Innungskrankenkassen mit Konzept für nachhaltige GKV-Finanzierung

Um eine nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit einer fairen Lastenverteilung sicherzustellen und damit eine außerordentliche Belastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu verhindern, sehen die Innungskrankenkassen die Verbreiterung der Einnahmenbasis der GKV als entscheidenden Faktor an. Dafür wurde ein Konzept zur nachhaltigen Finanzierung der GKV  vorgestellt. Die Innungskrankenkassen schlagen drei Bausteine vor:

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  • Die Nachjustierung und Dynamisierung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen
  • die Ausweitung der Steuerfinanzierung auf Basis der gesundheits- beziehungsweise umweltbezogenen Lenkungssteuern
  • die Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell durch Beteiligung der Digital-/ Plattformökonomie an den Kosten der Sozialversicherung
Nicht alle dieser Finanzierungsoptionen lassen sich derzeit schon kalkulieren. Aber alleine aus einer Dynamisierung des Bundeszuschusses und der Erweiterung des Steuerzuschusses auf Basis der gesundheits- beziehungsweise umweltbezogenen Lenkungssteuern würden zusammen mit dem Ausgleich der Leistungen für ALG-II Bezieher und einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel Einsparungen in Höhe von 33,27 Milliarden Euro jährlich für die GKV realisiert werden. Heruntergebrochen bedeutet dies bei einem Medianeinkommen in Höhe von 43.200 Euro eine Einsparung im Zusatzbeitrag von 898,29 Euro im Jahr (Arbeitgeber-/Arbeitnehmeranteil: 449,15 Euro).

Finanzlage der GKV und Kritik am GKV-FinStG

Ausgangspunkt für das Konzept, mit dem die Innungskrankenkassen umfangreiche Lösungsvorschläge geben und dem Bundesgesundheitsministerium eine Diskussionsbasis für die angekündigte Reformagenda zur Finanzierung der Sozialversicherung liefern möchten, ist die Schieflage der GKV-Finanzen, und zwar deren strukturelle Unterfinanzierung. So fehlen im Jahr 2023 mindestens 17 Milliarden Euro. Dies wird sowohl von der demographischen Entwicklung, dem medizinisch-technischen Fortschritt und den Veränderungen in der Arbeitswelt sowie den großzügigen Leistungsgesetzen der letzten Legislaturperioden befördert. Der im Juli 2022 vorgelegte Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) wird das Problem nach Meinung vieler Experten nicht lösen. "Er ist letztlich der Offenbarungseid einer kurzsichtigen Gesundheitspolitik, die einschneidende Reformen aufschiebt und, um kurzfristig Finanzierungslücken zu schließen, wieder einmal die Lasten einseitig und ungerechtfertigt der GKV und damit den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern aufbürdet", erklärt Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., und führt aus:

Um das Defizit zu stopfen, sollen direkt bzw. indirekt rund zwölf Milliarden Euro allein von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern der GKV, den Versicherten und Arbeitgebern, aufgebracht werden. Direkt über eine Beitragserhöhung, indirekt über das Abschmelzen der Finanzreserven der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds sowie über ein Bundesdarlehen. Das alles sind Taschenspielertricks, keine langfristige Sicherung der Finanzen. Diese Politik verstehen weder die 73 Millionen GKV-Versicherten noch die knapp sechs Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen.
Der Staat müsse seiner Finanzverantwortung nachkommen. Auch Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Wasem bestätigt, dass der mehrjährige Trend der überproportionalen Zunahme der primären Unterdeckung durch das GKV-FinStG nicht gestoppt werde. Seinen Berechnungen für die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung nach werde die primäre Unterdeckung in der GKV von aktuell 51 Milliarden Euro auf 75 Milliarden Euro im Jahr 2027 anwachsen. Das GKV-FinStG sei schon für 2023 bestenfalls auf knappste Kante genäht, erklärt Wasem, schon ab 2024 klaffe das strukturelle Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben seiner Ansicht nach wieder weit auseinander. "Es bedarf dauerhaft wirksam stabilisierender Regelungen!", fordert auch der Gesundheitsökonom von der Universität Duisburg-Essen. Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., kritisiert das GKV-FinStG aus Sicht der Handwerkerschaft bzw. der Arbeitgeber. Mit der im Gesetzentwurf einkalkulierten Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags in der GKV um mindestens 0,3 Beitragssatzpunkte werde die 40-Prozent-Marke bei den Sozialversicherungsbeiträgen überschritten. "Im Klartext heißt das: Damit wird die in der Vergangenheit zurecht als maßgeblich angesehene und von der letzten Großen Koalition noch festgeschriebene Sozialgarantie aufgehoben - aus unserer Sicht ein katastrophaler Schritt." Schon derzeit ist in Deutschland die Belastung des Arbeitseinkommens mit Abgaben, also Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, laut einer OECD-Studie weltweit die Zweithöchste unter allen Industrienationen. Aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden sind die Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell und eine faire Beteiligung der Digital- und Plattformwirtschaft an der Finanzierung der Sozialversicherung dringend geboten.

Dynamisierung des Bundeszuschusses zur GKV und Übernahme versicherungsfremder Leistungen

Die Innungskrankenkassen sehen als ersten Baustein ihres Konzeptes einen in seiner Höhe angepassten und dynamisierten Bundeszuschuss vor. Ziel ist der Ausgleich aller versicherungsfremden Leistungen. Hierfür ist eine gemeinsame Festlegung notwendig. Viele der Ausgaben, die die Krankenkassen übernehmen, seien eigentlich originär staatliche Aufgaben und deshalb auch vollständig aus Steuermitteln zu finanzieren. Dabei liegt die Höhe der Ausgaben der Kassen für versicherungsfremde Leistungen laut IGES-Institut bei 49,8 Milliarden Euro. Schon damit könne eine kurzfristige Mehrbelastung der Beitragszahlenden vermieden werden. "Eine verlässliche Gesundheitsversorgung ist zu wichtig, um nicht dauerhaft vom guten Willen des Finanzministers abzuhängen. Deshalb brauchen wir einen regelbasierten und dynamisierten Steuerzuschuss", erklärt Peter Kaetsch, Vorstandsvorsitzender der BIG direkt gesund. Für eine Dynamisierung des Bundeszuschusses zur GKV bieten sich verschiedene Parameter an, so die Innungskrankenkassen: die Entwicklung des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), der Bruttolöhne bzw. der Grundlohnsumme, der Leistungsausgaben der GKV sowie eine Anpassung an die Inflationsrate. Die Innungskrankenkassen schlagen vor, dass ein Dynamisierungsfaktor festgelegt wird, der sich sowohl an der Bruttolohnentwicklung als auch an der Inflationsrate bemisst (Mittelwert), führt Kaetsch aus, und weist darauf hin, dass zukünftig bei einer Erweiterung des Leistungskatalogs der GKV um weitere versicherungsfremde Leistungen folgerichtig eine Anpassung vorzunehmen sei.

Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell - Partizipation an Genuss-/ Umweltsteuern

Die Innungskrankenkassen sehen - trotz ihres klaren Bekenntnisses zum System der Umlagefinanzierung und des Systems der Selbstverwaltung - die Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell als einen weiteren wichtigen Baustein zur Sicherung der Finanzstabilität. Die Summe der beitragspflichtigen Einnahmen nimmt aufgrund des Wandels der Arbeits- und Erwerbswelt gegenüber der Entwicklung des Bruttosozialprodukts ab. Die Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell ermöglicht die Erschließung weiterer Finanzierungsquellen und würde neben den Arbeitnehmern insbesondere die lohnintensiven Klein- und Mittelbetriebe als Beitragszahler spürbar entlasten. Dies könnte durch eine Partizipation an Steuereinnahmen auf gesundheitsschädliche Genussmittel beziehungsweise an Umweltsteuern erreicht werden. "Die Staatseinnahmen aus der Tabak-, Alkohol-, Alkopop-, und Schaumweinsteuer lagen in den vergangenen Jahren konstant bei rund 17 Milliarden Euro", erläutert Prof. Dr. Jörg Loth, Vorstandsvorsitzender der IKK Südwest. Eine beispielhaft 50-prozentige Beteiligung der GKV an den genannten Steuerarten könne zu Mehreinnahmen von über acht Milliarden Euro jährlich führen. Dies allein würde das für 2023 zunächst veranschlagte Defizit um fast die Hälfte ausgleichen, erörtert Loth. Der Vorstandsvorsitzende verweist auf die Win-Win-Situation von Lenkungssteuern für den Staat, die betroffene Bevölkerung und die GKV: "Es ist legitim, über die Beteiligung der GKV an den erhobenen und gesundheitspolitisch motivierten Lenkungssteuern zu diskutieren, die das Ziel verfolgen, Gesundheitsrisiken und deren Kosten zumindest in Teilen zu kompensieren und noch dazu geeignet sind, das Gesundheitsverhalten positiv zu beeinflussen." Aus diesem Grunde bietet sich nach Ansicht der Innungskrankenkassen auch der Bereich der Umweltsteuern zur Beteiligung an. Insgesamt könne eine Beteiligung an Genusssteuern und an umweltbezogenen Steuern, wenn man bei letzteren von einer zehnprozentigen Beteiligung ausgeht, die GKV insgesamt um 14,66 Milliarden Euro entlasten. Darüber hinaus fordern die Innungskrankenkassen weiterhin eine Absenkung der Umsatzsteuer auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent. "So könnte die GKV bundesweit sechs Milliarden Euro einsparen", so Loth. "Die Mehrwertsteuersenkung wäre ein zentraler Baustein einer strukturellen Finanzierungsreform und ist fast in jedem europäischen Land Standard."

Beteiligung der Digital- und Plattformwirtschaft

Aufgrund zunehmender Automatisierung und Digitalisierung gehen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren, gleichzeitig entstehen neue Formen der Arbeit. In der Folge sinken die beitragspflichtigen Einnahmen, gleichzeitig wird das Solidarsystem aber zur Absicherung herangezogen und belastet. Die Innungskrankenkassen blicken dabei auf zwei moderne Ökonomieformen: Zum einen auf international aufgestellte Konzerne der digitalen Welt, die sich ihrer Verantwortung zur Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben entziehen. "Wir begrüßen sehr, dass die Europäische Kommission schon 2018 hierzu zwei Gesetzgebungsvorschläge gemacht hat", erklärt Vorstandsvorsitzender Kaetsch. "In diesem Zusammenhang ist es folgerichtig, auch darüber nachzudenken, welchen Beitrag die Unternehmen für die Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben übernehmen können." Zum anderen nehmen die Innungskrankenkassen die Plattformarbeit in den Fokus, die für etwa zwei Prozent der Erwachsenen in 14 EU-Mitgliedstaaten die Haupteinnahmequelle ist, bis zu acht Prozent erzielen mit ihr Gelegenheitseinkünfte. Da Plattformarbeit nicht im vollen Umfang besteuert wird und Plattformarbeiter nicht adäquat durch die Systeme der sozialen Sicherheit geschützt sind, führt dies zu nachteiligen Auswirkungen sowohl für die betroffenen Personen als auch für die öffentlichen Finanzen sowie für die Sozialversicherungsträger. Die Innungskrankenkassen schlagen vor, Plattformarbeit sozialversicherungspflichtig auszugestalten. Alternativ wäre eine am Umsatz orientierte Beteiligung der Plattformwirtschaft an den Kosten der Sozialversicherung einzuführen.

Konzept als Basis für die politische Reformagenda

"Die Innungskrankenkassen wollen mit ihren Forderungen den Blick auf die verschiedenen Möglichkeiten einer Entlastung von Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern, also Versicherten und Arbeitgebern, weiten", so die IKK e.V.-Vorstandsvorsitzenden Müller und Wollseifer. Sie erklären: "Wir möchten mit dem Konzept eine Debatte für die Zeit nach 2023 anstoßen und mit unseren drei primären Lösungsvorschlägen einen Beitrag für die vom Bundesgesundheitsminister angekündigte Reformagenda für eine 'stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der GKV' leisten." Ziel der Innungskrankenkassen sei es schlussendlich, das Gesundheitssystem solidarischer, gerechter und versorgungsstärker machen.

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