Bürgergeld gestrichen trotz Erbengemeinschaft: Landessozialgericht schafft Klarheit

Darf eine Erbin mit Millionenvermögen weiter Bürgergeld beziehen, solange sie aus der Erbengemeinschaft nicht auszahlen kann? Ein Gericht hat dazu eine klare Antwort – und verändert damit die Dynamik in blockierten Erbengemeinschaften.

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Wer faktisch über verwertbares Vermögen verfügt, ist nicht hilfebedürftig (Symbolbild).Wer faktisch über verwertbares Vermögen verfügt, ist nicht hilfebedürftig (Symbolbild).DALL-E

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat entschieden: Eine Frau, die gemeinsam mit ihrer Schwester Immobilien und ein Depot im Gesamtwert von über 1,2 Millionen Euro geerbt hatte, darf kein Bürgergeld mehr beziehen – selbst dann nicht, wenn der Nachlass noch nicht aufgeteilt wurde. Mit seinem Urteil (Az.: L 2 AS 2884/24) bestätigt das Gericht die Auffassung des Sozialgerichts Stuttgart: Wer faktisch über verwertbares Vermögen verfügt, ist nicht hilfebedürftig. Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für den Umgang mit Erbengemeinschaften und Sozialleistungen.

Im konkreten Fall hatte die Klägerin über 15 Jahre hinweg Bürgergeld bezogen. 2019 erbte sie gemeinsam mit ihrer Schwester mehrere Wohnungen in Stuttgart sowie ein Wertpapierdepot. Trotz erheblicher Renovierungskosten und der offenen Erbauseinandersetzung beantragte sie weiterhin Bürgergeld. Ihre Argumentation: Die Wohnungen seien noch nicht vermietbar oder verkäuflich, über den Nachlass könne sie allein nicht verfügen. Die Gerichte sahen das anders.

Millionenvermögen macht Bürgergeld unzulässig

Die Klägerin wurde zur Hälfte Miterbin, ihr Anteil betrug rund 642.000 Euro. Dieser lag weit über dem maßgeblichen Vermögensfreibetrag von 13.300 Euro für sie und ihre Tochter. Das Vermögen sei verwertbar – auch ohne vollständige Erbauseinandersetzung. Die Richter verwiesen auf die Möglichkeit der Veräußerung oder Verpfändung des Erbteils. Auch unrenovierte Immobilien seien nicht per se unverkäuflich, zumal auch liquide Mittel wie das Depot im Nachlass enthalten waren.

Signalwirkung für festgefahrene Erbengemeinschaften

Für Manfred Gabler, Geschäftsführer der auf Erbengemeinschaften spezialisierten Firma ErbTeilung, hat das Urteil eine besondere Tragweite: „Das Urteil ist für Mitglieder von Erbengemeinschaften sehr erfreulich. Denn es hilft, die Pattsituation in Erbengemeinschaften aufzulösen, weil einzelne Miterben die Aufteilung und Verwertung der Erbschaftsimmobilien künstlich in die Länge zogen, um weiter Bürgergeldleistungen zu empfangen. Diese Praxis gehört nun der Vergangenheit an, weil die neue Entscheidung den Druck auf die Blockierer erhöht, endlich aktiv zu werden.“

Gabler betont zugleich, dass Sozialämter bislang häufig nicht über die Möglichkeit informiert seien, dass Bürgergeldempfänger ihren Erbteil auch verkaufen oder verpfänden könnten: „Entsprechende Werthaltigkeit vorausgesetzt, bieten wir auch Bürgergeldempfängern an, ihren Erbanteil vorab zu kaufen oder sie mit einem Sofortdarlehen zu unterstützen, damit sie dem Sozialstaat nicht länger auf der Tasche liegen müssen.“

Verwertbarkeit geht vor Verfügbarkeit

Die Gerichte stellten klar: Maßgeblich für den Anspruch auf Sozialleistungen sei nicht die sofortige Verfügbarkeit eines Vermögens, sondern dessen grundsätzliche Verwertbarkeit. Gerade bei Erbengemeinschaften seien Erbteile in der Regel übertragbar – auch wenn einzelne Nachlassobjekte nicht sofort veräußert werden könnten. Die Entscheidung des Landessozialgerichts stärkt somit nicht nur den Sozialstaat, sondern bringt auch neue Bewegung in blockierte Erbauseinandersetzungen.

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