Digitale Betriebsmodelle: Laufen kleinere Versicherer den großen davon?

Veraltete Systeme, demografischer Wandel und regulatorische Anforderungen setzen Versicherer unter Druck. Besonders kleinere Häuser nutzen ihre Agilität, um digitale Betriebsmodelle schneller anzupassen und Marktanteile zu sichern, stellt Maxim Pertl, Partner für Asset- Owners & Managers DACH & CEE bei Clearwater Analytics, im Interview heraus.

Was macht eine digitale Datenstrategie für Versicherer heutzutage so entscheidend, und warum sind insbesondere kleinere Versicherer hier oft Vorreiter?

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Maxim Pertl, Partner für Asset- Owners & Managers DACH & CEE bei Clearwater AnalyticsClearwater Analytics

Dass Daten das neue Öl sind, ist jedem Entscheider längst bewusst. Das Entscheidende ist, dass nun die generative Künstliche Intelligenz rasant Einzug erhält – und diese benötigt eine solide Basis, um brauchbare Ergebnisse zu liefern, um Modelle anzulernen und dann darauf basierend zu lernen, weiterzuentwickeln und zu optimieren. Inzwischen sind Daten nicht nur das Öl, sondern die gesamte Basis, vielmehr das Fleisch und Blut, und als solches unabdingbar für die Veränderungen, welche Unternehmen im sich stetig verändernden Umfeld für den Erfolg heute und in Zukunft benötigen. Versicherer stehen unter zunehmenden Druck, erzeugt durch eine gefährlich große Rentenwelle, einer anhaltend demographisch schwierigen Situation neue Talente zu finden bzw. auch zu halten, stetig neuer Regulatorik wie DORA und ESG sowie massivem Kostendruck in vielen Sparten und reduzierten Möglichkeiten der Rückversicherung von Risiken. Alle diese Punkte treffen natürlich auch die Kapitalanlageseite der Versicherer.

Trotz des Bewusstseins für die Bedeutung von Datenstrategien haben 90 % der Versicherer Probleme mit dem Datenzugang. Wo sehen Sie die Hauptgründe dafür?

Hierfür gibt es mehrere Gründe, welche sich gegenseitig potenzieren, allen voran die veraltete Architektur der historisch gewachsenen Systemlandschaft. Zahlreiche Systeme wurde vor 20-30 Jahren implementiert, sie kommen aus einer Zeit, als es ganz andere Anforderungen gab. Daten wurden monatlich benötigt und betrachtet, und dann für Quartale in Retrospektive. Dementsprechend sind die Systeme im Kern meist nur „end-of-month“ basiert. Die heutige Realität des Kapitalmarktes ist Echtzeit. Desweiteren wurden die Systeme damals für die damals benötigten Anlageklassen programmiert: Anleihen, Schuldscheindarlehen, und einige wenige Aktien. Heute benötigt man bei größeren Häusern bis zu 100 Anlageklassen, die sowohl die Komplexität der Derivate, als auch jegliche Art von Immobilieninvestments, zudem immer mehr Private Markets Anlagen – also Alternative Investments, welche, basierend auf unserer Erfahrung siebenmal mehr Aufwand im Management und der Abwicklung erfordern. Gerade hier sind die Altsysteme relativ blank – es gibt keine echte Sicht über alle Anlageklassen hinweg. Häufig müssen deshalb Immobilien separat in einem Silo gemanaged werden, ebenso Alternative Investments. Und dann hat man große DWH, also Datawarehouses gebaut, um Daten zusammenzuführen, um halbwegs ein Reporting darauf aufbauen zu können. Es sind historisch gewachsene Architekturen aus den 80er und 90er Jahren, welche mit Umsystemen und Custom-Lösungen erweitert wurden. Manchmal gibt es immer noch manuelle Teilprozesse, weil sich der Aufwand der Modernisierung des Hauptsystems einfach nicht lohnt. Hinzu kommt, dass immer mehr Daten benötigt werden, diese sind teuer, aufwendig in der Wartung und benötigen mittlerweile Datenmanagement-Lösungen, um auch die Lizenzierungsthemen im Griff zu haben. Und das für alle Datenarten: Marktdaten, Stammdaten, Index- und Benchmarkdaten, ESG-relevante Daten, Immobilien und Alternatives-relevante Datensätze, Ratings, Prognosen, News und dann natürlich der große Batzen, den die Regulatorik und das Risikomanagement benötigen.

Warum scheinen kleinere Versicherer mit ihren Betriebsmodellen und digitalen Ansätzen den größeren Versicherern teilweise voraus zu sein?

Sie müssen schneller sein, um zu überleben. Kleinere Häuser unterliegen der gleichen Regulatorik, sie müssen mehr mit weniger leisten, mit kleineren Budgets und weniger Experten den gleichen Anforderungen gerecht werden – das erfordert eine höhere Effizienz. Und durch ihre Größe können sie schneller entscheiden. Hinzu kommt, dass sie häufig nur in einem Land operieren, das limitiert die Komplexität im Vergleich zu multinationalen Organisationen. Diesen Vorteil müssen die kleineren Versicherer aber unbedingt nutzen, denn häufig sind sie sogar noch stärker vom demographischen Wandel und der Rentenwelle getroffen. Deshalb müssen sie umso schneller auf neue Servicemodelle, Cloud-Technologien und KI setzen, damit sie mit weniger Experten mehr leisten und sogar Marktanteile hinzugewinnen, etwa durch moderne Auftritte, modernes Kundenreporting etc.

Versicherer mit einer SaaS-Technologie scheinen Vorteile gegenüber On-Premise-Lösungen zu haben. Welche spezifischen Vorteile sehen Sie hier für die Branche?

Vorsicht! SaaS ist nicht gleich SaaS, da muss man sehr genau hin und reinschauen. Die alteingesessenen Vendoren haben mittlerweile auch erkannt, dass die Reise in die Cloud unabdingbar geworden ist und versuchen, ihre Bestandskunden auf deren „SaaS-Lösungen zu migrieren – aber eine Jahrzehnte alte Architektur – im Kern – mit einer 30 Jahre alten Programmiersprache skaliert auch in der Cloud nicht – im Gegenteil – diese in einer Cloud zu betreiben macht sie sogar noch teurer – denn sie bleibt eine auf den einzelnen Kunden implementierte Lösung. Ein teurer Einzelfall. Cloudbasierte Lösungen werden erst effizient, wenn die gesamte Plattform für die Cloud gebaut wurde und als Plattform Tausende von Kunden hat, erst dann werden die großen Skaleneffekte gehoben. Einmal eine neue Schnittstelle bauen und alle Kunden nutzen diese sofort, eine regulatorische Änderung einmal einbauen und sie steht sofort allen Kunden sofort zur Verfügung, einmal die Daten bereinigen und alle Kunden profitieren – das sind die Beispiele, welche die neue Effizienz erst ermöglichen, welche die Versicherer benötigen.

Viele Versicherer ziehen Managed Services in Betracht, insbesondere für Middle-Office-Funktionen und aufsichtsrechtliche Berichterstattung. Was sind die Vorteile dieses Ansatzes?

Alle Prozesse, welche alle Versicherer täglich bei sich abarbeiten, ohne Mehrwerte gegenüber der Konkurrenz und deren Produkten zu schaffen, können standardisiert werden. Skaleneffekte durch zentralisierte Services bei einem höheren Qualitäts- und Servicegrad. Die Vorteile liegen auf der Hand: die Fachkräfte, welche in Rente gehen, müssen nicht mehr ersetzt werden, die Unternehmen können mehr mit weniger leisten und dies schneller und günstiger. Desweiteren werden auch regulatorische Themen zentral umgesetzt. Warum das Rad immer neu erfinden pro Unternehmen, wenn man es einmal richtig aufsetzen kann und alle nutzen die Lösung.

Die Befragung zeigt, dass Prozesse bei vielen Versicherern noch zu manuell sind und komplexe Systeme Engpässe verursachen. Wie können Versicherer diese Herausforderungen am besten überwinden?

Durch den Einsatz integrierter Front-to-Back oder Middle-Office-to Back Office Ansätze und im Idealfall in der Cloud als Service. Häufig werden die bestehenden Systeme einfach nicht voll integriert genutzt, weil deren Module und deren Implementierung viel zu teuer waren. Deshalb laufen Prozesse teils auf Workarounds, halbautomatisiert oder teils komplett manuell. Aus der Vogelperspektive sieht man, dass in den letzten Jahren Kundenportale modernisiert und digitalisiert wurden, hier ist fast überall der Haken dran. Die Prozesse darunter jedoch – da steht die Digitalisierung noch am Anfang und dort drückt der Schuh gewaltig. D.h. die Kapitalanlage, die fondsgebundene Lebensversicherung, das Reservenmanagement, das Captive Asset Management – hier gibt es großes Potenzial für die digitale Transformation hin zu cloudbasierten Services. Hier empfiehlt sich ein Phased Approach, also phasenweise die Prozesse in die Cloud heben, weg von alten Haupt- und Umsystemen, durch Onboarding in die Cloud zu einer Service- oder einer SaaS-basierten Lösung für Bereiche wie Risk Control, Valuation etc.

Wie sieht aus Ihrer Sicht ein ideales digitales Betriebsmodell für Versicherer aus, das zukünftigen Geschäftsanforderungen gerecht wird? Welche Rolle spielen hierbei kleinere und mittlere Versicherer?

Ein Ideal zu formulieren ist gefährlich, da es sich in der Zukunft verändern wird. Daraus ergibt sich, dass nur eine flexible Lösung auch zukunftsfähig ist und bleiben wird.

Gerade hier setzt eine cloudbasierte, für die Cloud gebaute Plattform an – Skaleneffekte für Standardprozesse durch hohe Automatisierung. Auch hier gilt jedoch, eine Rate von 100%, im Sinne STP – also straight through processing – bleibt ein Ziel – aktuell sind 90% realisierbar über alle Anlageklassen hinweg inklusive Alternatives – an die restlichen 10 % müssen Experten ran: Datenmanager, Analysten, Risikoexperten etc.; d.h. es wird ein ideales Modell benötigt trotzt modernster Technologie einschließlich Machine Learning, generativer KI, und daneben auch noch Experten, welche einen Service zentral erbringen und erst dann die komplett bereinigten Ergebnisse pro Kunden zu liefern, und das jeden Handelstag in der Zeitzone des Kunden. Darüber hinaus muss ein ideales Modell:

  • Alle 100+ Anlageklassen abdecken mit Millionen von Anlageprodukten
  • Eine weltweite Abdeckung und Unterstützung bieten und in lokalen Sprachen unterstützen
  • Lokale Regulatorik unterstützen und Neuerungen standardmäßig unterstützen
  • Realtime-fähig sein
  • Hocheffizient-Prozesse als Service abdecken
  • Flexibilität für einzelne Kunden bieten – ein Standard als Vorschlag, aber auch ein gesundes Maß an Customization pro Kunde

Und all dies erfordert hohe Investitionen – d.h. man braucht einen Partner, welche kontinuierlich hohe Millionenbeträge in stetig Innovation, Abdeckung und Regulatorik investiert.

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