Europa und Deutschland befinden sich aufgrund des Kriegs in der Ukraine, den Lieferkettenproblemen, den harten Lockdowns in China oder auch den Sanktionen gegen Russland in einem herausfordernden Umfeld. Das daraus folgende niedrigere Wirtschaftswachstum und die dramatisch steigende Inflation belasten die deutschen Unternehmen und den Standort Deutschland massiv.
Eine Stellungnahme von Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services beim internationalen Kreditversicherer Atradius
Erste Auswirkungen zeigen sich zum Beispiel bereits in der Stahlbranche. Nach monatelangem Anstieg stagnieren die Stahlpreise. Gleichzeitig sind die Mengen an Stahl die ausgeliefert werden rückläufig. Hintergrund sind unter anderem Projektverschiebungen und -stornierungen in der Baubranche, die dazu führen, dass weniger Baustahl abgerufen wird.
Solange die Preise auf dem derzeitigen hohen Niveau bleiben, stellen die rückläufigen Mengen noch kein Problem dar, weil die Margen immer noch überdurchschnittlich hoch sind. Dies ändert sich dann, wenn die Preise und damit auch die Margen sinken und gleichzeitig die Abnahmemengen weiter zurückgehen.
Die Zinserhöhung der EZB ist nach zu langem Zögern lediglich ein erster Schritt, um einer drohenden Stagflation entgegenzuwirken. Es müssen weitere Schritte erfolgen – dennoch sollte man keine Wunderdinge erwarten. Denn Zinserhöhungen bergen auch erhebliche Risiken für die deutschen Unternehmen. Zahlreiche Unternehmen haben sich im Verlauf der Corona-Krise stark verschuldet. Mit steigenden Zinsen wird es für Unternehmen schwieriger, die Belastung aus Zins und Tilgung zu bedienen. Zudem werden Banken in der aktuellen Situation bei der Neukreditvergabe noch genauer auf die Bonität schauen, was zu Liquiditätsproblemen führen könnte.
Vor diesem Hintergrund müssen weitere Zinsschritte mit Augenmaß erfolgen, um die Wirtschaft nicht zu ersticken und um zahlreiche deutsche Unternehmen nicht in die Insolvenz zu treiben. Sicher ist schon jetzt, dass die Erhöhung der Leitzinsen zwar der steigenden Inflation entgegenwirken, dem Wirtschaftswachstum allerdings eher hinderlich sein wird. Doch zu einem wirklichen Problem dürften die Maßnahmen der EZB erst dann werden, wenn die Arbeitslosenzahlen in Folge der schrumpfenden Wirtschaft, verringertem Wachstum der Unternehmensgewinne, sinkender Kaufkraft, einer einsetzenden Lohnspirale und anhaltend hoher Inflation steigen.
Fazit: Auch wenn die Ausgangslage eine andere als in den 30er- und 70-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist, so scheint die Gefahr einer Stagflation mehr als real. Denn damals waren es unter anderem politische Entscheidungen, anhaltender Inflationsdruck und hohe Energiepreise, die zu den großen Krisen führten.
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