Versicherer unterschätzen Cyberrisiken von Firmenkunden

Viele alte Versicherungspolicen decken pauschal ganze Werkhallen oder große Maschinen ab – ohne Berücksichtigung aktueller Risiken durch Cyberangriffe oder digitale Fehlfunktionen. Im Zweifelsfall führt dies dazu, dass Versicherer für Schäden ihrer gewerblichen Kunden aufkommen müssen, die zum Zeitpunkt der Produktkalkulation noch unbekannt waren.

(PDF)
Unprotected computer usurped by hacker cyber security threat conUnprotected computer usurped by hacker cyber security threat conjirsak – stock.adobe.com

Diese Silent Cyber genannte Gefahr hat die Versicherungsbranche zwar als relevantes Thema erkannt, mehr als die Hälfte der Unternehmen bewerten diese Risiken jedoch bisher nicht systematisch. Das sind Ergebnisse der aktuellen «ti&m-Trendstudie Versicherungen 2022», die der Digitalisierungs- und Innovationsexperte ti&m zusammen mit den Versicherungsforen Leipzig erarbeitet hat. Dr. Holger Rommel, Head Research & Digital Transformation bei ti&m erklärt, dass viele Versicherer mit ihrem bestehenden Produktportfolio und den derzeit laufenden Policen unbewusst einem hohen Risiko ausgesetzt seien:

Sie laufen Gefahr, für Schäden zahlen zu müssen, die sie ursprünglich für das Produkt nicht kalkuliert hatten. Denn zum Zeitpunkt der Produktkonzeption gab es diese Risiken noch nicht.

Rommel rät Versicherungsunternehmen, mögliche Risiken einer nicht mehr zeitgemäßen Deckung zu identifizieren und rasch gegenzusteuern, da der zunehmende Einsatz vernetzter Geräte genauso wie die Integration von KI-Funktionalitäten die Gefahr von sehr teuren Extremereignissen berge.

Silent Cyber birgt die Gefahr eines digitalen Domino-Effekts

In der Versicherungswirtschaft werden die nicht in die Prämie mit einkalkulierten Cyberrisiken Silent Cyber genannt. Diese Exponierung in Sach- und Haftpflichtportfolios wird durch eine zunehmend vernetzte Wirtschaft weiter verschärft. Branchenexperte Rommel:

Ein Schadenfall bleibt häufig nicht mehr auf ein einzelnes Ereignis beschränkt. Stattdessen werden mehrere deckungspflichtige Folgeschäden angestoßen, es ist eine Art digitaler Domino-Effekt. Das kumulierte Risiko steigt beträchtlich an.

Während bei 10 Prozent der befragten Studienteilnehmer Silent-Cyber-Risiken noch gar kein Thema sind, haben 43 Prozent die Gefahr zumindest auf dem Radar, analysieren und bewerten die Risiken aber noch nicht systematisch. 30 Prozent der Versicherungsunternehmen sind hier schon einen Schritt weiter, die Risiken werden analysiert und Verantwortlichkeiten und Maßnahmen definiert.

Nur bei 17 Prozent ist die Bewertung von Silent-Cyber-Risiken bereits tief in die Underwriting-, Risikomanagement- und Produktmanagementprozesse integriert. Diejenigen, die bereits eine Risikoanalyse und -bewertung durchführen, machen dies überwiegend durch eine Analyse der Bedingungswerke und arbeiten auch eng mit ihrem Rückversicherer zusammen.

Milliarden-Schäden durch Malware

Wie gravierend die Folgen von Cyberangriffen sein können, haben Malware-Angriffe wie WannaCry und Petya/NotPetya im Jahr 2017 gezeigt. Innerhalb kürzester Zeit wurden Millionen Rechner und Maschinen weltweit infiziert. Produktionsanlagen kamen zum Erliegen, Containerterminals standen still. ti&m-Experte Rommel berichtet, dass Analysen zufolge ein wirtschaftlicher Schaden in Höhe von 3,3 Milliarden US-Dollar entstanden sei, davon seien rund 90 Prozent in die Kategorie Silent Cyber einzustufen. Diese beiden Malware-Angriffe zeigten exemplarisch auf, wie exponiert viele konventionelle Versicherungsverträge gegenüber Cyberrisiken seien.

Cyberinduzierte Schadenszenarien schließen Rommels Ansicht nach zunehmend auch Sach- und Personenschäden mit ein. Es sei davon auszugehen, dass sowohl die Anzahl der cyberinduzierten Schäden als auch deren Ausmaße in der virtuellen wie in der realen Welt zunehmen, so der Experte. Vielfach sei das in traditionellen Produktsparten noch nicht berücksichtigt. Die Versicherer stehen deshalb unter Druck, zeitnah eigene Lösungskonzepte zu entwickeln.

Über die Studie

Für die «ti&m-Trendstudie Versicherungen 2022» wurde eine Befragung unter Experten aus den Bereichen Risikomanagement, Underwriting, Produktmanagement und Aktuariat/Versicherungsmathematik deutscher Versicherungsunternehmen durchgeführt. Die Ergebnisse geben ein gutes Stimmungsbild über den aktuellen Stand beim Umgang mit Silent-Cyber-Risiken und Einschätzungen zur künftigen Entwicklung wieder. Die Studie beleuchtet potenzielle Risiken, Verantwortungslücken und Herausforderungen im Umgang mit den Risiken und skizziert Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft.

Die vollständige Studie können Sie hier gratis herunterladen.

(PDF)

LESEN SIE AUCH

Cyberrisiken: Jeder siebte Betrieb verliert mindestens einen ArbeitstagCyberrisiken: Jeder siebte Betrieb verliert mindestens einen ArbeitstagDALL-E
Cyber

Cyberrisiken: Jeder siebte Betrieb verliert mindestens einen Arbeitstag

Cyberangriffe sind längst kein Randphänomen mehr: Eine neue Studie des Industrieversicherers QBE zeigt, dass jedes siebte mittelständische Unternehmen (14 Prozent) im vergangenen Jahr mindestens einen Arbeitstag durch einen Cybervorfall verloren hat. Besonders brisant: In fast 60 Prozent der Fälle war eine Schwachstelle in der Lieferkette ausschlaggebend.

Das InsurLab Germany hat einen Sammelband zur KI-Nutzung in der Versicherungsbranche veröffentlicht.Das InsurLab Germany hat einen Sammelband zur KI-Nutzung in der Versicherungsbranche veröffentlicht.myshoun / pixabay
Digitalisierung

Generative KI in der Versicherungsbranche: Zwischen Aufbruch und Durchbruch

Die Versicherungswirtschaft hat generative KI inzwischen fest in ihre Digitalstrategie integriert – doch das volle Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft. Ein aktueller Sammelband des InsurLab Germany zeigt, wo der Einsatz heute bereits messbaren Mehrwert liefert – und wo zentrale Herausforderungen auf dem Weg zur Skalierung bestehen.

Vorstandssprecher der HUK-COBURG Versicherungsgruppe: Klaus-Jürgen HeitmannVorstandssprecher der HUK-COBURG Versicherungsgruppe: Klaus-Jürgen HeitmannHUK-COBURG
Unternehmen

HUK-COBURG: Starkes Jahr 2024 – Rückkehr in die Gewinnzone in Sicht

Die HUK-COBURG blickt auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2024 zurück: Besonders in der Kfz-Versicherung konnte der Versicherer deutlich wachsen und auch in anderen Sparten neue Rekordmarken erreichen.

Franziska Geusen, Vorständin des AfWFranziska Geusen, Vorständin des AfWAfW
Studien

Gewerbekunden? Lieber nicht!

Die zunehmende Komplexität bei Produkten, fehlender Service und wachsende Frustration: Immer mehr Vermittlerinnen und Vermittler meiden das Gewerbegeschäft. Das zeigt das aktuelle Vermittlerbarometer des AfW – und birgt zugleich Chancen für Versicherer.

Unsere Themen im Überblick

Informieren Sie sich über aktuelle Entwicklungen und Hintergründe aus zentralen Bereichen der Branche.

Themenwelt

Praxisnahe Beiträge zu zentralen Themen rund um Vorsorge, Sicherheit und Alltag.

Wirtschaft

Analysen, Meldungen und Hintergründe zu nationalen und internationalen Wirtschaftsthemen.

Management

Strategien, Tools und Trends für erfolgreiche Unternehmensführung.

Recht

Wichtige Urteile, Gesetzesänderungen und rechtliche Hintergründe im Überblick.

Finanzen

Neuigkeiten zu Märkten, Unternehmen und Produkten aus der Finanzwelt.

Assekuranz

Aktuelle Entwicklungen, Produkte und Unternehmensnews aus der Versicherungsbranche.

Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk

Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.

"Das Gesamtpaket muss stimmen"
Ausgabe 05/25

"Das Gesamtpaket muss stimmen"

Bernd Einmold & Sascha Bassir
„Im Vertrieb werden wir unsere Aktivitäten ausbauen und die Kapazitäten dafür verstärken”
Ausgabe 03/25

„Im Vertrieb werden wir unsere Aktivitäten ausbauen und die Kapazitäten dafür verstärken”

Dr. Florian Sallmann
"Schema F gibt es nicht mehr"
Ausgabe 10/24

"Schema F gibt es nicht mehr"

Michael Schillinger & Andreas Bahr
Kostenlos

Alle Ausgaben entdecken

Blättern Sie durch unser digitales Archiv im Kiosk und lesen Sie alle bisherigen Ausgaben des ExpertenReports. Zur Kiosk-Übersicht