Wer trägt eigentlich das finanzielle Risiko bei überhöhten oder fehlerhaften Werkstattrechnungen nach einem Unfall? Rechtsanwalt Fabian Kosch (Kanzlei Michaelis) beleuchtet Entscheidungen des BGH und erklärt, warum das sogenannte Werkstattrisiko meist zulasten der Kfz-Haftpflicht geht. Der Text erschien zuerst im expertenReport 10/24.
I. Werkstattrisiko – was ist das eigentlich?
Wer in einen Verkehrsunfall verwickelt wird, welchen er selbst nicht zu verschulden hat, hat Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Reparatur seines Kfz. Dies gilt auch dann, wenn die Werkstatt Positionen viel zu hoch abrechnet oder berechnet hat, die in Wirklichkeit gar nicht angefallen sind. Die Idee dahinter lautet, dass die Schadenbeseitigung in einem Umfeld passiert, in dem sich der Geschädigte weder auskennt noch Einfluss auf diese Sphäre hat. Solange der Geschädigte also gutgläubig ist, soll dieses „Werkstattrisiko“ also den Schädiger – beziehungsweise die Kfz-Haftpflicht – treffen. Die überhöhten oder fehlerhaften Rechnungen sind also nicht das Risiko des Geschädigten.
Auch wenn Sie, als Versicherungsmakler, natürlich bei der Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen Ihrer Kunden nicht unmittelbar tätig werden dürfen, sollte dieses Grundwissen nützlich werden können, wenn dieser Fall, welcher offenbar gar nicht so selten zu sein scheint, doch eintritt.
II. Die Entscheidungen des BGH
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Geschädigter darf auf Seriosität der Werkstatt vertrauen (BGH, Urteil v. 16.1.2024, VI ZR 51/23)
Der Geschädigte darf bei Reparatur in einer Fachwerkstatt grundsätzlich darauf vertrauen, dass diese keinen unwirtschaftlichen Weg für die Schadenbeseitigung wählt. Er muss daher nicht zwangsläufig vor Reparaturauftrag ein Gutachten eines Kfz-Sachverständigen einholen, um die Schadenbeseitigung auf Grundlage des Gutachtens durchzuführen. Es ist demnach aber auch nicht pflichtwidrig, wenn der Geschädigte tatsächlich ein Sachverständigengutachten einholt und den Sachverständigen durch die Fachwerkstatt aussuchen lasse. -
Auch nicht durchgeführte Reparaturen sind ersatzpflichtig (BGH, Urteil v. 16.1.2024, VI ZR 253/22)
Der BGH billigt dem Geschädigten auch Ersatz von Reparaturkosten, die der Geschädigte bezahlt hat, obwohl die Fachwerkstatt diese Reparaturen entgegen dem Auftrag gar nicht durchgeführt hat. Denn auch dann finde die Schadenbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre statt. Voraussetzung ist allerdings, dass die unterbliebene Reparatur für den Geschädigten nicht erkennbar war, da er andernfalls nicht schutzwürdig ist. -
Ersatzanspruch schon vor Rechnungszahlung (BGH, Urteil v. 16.1.2024, VI ZR 266/22)
Hat der Geschädigte die überhöhte Werkstattrechnung nicht oder nicht vollständig beglichen, so muss berücksichtigt werden, dass ein Vorteilsausgleich durch Abtretung etwaiger Schadenersatzansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt an den Schädiger aus Rechtsgründen nicht gelingen kann, wenn der Geschädigte auch nach Erhalt der Schadenersatzleistung vom Schädiger von der (Rest-)Zahlung an die Werkstatt absieht. Es wäre schlichtweg kein Anspruch vorhanden, welcher auf den Schädiger übergehen könnte. Der Geschädigte stünde demnach besser, da er sowohl den vollen Schadenersatz vom Schädiger erhalten habe als auch die überhöhte Rechnung nicht vollständig beglichen habe. Dies ist dem deutschen Schadenersatzrecht jedoch fremd. Der Geschädigte soll durch den Unfall nicht besser stehen als vorher. Der Schädiger stünde demnach sogar ausdrücklich schlechter, da er zum einen die überhöhte Rechnung durch den Schadenersatz an den Geschädigten vollständig ausgeglichen habe, er sich den zu viel gezahlten Anteil mangels übergegangenen Anspruchs jedoch nicht von der Werkstatt zurückholen kann. Deshalb kann der Geschädigte auch nur die Zahlung des überschüssigen Honorars an die Werkstatt verlangen und eben gerade nicht an sich selbst. Der Geschädigte hat dann Zug um Zug die Schadenersatzansprüche gegen die Werkstatt abzutreten. -
Rechte aus Werkstattrisiko nicht an Dritte abtretbar (BGH, Urteile v. 16.1.2024, VI ZR 38/22 und 239/22)
Das Recht des Geschädigten, sich vor Begleichung der Rechnung auf das Werkstattrisiko zu berufen, ist nach der Entscheidung des BGH nicht auf Dritte abtretbar. Dies würde den schützenswerten Interessen des Schädigers entgegenstehen, dass der Geschädigte selbst Gläubiger des Schädigers sei. Allein im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem sei für den Schädiger die Durchführung des Vorteilsausgleichs gesichert, da hierfür der Schadenersatzanspruch gegen den Schädiger und die abzutretenden Ansprüche gegen die Fachwerkstatt in einer Hand, entsprechend beim Geschädigten liegen müssten.
III. Zusammenfassung
Die Rechte aus dem sogenannten Werkstattrisiko gehen weit, aber nur soweit der Geschädigte tatsächlich auch gutgläubig ist. Ein Verkehrsunfall führt für den Geschädigten häufig zu Stress und nicht unerheblichen Kosten. Gerade die Ungewissheit, ob die Kosten denn nun tatsächlich erstattet werden, ist für viele Betroffene belastend. Der BGH stärkt hier den Unfallopfern zumindest etwas den Rücken, indem das finanzielle Risiko der falschen, zu teuren oder gar nicht durchgeführten Reparatur dem Schädiger (und der Kfz-Haftpflichtversicherung) aufgebürdet wird. Dies ist auch interessengerecht, da gerade die Kfz-Haftpflichtversicherungen Experten auf diesem Gebiet sind (oder zumindest sollten sie es sein).
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