Geringverdiener sind bei aktienbasierten Geldanlagen benachteiligt

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Die Altersvorsorge in Deutschland muss gestärkt werden. So weist der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung bei allen drei Säulen auf neue aktienbasierte Lösungen hin. Und die Europäische Kommission beschäftigt sich im Rahmen der sogenannten Kleinanlegerstrategie mit der Frage, wie für Privatkunden der Zugang zu renditestärkeren Geldanlagen verbessert werden kann.

Das Deutsche Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA) hat vor diesem Hintergrund untersucht, wie die Bevölkerung zum Aktiensparen steht. Im Fokus dabei: Geringverdiener*innen, also Haushalte mit vergleichsweise niedrigen Einkommen von weniger als 1.800 Euro netto pro Monat. Diese Bevölkerungsgruppe, rund 30 Prozent aller Haushalte, ist wegen niedriger gesetzlicher Rentenansprüche besonders auf ergänzende Vorsorge angewiesen.

Zurückhaltung bei Aktien liegt nur bedingt an Unwissenheit

Gerade einmal 15,2 Prozent der Geringverdiener*innen verfügen über aktienbasierte Geldanlagen. Das sind deutlich weniger als Durchschnittsverdiener*innen (33,1 Prozent) und Besserverdiener*innen (51,7 Prozent). Mehr als die Hälfte der Geringverdiener*innen (52,1 Prozent) gibt an, nicht genügend Geld zur Verfügung zu haben. Zudem halten 69 Prozent der befragten Geringverdiener*innen aktienbasiertes Sparen für unattraktiv. Prof. Michael Heuser, wissenschaftlicher Direktor des DIVA, vermutet:

Das fehlende Interesse an aktienbasierten Anlageformen ist zumindest zu einem größeren Teil eine Folge fehlender Mittel.

Die Ergebnisse sollten der Politik zu denken geben, so Heuser weiter. Denn gerade Menschen, deren gesetzliche Rente nicht ausreicht, hätten auch keine Mittel für ergänzende eigene Vorsorge. Die Idee der Ampelkoalition, die Bürger*innen beispielsweise mit einem Obligatorium zusätzlich zu den Beiträgen zur gesetzlichen Rente zum Aktiensparen zu zwingen, gehe an Geringverdiener*innen vorbei. Heuser sagt:

Einem/Einer Bürger*in in die leeren Taschen zu greifen, wird wohl auf wenig Verständnis bei den Betroffenen stoßen. Und auch die EU-Kommission versucht, das falsche Problem zu lösen. Den Bürger*innen fehlt nicht der Zugang zum Kapitalmarkt, sondern schlicht das notwendige Geld.

Dass auch bei Geringverdiener*innen durchaus Kenntnisse zu makroökonomischen Zusammenhängen und zur Geldanlage vorhanden sind, zeigen die bevorzugten Mittel im Umgang mit der Inflation – denn auch diese Einkommensgruppe denkt zuerst an aktienbasierte Anlagen. Für 35,6 Prozent sind diese der beste Inflationsschutz noch vor Immobilien und Edelmetallen. Kryptowährungen bilden das Schlusslicht.

Interessant: Diejenigen befragten Geringverdiener*innen, die mit Aktien sparen, bescheinigen sich selbst mit 84 Prozent „sehr gute“ oder „eher gute“ fachliche Kenntnisse zur aktienbasierten Geldanlage. Dazu Heuser:

Wer sich mit dem Thema Aktiensparen beschäftigt, findet den Zugang zu renditstärkeren Anlagen. Dies deckt sich mit der Einschätzung der EU-Kommission, dass die finanzielle Allgemeinbildung der Bevölkerung gestärkt werden sollte. Denn es ist wünschenswert, dass auch die Geringverdiener*innen, die sich nicht auskennen und Aktien für unattraktiv halten – immerhin zwei Drittel dieser Einkommensgruppe –, an das aktienbasierte Sparen herangeführt werden können.

Beratung ist ein Schlüsselfaktor für faire Zugangschancen

Mit 62 Prozent verzichten unter den geringverdienenden Anleger*innen etwas mehr Menschen auf Beratung im Vergleich zu den anderen Einkommensklassen. Heuser sagt:

Die leicht geringere Inanspruchnahme von Beratung bei Geringverdiener*innen dürfte durchaus an den massenhaften Schließungen von Bank- und Sparkassenfilialen liegen. Natürlich waren es in der Vergangenheit in erster Linie die Banken, die auch Kleinkund*innen auf Möglichkeiten der Geldanlage angesprochen haben. Mit den Filialschließungen verlieren Menschen in den unteren Einkommensschichten den traditionellen, leichten Zugang zur Beratung und sind mehr denn je auf sich allein gestellt.

Die Folge: Aktienbesitzer*innen mit mittleren und höheren Einkommen stehen weiter im Fokus der Geldhäuser und lassen sich, sofern sie Beratung in Anspruch nehmen, in knapp 50 Prozent aller Fälle von der Bank oder Sparkasse beraten. Bei den geringverdienenden Aktienbesitzer*innen beträgt diese Bankquote nur 21 Prozent. Ihre letzte Meile zur Finanzentscheidung, so Heuser, würde immer mehr der Vermögensberater. Der entsprechende Wert liegt laut Studie mit 34 Prozent weit vor allen anderen Beratungswegen. Dr. Helge Lach, Vorsitzender des BDV Bundesverband Deutscher Vermögensberater und Träger des DIVA, dazu:

Auch diese Ergebnisse liefern Erkenntnisse für die Politik. Persönliche Finanzberater*innen leisten zunehmend eine sozialpolitisch wichtige Funktion. Sie sind schlank aufgestellt, auch in der Fläche präsent und bringen somit die besten Voraussetzungen mit, um Geringverdiener*innen bei Vermögensaufbau und Altersvorsorge zu unterstützen. Insbesondere in der EU-Kommission sollte das gesehen werden: Wenn gerade für die weniger kenntnisreichen Privatkund*innen mit niedrigen und mittleren Einkommen der Marktzugang verbessert werden soll, dann kommt es entscheidend auf die freien Berater*innen an.

Diese sind es laut Lach, die den Bürger*innen die Möglichkeiten des aktienbasierten Sparens erklären und beim Abschluss von Verträgen helfen. Die immer stärkere Regulierung der Beratung und Diskussionen über die Provisionen seien deshalb kontraproduktiv. Die EU-Kommission sei auf dem falschen Weg, so Lach abschließend.