„Die Pflegeversicherung war als Teilkasko gedacht – heute wird sie wie eine Vollkasko beansprucht“
Wie lässt sich eine zukunftsfähige Altersvorsorge gestalten, die auch den wachsenden Pflegebedarf berücksichtigt? Diese Frage stand im Zentrum der Jahrestagung der DAV und DGVFM. Der Rückblick im Verbandsmagazin Aktuar zeigt: An klaren Analysen mangelt es nicht.
Die Altersvorsorge in Deutschland steht unter Reformdruck – das wurde auf der Jahrestagung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) und der Deutschen Gesellschaft für Versicherungs- und Finanzmathematik (DGVFM) am 28. April 2025 in Bonn einmal mehr deutlich. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand eine prominent besetzte Podiumsdiskussion zur Zukunft von Renten- und Pflegefinanzierung. Der Veranstaltungsrückblick ist in der Juni-Ausgabe des DAV-Verbandsmagazins Aktuar erschienen – mit eindrücklichen Zitaten und klaren Positionen zur sozialpolitischen Agenda.
Den Auftakt machte Dr. Lewe Bahnsen vom Wissenschaftlichen Institut der Privaten Krankenversicherung mit einer Analyse der demografischen Herausforderungen. Die anschließende Diskussion unter der Moderation von Corinna Egerer machte deutlich, dass die Probleme seit Jahren bekannt sind – und gerade das frustriert viele Beteiligte.
„Die Überalterung der Bevölkerung, wir kennen sie seit vielen Jahren. Die Zahlen, Daten, Fakten stehen fest. Und das ist auch gleichzeitig das Frustrierende“, erklärte DAV-Vorständin Wiltrud Pekarek.
Mehr Kapitaldeckung, aber sozial ausgewogen
Einigkeit bestand darin, dass kapitalgedeckte Modelle künftig eine größere Rolle spielen müssen. DAV-Vorstand Dr. Maximilian Happacher betonte: Entscheidend sei nicht die Herkunft des Geldes, sondern ein stabiles Einkommen im Alter. Gleichzeitig brauche es ehrliche Kommunikation: Kapitalaufbau bedeute Konsumverzicht heute – und das sei nicht allen möglich. Pekarek sprach sich für eine sozial ausgewogene Mischung aus Umlage und Kapitaldeckung aus, auch betriebliche Modelle sollten gestärkt werden.
Constantin Papaspyratos, Chefökonom des Bunds der Versicherten, plädierte für eine verpflichtende kapitalgedeckte Pflegeversicherung für stationäre Versorgung, während ambulante Leistungen privat abgesichert werden könnten. Klar sei: Geld sei entscheidend – aber nicht allein ausreichend.
Pflege: Wer übernimmt in Zukunft die Verantwortung?
Happacher sprach von einer „demografischen Gnadenfrist“: Die Babyboomer seien noch nicht pflegebedürftig – Reformen, die heute beschlossen würden, könnten langfristig wirken. Doch wer übernimmt die Pflege?
Dr. Laura Romeu Gordo vom Deutschen Zentrum für Altersfragen verwies auf die familiäre Verantwortung, die insbesondere Frauen trügen. Eine faire Verteilung der Lasten müsse strukturell gesichert sein. Auch Pekarek warb dafür, das Potenzial fitter Senioren stärker einzubinden – etwa im Ehrenamt oder im Erwerbsleben. Gleichzeitig müsse anerkannt werden, dass Eigenverantwortung Grenzen habe: „Die Pflegeversicherung war als Teilkasko gedacht – heute wird sie wie eine Vollkasko beansprucht.“
Generationenfairness und Systemvertrauen
Die Debatte zeigte auch: Generationengerechtigkeit wird zunehmend zum Streitpunkt. Happacher forderte, Vermögen in der Gesellschaft stärker zur Finanzierung zu nutzen – nicht immer nur die junge Generation zu belasten. Romeu Gordo betonte, dass auch die Wohnkosten im Alter eine Rolle spielten: Im Schnitt flössen 40 Prozent des Ruhestandseinkommens in Miete oder Eigentumserhalt.
Papaspyratos forderte, die Pflegeversicherung an moderne Erwerbs- und Familienstrukturen anzupassen – etwa angesichts der höheren Frauenerwerbsquote. CDU-Landtagsabgeordneter Marco Schmitz machte deutlich: Vertrauen in das System entstehe durch nachvollziehbare Reformen – und durch Bürokratieabbau. Digitalisierung und KI könnten zur Entlastung beitragen, so Pekarek.
Forderungen an die Politik: Mut zu Reformen
Am Ende der Diskussion formulierten die Teilnehmer*innen konkrete Wünsche: Happacher forderte lebenslange, würdewahrende Absicherung. Romeu Gordo betonte soziale Ausgewogenheit. Pekarek warb für mehr private Vorsorge. Und Schmitz brachte es auf den Punkt: Die nächste Bundesregierung brauche den Mut, echte Reformen anzustoßen.
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