Eine solide und nachhaltige Finanzreform für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) muss jetzt zügig vom Bundesgesundheitsministerium auf den Tisch gelegt werden. Dies stellten die Innungskrankenkassen anlässlich einer Diskussion zur Finanzsituation mit der Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, auf der Mitgliederversammlung des IKK e.V. fest.
Die Innungskrankenkassen (IKKn) kritisieren, dass eine stabile Finanzierung der GKV nicht in Sicht sei. Im Gegenteil, sie scheine weiter entfernt als noch im letzten Jahr. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) aus dem Oktober 2022 habe keine tragfähige Zukunftsperspektive aufgezeigt. Zwar rechnen Experten für das nächste Jahr mit einem geringeren Defizit als 2023. Aber dies sei nicht als Entwarnung zu interpretieren, so die IKKn.
Für 2025 ist wieder alles offen und ein steigendes Defizit in der GKV ist schon jetzt absehbar. "Versorgungsstrukturen müssen reformiert, Über-, Unter- und Fehlversorgungen abgebaut werden", fordert Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbandes. "Ohne Strukturreformen ist keine nachhaltige Finanzierung möglich." Dies ergebe sich aus dem demographisch bedingten Arbeitskräftemangel, so die Vorstandsvorsitzende.
Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., stellt fest, dass sich in der Vergangenheit Bund, Länder und Kommunen zu stark aus ihrer Finanzierungsverantwortung für die GKV herausgezogen haben. Versicherungsfremde Leistungen dürften nicht allein von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern, also den Versicherten und Arbeitgebern, getragen werden.
"Eine nachhaltige GKV-Finanzierung kann nur gelingen, wenn die Lasten fair verteilt werden!", stellt der Vorstandsvorsitzende klar. Er verweist darauf, dass bereits nachhaltige Finanzierungskonzepte vorliegen: "Die Innungskrankenkassen haben im August 2022 ein einnahmeseitiges Konzept für die Finanzierung der GKV vorgestellt." Dieses beruhe auf drei Bausteinen:
"Die Nachjustierung und Dynamisierung des Bundeszuschusses für den Ausgleich versicherungsfremder Leistungen, die Verbreiterung der Einnahmebasis der GKV durch eine Beteiligung der GKV an gesundheits- beziehungsweise umweltbezogenen Lenkungssteuern in Form einer Sonderabgabe sowie der Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell durch Beteiligung der Digital- beziehungsweise Plattformökonomie an den Kosten der Sozialversicherung", erläutert Müller.
Aber auch für die Ausgabenseite haben die Innungskrankenkassen ein Positionspapier erarbeitet, welches in der Mitgliederversammlung verabschiedet wurde. "Wir Innungskrankenkassen zielen in diesem Papier auf drei Faktoren", erläutert Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. "Es geht uns um Steuerungs- und Lenkungsoptionen für die konkrete Versorgung unserer Versicherten, um eine Stärkung der Finanzverantwortung für Bund und Länder aber auch für die Leistungserbringer und nicht zuletzt geht es um eine Fokussierung auf Qualität statt auf Rendite."
Für eine effiziente und gute Leistungserbringung bedürfe es einer stärkeren Steuerungsoption, um Patientinnen und Patienten im Krankheitsfall besser unterstützen zu können. Hier setzen die Innungskrankenkassen unter anderem auf die hausarztzentrierte Versorgung (HzV), aber auch auf die sich durch einen konsequenten Einsatz von Telemedizin ergebenen Möglichkeiten.
"Steuerung schließt auch Handlungs- und Steuerungsoptionen der Krankenkassen in Bezug auf die Leistungserbringung ein", führt Wollseifer aus. "Den Innungskrankenkassen geht es dabei um die Wiedererlangung von Prüfrechten im Krankenhausbereich sowie um Ausschreibungs- und Verhandlungsoptionen überall da, wo es mit Blick auf die Qualität der Leistungserbringung möglich ist." Bei den Preisverhandlungen müsse die Grundlohnsummenorientierung wieder verankert werden. Außerdem müsse der Leistungskatalogs unter Evidenzgesichtspunkten bereinigt werden. Wollseifer weiter: "Weder im ambulanten noch im stationären Bereich darf die Behandlung von Patientinnen und Patienten rein renditeorientiert erfolgen."
Beide IKK-Vorstandsvorsitzenden sind sich einig: "Alle Beteiligten am Gesundheitswesen müssen sich ihrer Verantwortung für eine langfristige Finanzierung einer leistungsstarken Krankenversicherung bewusst werden; Bund und Länder müssen ihrer Pflicht für die Daseinsvorsorge nachkommen. Auch die angedachte Vorhaltefinanzierung im stationären Bereich sollte beispielsweise aus Steuer- und nicht aus Beitragsmitteln erfolgen."
Mit diesen Maßnahmen auf Einnahme- und Ausgabenseite sowie mit der Umsetzung des im Koalitionsvertrag zugesicherten Ausgleich der Leistungen für Bürgergeldbeziehende und auch der kassenseitig geforderten Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel ließen sich die GKV-Finanzen nachhaltig stärken.
Der Geschäftsführer des IKK e.V., Jürgen Hohnl, pflichtet den Vorständen bei: "Eine dauerhafte Stabilisierung der GKV-Finanzen muss auf andere Beine gestellt werden, andernfalls fährt das Gesundheitssystem gegen die Wand. Die aktuell wieder aufflammende Diskussion um eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der GKV ist viel zu kurzsichtig!", erklärt er und argumentiert, dass hier wieder nur die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler belastet würden, ohne dass strukturelle Reformen umgesetzt werden.
Die Innungskrankenkassen warten nun dringlich auf den bis Ende Mai angekündigten Vorschlag für eine nachhaltige Finanzierung aus dem Bundesgesundheitsministerium. Sie hoffen, dass die Vorschläge der Innungskrankenkassen sowohl einnahme- als auch ausgabenseitig im kommenden Gesetzentwurf Gehör finden werden.
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