So effektiv beugt HR-Software Fachkräftemangel vor

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Über 43 Prozent deutscher Unternehmen leiden laut ifo-Konjunkturumfrage im Juli 2023 unter Engpässen an qualifizierten Arbeitskräften. In manchen Sparten wie Ingenieur- oder Architekturbüros, aber auch in Branchen wie Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung fehlen sogar über zwei Dritteln der Unternehmen Fachkräfte.

Im Interview zeigt HR-Experte Dr. Christian Ellrich auf, wie zukunftsfähige Personalentwicklung mit der passenden HR-Software ausgestaltet werden kann

Herr Dr. Ellrich inwiefern kann Personalentwicklung dazu beitragen, die Lage zu stabilisieren?

CE: Im Grunde sehe ich zwei Stellen, um dem Fachkräftemangel durch Personalentwicklung entgegenzuwirken. Einerseits kann sie helfen, die Fluktuationsrate zu senken, indem bestehende Mitarbeitende im Team gehalten werden. Denn schafft es ein Unternehmen, seine kostbaren Fachkräfte an sich zu binden, müssen Stellen nicht nachbesetzt werden – und somit die Suche nach qualifizierten Fachkräften gar nicht erst aufgenommen werden.

Andererseits können durch Personalentwicklung dringend benötigte Qualifikationen intern sichergestellt werden. Dieser Weg wird sicher künftig aufgrund des Fachkräftemangels eine größere Rolle spielen – bringt zugleich aber auch Herausforderungen mit sich. Denn die interne Qualifizierung muss in vielen Organisationen erst aufgesetzt werden.

Wer sich mit Personalentwicklung beschäftigt, stellt sich unweigerlich die Frage, wo fängt sie an, wo hört sie auf. Wofür steht der Begriff Personalentwicklung Ihrer Meinung nach?

CE: Definitorisch lässt sich zwischen individueller und gruppenbezogener Personalentwicklung unterscheiden. Individuell betrachtet, stehen einzelne Mitarbeitende im Fokus: Deren Skills und Entwicklungsbedarf werden dabei basierend auf einem Soll-Ist-Vergleich auf den Prüfstand gestellt. Lücken auf fachlicher Ebene wie hinsichtlich der Softskills werden auf diese Weise sichtbar und können proaktiv gefüllt werden. Voraussetzung hierfür ist natürlich, die Anforderungen des Soll-Zustandes auch klar zu definieren – ein Punkt, an dem es häufig noch Nachholbedarf gibt.

Gruppenorientierte Personalentwicklung bezieht sich wiederum auf Basis-Skills, die für alle Mitarbeitenden relevant sind. Dazu gehören Excel-Kenntnisse genauso wie spezifische Fähigkeiten für Führungskräfte, die beispielsweise durch explizite Assessments aufgebaut werden, um ein einheitliches Verständnis von Führung im Unternehmen zu etablieren.

Für beide Bereiche der Personalentwicklung, individuell wie gruppenbezogen, ist neben dem Feststellen des Schulungsbedarfs zudem das Thema Seminarmanagement äußerst relevant. Denn die Qualifizierung und Weiterentwicklung der Belegschaft muss organisiert und koordiniert, Wissen vermittelt sowie der Erfolg dieses Wissenstransfers kontrolliert werden.

Besucht ein Teammitglied etwa ein Seminar, ist es immens wichtig, auch nachvollziehen zu können, inwiefern er oder sie die Inhalte behalten hat, und in der Lage ist, sie anzuwenden. Nur wenn Weiterbildung keine Black Box ist, kann ihre Qualität sichergestellt werden – oder bei ausbleibendem Erfolg auch einmal Anbieter oder Tools gewechselt werden.

Wie können Unternehmen Ihrer Meinung nach von Personalentwicklung profitieren – was sind die drei größten Vorteile?

CE: Personalentwicklung birgt das Potential, die Retention, will heißen, die Bindung von Mitarbeitenden an ihren Arbeitgeber, deutlich zu erhöhen. Viele Studien zeigen bereits: Das Gehalt spielt eine immer geringere Rolle. Für viele Menschen wird zunehmend wichtiger, wie sie sich innerhalb eines Unternehmens entwickeln können und wie wohl sie sich dort fühlen.

Dazu gehört auch das Empfinden, an den eigenen Aufgaben wachsen zu können, ohne überfordert zu sein. Ein Punkt, an dem Personalentwicklung wunderbar ansetzen kann. Ein weiterer großer Benefit aus Unternehmensperspektive: Positionen altersbedingt ausscheidender Mitarbeitenden können durch strategische Personalplanung aus eigenen Reihen nachbesetzt werden. Das ist in der Regel nicht nur sehr viel günstiger als die Arbeit mit Headhuntern oder anderen Recruiting-Maßnahmen, sondern meist auch passgenauer.

Setzen Unternehmen auf zum Teil sogar mit externen Partnern aufwendig erstellte Grundsatzprogramme, beispielsweise zu der Frage, wie sie Führung definieren, kommt ein dritter großer Benefit von Personalentwicklung zum Tragen. Sie verhindert schlicht den kommunikativen One-Shot, weil sie durch kontinuierliche Schulung und interne Weiterentwicklung eines Themas dafür sorgen kann, die Unternehmenskultur tatsächlich nachhaltig zu verändern. Ohne diese Dinge droht die Wirkkraft eines solchen Programms zu verpuffen.  

Wenn wir bei aufwendigen Grundsatzprogrammen sind: Betrachten Sie den Themenkomplex Personalentwicklung als schwerpunktmäßig relevant für große Unternehmen – und welche Bedeutung hat er für mittlere und kleinere Betriebe?

CE: Keine Frage: Ab einer gewissen Größe, lassen Sie es 2.000 Mitarbeitende sein, führt kein Weg an strategischer Personalentwicklung vorbei, und sollte nahezu überall auch fest etablierter Bestandteil der HR-Arbeit sein. Doch auch für kleinere und mittelständische Unternehmen nimmt die Bedeutung des Themas zu, gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel.

Allerdings stellen wir immer wieder fest: Diese Erkenntnis hat sich noch nicht im großen Maßstab durchgesetzt. Personalentwicklung sollte mehr als nur Seminarmanagement sein – wer diese Chancen auch als kleineres Unternehmen für sich nutzt, profitiert enorm. Nehmen Sie als Beispiel einen Handwerksbetrieb mit etwa 100 Mitarbeitenden: Mit Personalentwicklung kann dieser die Fluktuation geringhalten, indem der Belegschaft Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden.

Abgesehen von der Motivation der jungen Talente, kann das gerade auch für ältere Fachkräfte ein Anreiz sein, eben nicht mit 63 in die Frührente abzutauchen. Denn ihren Erfahrungsschatz im Unternehmen zu halten, etwa indem sie weiterentwickelt und an anderer Stelle im Unternehmen eingesetzt werden, ist für Betriebe sehr wertvoll.

Aus dieser Sichtweise stützt Personalentwicklung fundamental den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Wie kann die richtige Software Ihrer Meinung nach entsprechende HR-Prozesse optimieren?

CE: Software kann in der Personalentwicklung wunderbar unterstützen, Ist-Skills und Soll-Skills zu verwalten, Lücken aufzudecken und zu füllen. Entscheidend sind jedoch die Inhalte, die es im Zuge der Implementierung einzupflegen gilt. Denn die Software allein reicht nicht aus: Es müssen Stellen definiert werden, Mitarbeitende und ihre Fähigkeiten angelegt werden und noch viele weitere Punkte befüllt werden.

Erst dann vereinfacht und automatisiert das Programm die Seminarverwaltung, kann Maßnahmen vorschlagen, um Mitarbeitende zu qualifizieren oder durch digitale Bewertungs- und Kontrollsysteme administrativ unterstützen. Der Input zu Beginn ist entscheidend, um zu wissen, wo die Belegschaft aktuell steht und wo sie hinsoll. Das kann auch sehr aufwändig sein, weshalb viele den Umstieg auf die Personalentwicklungssoftware scheuen.

Unter den softwaregestützten Lösungen für die Personalentwicklung sind besonders sogenannte Learning Management Systeme ein großer Trend. Was genau ist unter einem Learning Management System (LMS) zu verstehen?

CE: Einfach gesagt, hilft ein LMS Mitarbeitenden dabei, zu lernen. Zu diesen Zweck pflegt das Unternehmen Lerninhalte ein und die Software stellt diese als Content-Management-System den Lernenden zur Verfügung. Dabei lassen sich im Team verschiedene Rollen definieren, wer etwa Inhalte generieren, freigeben und wer sie abrufen kann. Dabei ist es möglich, in den Content, egal, ob Video oder Power-Point-Präsentation, bereits Tests zu integrieren, die es als Lernender zu absolvieren gilt.

Hat die Personalentwicklungssoftware beispielsweise eine Person identifiziert, die Fach-Skills auffrischen muss, kann das LMS entsprechende Module vorschlagen – und das Fachwissen im Nachgang auch abfragen, um den Lernerfolg sicherzustellen. Zum Teil wird dabei mit Gamification-Elementen gearbeitet: Die Lernenden müssen Punkte sammeln, um auf das nächste Level zu kommen. Die verschiedenen Lösungen sind mittlerweile sehr ausdifferenziert, es gibt Kombinationen aus Offline-Seminaren und digitalen Assessments – eine großartige Möglichkeit, um Weiterbildung anzubieten, die Lust auf mehr macht.

In einer Veröffentlichung zur Nationalen Weiterbildungsstrategie schreibt das Bundesministeriums für Arbeit und Soziales attraktiven Weiterbildungsangeboten eine immense Bedeutung für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes zu – vor allem, da sich im Zuge der Digitalisierung Berufsbilder und Qualifikationsprofile stark im Wandel befinden. Inwiefern können LMS bei dieser Herausforderung unterstützten?

CE: Durch LMS können Qualifikationen sehr viel schneller vermittelt werden. Basis dafür: Die Standardisierung von Weiterbildungsinhalten. Sie macht es überflüssig, externe Trainer für Fachvorträge einzukaufen. Die Software digitalisiert und bündelt Know-how und ermöglicht gleichzeitig, den Wissensstand durch integrierte Tests auch bei den Mitarbeitern abzufragen. So erhalten Unternehmen ein unglaublich genaues Bild des Qualifikationsprofils ihrer Mitarbeitenden – und können unabhängig von externen Anbietern Qualifikationslücken eigenständig schließen.

Das war bisher ohne Software kaum zu bewerkstelligen. Wie erfolgreich eine LMS dabei unterstützt, hängt wie erwähnt immens von der Qualität der zu Beginn eingepflegten Inhalte ab. Festzulegen, was beispielsweise eine Schweißfachkraft alles wissen muss und anschließend den entsprechenden Content zu generieren, ist natürlich mit hohem Aufwand verbunden.

Sich dabei Support einzukaufen, ist aktuell zwar durchaus möglich, doch das ist eine noch relativ neue Disziplin, die sich sicher noch entwickeln wird. Wer einmal die Einstiegshürde gemeistert hat, profitiert ungemein von Inhalten, die für sämtliche Mitarbeitende genutzt werden können. Das ist ebenso aus Kostenperspektive ein sehr nachhaltiger Ansatz, auch wenn die Inhalte natürlich regelmäßig aktualisiert werden müssen.

Neben LMS, die insbesondere eingesetzt werden, um Lerninhalte zu verwalten und bereitzustellen, gibt es auch ganzheitlichere Softwarelösungen zur Entwicklung von Mitarbeitenden, die über das reine Lernen hinausgehen. Welche Funktionalitäten umfasst eine solche Personalentwicklungs-Software (PE-Software) – und welche Vorteile bringt sie für HR-Prozesse?

CE: Unternehmen, die mit einer PE-Software arbeiten, haben es deutlich leichter, Qualifizierungslücken zu erkennen, zu verwalten und zu schließen. Dazu trägt einerseits das digitalisierte und automatisierte Seminarmanagement bei, andererseits aber natürlich auch die Wirksamkeitskontrolle. Denn wo vorher mühsam in verschiedenen Excel-Tabellen Daten gesammelt und abgeglichen wurden, ermöglicht eine PE-Software einen deutlich effizienteren Informationsfluss.

Klassisches Beispiel: Das Mitarbeitergespräch. Werden hierbei Weiterentwicklungsperspektiven besprochen und handschriftlich auf Papier notiert, gehen sie möglicherweise im Nachgang verloren. Eine PE-Software ermöglicht, Inhalte des Gesprächs digital sicher zu dokumentieren und diese Dokumente durch entsprechende Berechtigungskonzepte auch zeitgleich einem spezifisch ausgewählten Personenkreis zur Verfügung zu stellen.

So gesehen macht die Software die Personalarbeit nicht nur effizienter, sondern auch effektiver, da mit ihrer Hilfe passgenauere Maßnahme für die Weiterentwicklung von Mitarbeitenden zusammengestellt werden können.

Als HR-Softwareberater sind Sie tief drin in der Praxis: Worin unterscheiden sich LMS und Personalentwicklungssoftware am deutlichsten?

CE: Die LMS dient zum Lernen und Vermitteln von Lerninhalten, Testen des Lernerfolges sowie für digitale Assessments. Die PE-Software hingegen unterstützt den kompletten Prozess, zeigt Handlungsbedarf und Perspektiven auf. LMS kann auch ein Teil einer PE-Software sein, die aber im Allgemeinen etwas breiter aufgestellt ist.

Wie spielen die beiden Systeme, LMS und Personalentwicklungssoftware, zusammen und wie sinnvoll ist eine Kombination?

CE: Für Unternehmen im kleinen und mittleren Segment muss im Vorfeld einer Software-Auswahl immer erst der IST-Stand erhoben werden. Wo steht das Unternehmen in Hinblick auf die Digitalisierung von HR-Prozessen, welche Systeme sind bereits im Einsatz?

Wer noch überhaupt keine Software nutzt, ist mit einer integrativen All-in-One-Lösung gut beraten. Diese bietet den Vorteil, sich ausprobieren und munter durch Seminarmanagement, LMS und Co. testen zu können – nach drei bis fünf Jahren kann dann anhand der gesammelten Erfahrungen fundiert entschieden werden, inwiefern Bedarf für spezifischere oder umfangreichere Software besteht.

Ist der Reifegrad der Organisation höher und das vorhandene integrative System stößt an seine Grenzen, muss schon genauer justiert werden, welche Anforderungen für mehr Funktionstiefe bestehen. Dazu ist es auch extrem hilfreich, über den Tellerrand der HR hinauszublicken und andere Fachabteilungen in die Entscheidung einzubeziehen.

Personalentwicklung – gesetzliche Verpflichtung oder Nice-to-have: Inwiefern sind Unternehmen zur Weiterbildung und Schulung von Mitarbeitenden verpflichtet – und wie kann eine Softwarelösung Unternehmen unterstützen, gesetzeskonform zu agieren?

CE: Eine PE-Software unterstützt, die vom Gesetzgeber geforderten Pflichtschulung zu koordinieren – branchenspezifisch gibt es hier große Unterschiede hinsichtlich der Verpflichtungen. Dennoch gilt: Immer dann, wenn ein Gesetz die Weiterbildung von Mitarbeitenden spezifisch erfordert, braucht es einen Nachweis in Form eines Zertifikats. Beispielsweise erinnert das System die Verantwortlichen, wenn beispielsweise eine Brandschutz-Schulung fällig ist und bietet die Option, das Zertifikat elektronisch abzulegen, um es bei einer Prüfung ordnungsgemäß vorweisen zu können.

Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wohin entwickelt sich die Personalentwicklung in den kommenden zehn Jahren, auch in Hinblick auf den Einsatz von Software-Lösungen?

CE: Der Markt zeigt gerade deutlich, wie viel Potenzial in diesem Sektor steckt: Viele Anbieter bauen den Bereich Personalentwicklungs-Software aus, und haben dabei sicher auch den beständig zunehmenden Fachkräftemangel im Blick. Denn dieses Thema treibt alle Unternehmen gleichermaßen um, unabhängig von Größe und Branche.

Gerade Punkte wie Bindung der Mitarbeitenden und interne Qualifizierung mittels LMS werden tendenziell deutlich relevanter. Zwar wird auch die Robotisierung einen Teil des Bedarfs an Fachkräften künftig abdecken können, doch nur bis zu einem gewissen Grad.

Dort, wo automatisierbare Prozesse an ihre Grenzen stoßen, braucht es immer noch Menschen. Und die können unternehmensseitig eben besonders effizient mit PE-Softwarelösungen gemanagt werden. Indizien für diese Annahme stellen etwa die hohen Investitionen der Softwarebetreiber auf diesem Gebiet, das immer umfangreichere Messeangebot sowie die zunehmende Anzahl an Anbietern dar.