation des Unternehmens.

Die Marke macht’s

Es ist höchste Zeit, in die Arbeitgebermarke zu investieren. Denn der Arbeitsplatz entwickelt sich zum Produkt, der Arbeitnehmer zum Kunden. Nicht alle HR-Verantwortlichen haben das in Gänze verstanden. Employer Branding gehört daher ganz oben auf die Agenda – damit lassen sich gleichermaßen neue Mitarbeiter werben und bereits bestehende an das Unternehmen binden. Neben einer spitz zugeschnittenen Arbeitgebermarke bringt auch eine Vernetzung mit möglichen Kandidatenzielgruppen so manches Unternehmen bei der Suche nach geeigneten Fachkräften weiter. Individuelle und persönliche Kommunikation ist hier der Schlüssel. Verläuft dann das Recruiting schnell und zielgerichtet, fühlen sich Bewerber wertgeschätzt und lassen sich eher auf eine Stelle ein. Allein der Recruitingprozess hat sich in den letzten Jahren immens weiterentwickelt: Social Recruiting ist das Motto der Stunde. Ads und Funnel auf Instagram, LinkedIn und Co. haben eine hohe Sichtbarkeit und die Schwelle, sich zu bewerben, ist zumindest beim ersten Schritt niedriger. So angeln sich Unternehmen heutzutage ihre Fachkräfte. Für Führungskräfte gibt es kein Vorbeikommen am Headhunter. Qualifizierte Arbeitnehmer wollen gefunden werden. Gleichzeitig schieben immer noch zu viele Unternehmen ihren Personalengpass auf den Fachkräftemangel. Die qualifizierten Kräfte arbeiten eben meist nur in Betrieben, die ihnen mehr Perspektiven bieten.

Über den Autor

Dirk Kreuter ist Verkaufstrainer, Speaker, Multi-Unternehmer, Bestseller-Autor, Co-Autor und Mitherausgeber von über 30 Fachbüchern, DVDs, E-Books, Newslettern und Hörbüchern, die bereits in mehreren Ländern erschienen sind. Seine Biografie „Attacke! Mein Weg zum Erfolg“ erhielt das Prädikat „Spiegel-Bestseller“. In den letzten 32 Jahren hat er DAX-Konzernen sowie kleinen und mittelständischen Unternehmen Millionenumsätze beschert. 2016 änderte er seinen Fokus und konzentriert sich seitdem auf offene Seminare. Zu seiner Zielgruppe gehören engagierte Unternehmer, die durch kontinuierliches Wachstum den nächsten Schritt zu Marktführern machen möchten. Innerhalb von fünf Jahren skalierte er sein Unternehmen von zehn Mitarbeitern und zwei Millionen Euro Jahresumsatz auf mehr als 150 Mitarbeiter und 80 Millionen Euro Auftragsvolumen.

Bild (2): © Dirk Kreuter