Erdfall oder Erdrutsch: Besteht Versicherungsschutz, wenn sich der Boden durch Austrocknung absenkt?

Risse in trockenem Boden
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Das OLG Dresden (OLG Dresden, Urteil vom 26.07.2023 – 1 U 520/23) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob Versicherungsschutz bei einer Bodenabsenkung durch Austrocknung des Bodens besteht.

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Jens Reichow, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Der Versicherungsnehmer schloss eine Gebäudeversicherung ab. Grundlage waren die Allgemeinen Vertragsbedingungen, in der Schäden durch Erdrutsch und Erdfall versichert waren. In den Versicherungsbedingungen ist ein Erdfall als „Einsturz des Erdbodens über natürlichen Hohlräumen, dessen Ursache ausschließlich naturbedingt ist“ und ein Erdrutsch als „ein plötzliches Abrutschen oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen, dessen Ursache ausschließlich naturbedingt ist“ definiert.

Jens Reichow
Jens Reichow, Rechtsanwalt, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB © Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Der Versicherungsnehmer trägt vor, der Boden unter seinem Grundstück habe sich gesenkt und somit Risse an seiner Terrasse verursacht. Darin sieht der Versicherungsnehmer einen Versicherungsfall und macht gegen den Versicherer Ansprüche aus der Wohngebäudeversicherung geltend. Der Versicherungsnehmer behauptet, es habe offensichtlich Hohlräume im Untergrund gegeben, zumal er nach dem Schadensereignis circa 600 kg Harz in den Baugrund einbringen ließ und die Hohlräume mit diesem Harz verfüllt worden wären. Ein Sachverständiger hat die nicht als Schadensursache ausschließen können, hielt aber eine temporäre Austrocknung der Böden für maßgeblich.

Argumentation des Versicherten

Der Versicherungsnehmer trug vor, der Begriff der naturbedingten Absenkung des Erdbodens sei aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers auszulegen und demnach seien auch Schrumpfungen des Bodens durch Austrocknung erfasst. Insbesondere erschließe es sich für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht, dass die Bewegung der Erdmasse eine Mindestgeschwindigkeit aufweisen müsse. Weiterhin könne für das Vorliegen des Versicherungsfalls weder die Größe der Hohlräume entscheidend sein noch, dass das Schadensereignis plötzlich erfolgt. Es ergebe sich aus den Versicherungsbedingungen, dass es nur entscheidend ist, dass der Erdboden über natürliche Hohlräume in Bewegung gerät.

Argumentation des Versicherers

Demgegenüber behauptet der Versicherer, die Witterungsbedingungen, konkret die Austrocknung des Bodens seien eine denkbare Ursache für die eingetretenen Schäden. Das Verschwinden der im Boden enthaltenen Feuchtigkeit habe dazu geführt, dass das Bodenvolumen geschrumpft sei. Falls sich in diesem Zusammenhang überhaupt Hohlräume gebildet hätten, seien sie mikroskopisch klein.

Weiterhin komme es hinsichtlich der Auslegung der Versicherungsbedingungen allein auf den allgemeinen Sprachgebrauch an und nicht auf Fachterminologie. Bereits aus sprachlicher Sicht könne ein Erdfall nicht mit einer Erdsenkung gleichgesetzt werden, insbesondere sei die Plötzlichkeit für einen Erdfall charakteristisch. Des Weiteren führte der Versicherer aus, der Gutachter habe neben einer Austrocknung des Bodens auch die Grundsituation nicht als Ursache für die Rissbildung ausschließen können. Aus diesen Gründen liege kein Versicherungsfall vor.

Auslegung der Versicherungsbedingungen

Zur Klärung des Streites über das Vorliegen eines Versicherungsfalls war seitens des OLG Dresden eine Auslegung der Versicherungsbedingungen vorzunehmen. Hierbei sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Insbesondere komme es auf keine versicherungsrechtlichen Spezialkenntnisse oder Interessen des Versicherungsnehmers an, sondern lediglich der allgemeine Sprachgebrauch sei maßgeblich. Es sei primär der Bedingungswortlaut und zusätzlich der damit verfolgte Sinn und Zweck zu berücksichtigen. Insofern sei zu klären, was aus Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmerunters unter einem „Erdfall“ und einem „Erdrutsch“ zu verstehen ist.

Erdrutsch

Nach den Versicherungsbedingungen ist ein Erdrutsch ein plötzliches Abrutschen oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen, dessen Ursache ausschließlich naturbedingt ist. Offensichtlich liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wenn sich der Boden unter einem Gebäude aufgrund von Austrocknung langsam senkt und dies zu Rissen an einer Terrasse führt. Jedenfalls fehle es an der ausdrücklich erforderten Plötzlichkeit, was auch einem durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer ohne Weiteres auffalle.

Erdfall

Gemäß den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist ein Erdfall ein Einsturz des Erdbodens über natürlichen Hohlräumen, dessen Ursache ausschließlich naturbedingt ist. Vorliegend seien nach Auffassung des OLG Dresden auch diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Bereits unter dem Begriff „Einsturz“ könne ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nicht verstehen, dass sich der Erdboden unter dem Gebäude über einen längeren Zeitraum hinweg absenkt und dies zu Rissen an einem Bauwerk führt. Dem Begriff des Einsturzes ist also ein Element der Plötzlichkeit immanent. Eine Absenkung beschreibe einen gänzlich anderen Sachverhalt.

Natürlicher Hohlraum aufgrund einer Austrocknung des Bodens

Ungeachtet dessen könne es als natürlicher Hohlraum im Boden aufgefasst werden, wenn zuvor feuchter Boden austrocknet. Nach Darstellung des Sachverständigen könne sich der Boden deswegen senken, weil sich anstelle des Wassers zwischen einzelnen Bodenpartikeln unter Umständen Luft befindet. Dies sei allerdings kein „Hohlraum“ im Boden, sondern die völlig normale Zusammensetzung von trockenem Boden. Weiterhin passe das im Auftrag des Versicherungsnehmers in den Boden gepumpte Harz ebenso wie Wasser in einen normalen Boden, ohne dass der Boden dafür Hohlräume im Sinne der Versicherungsvereinbarungen aufweisen müsse.

Beweislast

Der Versicherungsnehmer sei für das Vorliegen des Versicherungsfalls beweisbelastet. Dieser konnte indes nicht beweisen, dass die Risse auf einem versicherten Ereignis beruhen. Ein Versicherungsfall sei jedenfalls nicht anzunehmen, wenn diesbezüglich Zweifel bleiben. Demzufolge entschied das OLG Dresden, dass nach den zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen kein Versicherungsfall vorliegt und gab dem Versicherer damit Recht.

Fazit zum Urteil des OLG Dresden

Das Urteil des OLG Dresden zeigt wieder einmal, dass über das Bestehen oder Nichtbestehen von Versicherungsschutz Nuancen entscheiden können. Lehnt der Versicherer daher eine Leistung ab, so kann es durchaus sinnvoll sein, einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu kontaktieren. Gerne steht hierfür auch die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie u.a. auch unter Wohngebäudeversicherungen.

Bild (2): © Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB