Ein Versicherungsvertreter hatte einem 41-jährigen Versicherungsnehmer eine sogenannte Rürup-Rente vermittelt. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass im Rahmen des privaten Rentenversicherungsvertrages eine vorzeitige Auszahlung des angesammelten Kapitals nicht möglich ist. Erst nach Ablauf der Ansparphase, mithin nach 26 Jahren, sollte eine Altersrente gezahlt werden.
Das OLG Karlsruhe hatte mit seinem Urteil vom 07.12.2021 (Az.: 9 U 97/19) über die Geeignetheit einer Rürup-Rente entschieden.
Ein Beitrag von Rechtsanwalt Jens Reichow, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB
Zur Ausgangssituation: Zum Zeitpunkt der Beratung befand sich der Versicherungsnehmer am Ende eines Privatinsolvenzverfahren und plante sich selbstständig zu machen. Dies war dem Versicherungsvertreter bekannt. Die Dokumentation der Beratung erfolgte auf einem elektronischen Gerät. Die genaueren Umstände der Beratung und Dokumentation waren streitig.
Zunächst zahlte der Versicherungsnehmer die Versicherungsbeiträge. Jedoch nahm er nach 5 Jahren den Versicherungsvertreter und den Versicherer auf Schadensersatz in Anspruch. Dabei stützte er sich auf eine fehlerhafte Beratung in Bezug auf die nicht mögliche vorzeitige Auszahlung der Beiträge. Hätte er davon Kenntnis gehabt, hätte er die Rentenversicherung, wegen fehlender Flexibilität, nicht abgeschlossen. Dies behauptete er zumindest später. Zudem sei die vermittelte Rentenversicherung für ihn zu damaligen Zeitpunkt unpassend gewesen und hätte vom Versicherungsvertreter ihm nicht vermittelt werden dürfen.
Der Versicherungsnehmer verlangte die Rückzahlung der bisher gezahlten Beiträge. Hierzu war der Versicherer jedoch außergerichtlich nicht bereit und stellte den Vertrag lediglich beitragsfrei. Daraufhin erhob der Versicherungsnehmer Klage.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nach dessen Ansicht wurde kein Nachweis für eine fehlerhafte Beratung geführt. Gegen dieses Urteil legte der Versicherungsnehmer Berufung ein.
Beratungspflichten und Geeignetheit einer Rürup-Rente
Das OLG Karlsruhe entschied (Urteil vom 07.12.2021 Az.: 9 U 97/19), dass der Versicherungsvertreter und der Versicherer schadensersatzpflichtig sind. Es lagen sowohl Beratungs- und Dokumentationsfehler vor.
Nach Ansicht des Gerichts lag keine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation vor. Die Beweislast für eine Pflichtverletzung ging nach Ansicht des Gerichts daher auf den Versicherer und Versicherungsvertreter über. Die Übermittlung der Beratungsdokumentation hat nämlich vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages zu erfolgen. Das vom Versicherungsnehmer unterzeichnete Formular sah jedoch lediglich vor, dass der Versicherungsnehmer ein schriftliches Exemplar der elektronischen Beratungsdokumentation zusammen mit den Antragsdokumenten per Post erhalten soll. Dies sein nicht ausreichend für einer fehlerfreie Beratungsdokumentation.
In Bezug auf die Beratungspflicht hat das Gericht zwei Pflichtverletzungen erkannt. Zum einen hätte ein korrekter Hinweis im Rahmen der Beratung erfolgen müsse, dass keine vorzeitige Möglichkeit besteht sich das angesparte Kapital auszahlen zu lassen. Dies ist eine grundlegende Information, über die eine Aufklärung erfolgen muss. Zudem erschien es, nach Ansicht das Gericht, plausibel, dass der Versicherungsnehmer bei Kenntnis diese Bindung sich nicht für eine Rürup-Rente entschieden hätte.
Zum anderen stellte die gewählte Rentenversicherungsart kein geeignetes Produkt für den Versicherungsnehmer dar. Zwar ist der Wunsch des Kunden entscheidend für die Beratung, jedoch konnte im konkreten Fall nicht festgestellt werden, dass der Versicherungsnehmer den Wunsch nach einer solchen Rürup-Rente äußerte. Aufgrund der fehlerhaften Dokumentation und aufgrund der damaligen wirtschaftlichen Situation des Versicherungsnehmers ist die Festlegung für 26 Jahre ohne Möglichkeit einer vorzeitgien Rückzahlung nicht zweckmäßig.
Fazit
Das Urteil des OLG Karlsruhe reiht sich in die Rechtsprechung in Bezug auf Beratungs- und Dokumentationspflichten von Versicherungsvertretern ein. Gerade Beratungen über Rürup-Renten sind dabei durchaus streitanfällig. Auch die Kanzlei Jöhnke & Reichow hat hierzu bereits Verfahren begleitet.
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