Die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen

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Kommt es zum Eintritt eines Versicherungsfalls, kann es zu Unstimmigkeiten zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer im Hinblick auf die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen kommen. Wie eine entsprechende Auslegung erfolgt, soll im nachfolgenden Artikel dargelegt werden.

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Jens Reichow, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Was sind allgemeine Versicherungsbedingungen?

Jens Reichow
Jens Reichow, Rechtsanwalt, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB © Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind – wie Allgemeine Geschäftsbedingungen im Allgemeinen – vorformulierte Vertragsbestimmungen, die für eine Vielzahl von Verträgen verwendet werden sollen und nicht zur Disposition gestellt werden. Viele vom Versicherer verwendete Vertragsbestimmung fallen daher unter den Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingung und konkret der allgemeinen Versicherungsbedingungen.

Für Einbeziehung und Kontrolle solcher allgemeinen Versicherungsbedingungen hat der Gesetzgeber bestimmte gesetzliche Regelungen geschaffen. Diese finden sich zunächst im Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB und konkret für allgemeine Versicherungsbedingungen in § 7 VVG.

Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen

Versicherer sind die Regelungen bezüglich der Anforderungen an die wirksame Einbeziehung von allgemeinen Versicherungsbedingungen natürlich bekannt. Kommt es zum Eintritt eines Versicherungsfalls, kommt es daher oftmals nicht zum Streit darüber, ob die allgemeinen Versicherungsbedingungen wirksamer Bestandteil des Versicherungsvertrages geworden sind, sondern maßgeblich ist oftmals eher wie die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen zu erfolgen hat. Hintergrund ist, dass allgemeine Versicherungsbedingungen durchaus nicht immer ganz eindeutig sind und es daher zu Unstimmigkeiten zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer kommen kann, wie die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen zu erfolgen hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfolgt die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen nach der Auffassung eines durchschnittlichen und um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers. Dabei wird auf eine verständige Würdigung, aufmerksame Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinneszusammenhangs des durchschnittlichen Versicherungsnehmers abgestellt (BGH, Urteil vom 26.01.2022 – Az.: IV ZR 144/21). Bei der Auslegung ist darauf zu achten, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer keine versicherungsrechtlichen Kenntnisse besitzt (BGH – Urteil vom 26.02.2020 – Az.: IV ZR 235/19).

Wenn die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt…

Kommt die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers zu keinem eindeutigen Ergebnis, kann eine Auslegung nach der sogenannten Unklarheitsregel des § 305c Abs.2 BGB vorgenommen werden. Kommen für eine Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen mehr als eine Variante in Betracht, so ist dann im Zweifel die für den Versicherungsnehmer günstige Auslegungsvariante anzunehmen (siehe dazu auch: Versicherungsschutz bei Betriebsschließung wegen Covid-19? (LG Darmstadt)).

Inhaltskontrolle der allgemeinen Versicherungsbedingungen?

Kommt die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen zu einem eindeutigen Ergebnis und besteht danach kein Versicherungsschutz, so stellt sich anschließend die Frage, ob eine Inhaltskontrolle erfolgen kann (siehe dazu auch: Wirksamkeit einer Heuballen-Kontrollklausel in der Betriebsversicherung (OLG Braunschweig)). Eine Inhaltskontrolle ist jedoch nicht für alle Klauseln der allgemeinen Versicherungsbedingungen möglich. Klauseln der allgemeinen Versicherungsbedingungen, die lediglich eine Leistungsbezeichnung enthalten, können von einer Inhaltskontrolle ausgenommen sein.

Bei der Anwendung der Inhaltskontrolle ist zu klären, ob die Klausel der allgemeinen Versicherungsbedingungen den Versicherungsnehmer entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Bei der Prüfung der Unangemessenheit einer Klausel darf jedoch nicht auf den Einzelfall abgestellt werden. Vielmehr orientiert sich die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen an einer abstrakt-generellen und typisierenden Betrachtung (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2013 – Az.: I ZR 77/12; BGH, Urteil vom 31.05.2012 – Az.: I ZR 73/10). Anderes gilt, wenn es sich bei dem Versicherungsnehmer um einen Verbraucher handelt. In diesem Fall erfolgt eine individualisierende Einordnung, bei der die den Vertrag begleitenden Umstände mitberücksichtigt werden müssen (vgl. § 310 Abs.3 Nr.3 BGB).

Fazit

Kommt es mit dem Versicherer zu Unstimmigkeiten über das Verständnis der allgemeinen Versicherungsbedingungen, muss zunächst eine Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen erfolgen. Dabei ist auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen. Führt dies zu einem mehrdeutigen Ergebnis, ist nach der Unklarheitsregel eine Auslegung zugunsten des Versicherungsnehmers vorzunehmen. Führt auch dies nicht weiter, so kann über eine Inhaltskontrolle zur Unwirksamkeit der allgemeinen Versicherungsbedingungen gekommen werden.

Verweigert der Versicherer die Leistung aus einer Versicherung unter Verweis auf die Regelungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, so kann es sich anbieten die entsprechende Regelung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Anwalt umfassend prüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

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