Impulse von VOTUM: „Mit neuer Perspektive in die Zukunft“

A businessman watching over the city. © James Thew – fotolia.com

Der VOTUM Verband veröffentlichte heute sein Impuls- und Forderungspapier an die kommende Regierungskoalition der 20. Legislaturperiode. Mit diesem Papier richtet die Finanzdienstleistungsbranche klare Appelle an die Bundespolitik. Neben der Forderung nach einem „Neustart durch Perspektivwechsel“ werden die Themenschwerpunkte auf die zentralen Bereiche Nachhaltigkeit und Rente gelegt.

Impulse von VOTUM, dem Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungsunternehmen in Europa e.V., an die Regierungskoalition der 20. Legislaturperiode:

Neustart durch Perspektivwechsel

Die Bundestagswahl 2021 wird zur Zäsur. Die Wahlprogramme sind geschrieben. Die Wahlwerbespots sind gedreht. Nach 16 Jahren unter Bundeskanzlerin Angela Merkel steht Deutschland eine richtungsweisende Entscheidung bevor. Die Eindrücke aus der jüngsten Vergangenheit, mit denen die Wählerinnen und Wähler zur Wahlurne schreiten, sind gemischt.

Die vergangenen vier Jahre haben die meisten Bürger als Stagnation empfunden. Selbst die regierenden Parteien haben dies erkannt und postulieren einen Neustart. Die Pandemie hat zu diesem Erkenntnisgewinn bei den Regierungsparteien beigetragen:

Die CDU/CSU ist der Ansicht, es sei richtig, dass die Pandemie schonungslos aufgezeigt habe, wo in unserem Land staatliche Strukturen besser werden müssen. Unser Staat brauche einen strukturellen Modernisierungsschub. [1]

Ja, wir brauchen einen strukturellen Modernisierungsschub – einen Neustart. Entscheidend hierfür: Ein Perspektivwechsel der Politik.

Es wird Zeit, dass die Politik den Blick nach innen richtet, anstatt im kommenden Koalitionsvertrag Unternehmen und Bürger mit weiteren Regulierungsvorhaben zu konfrontieren. Es gilt, die große Aufgabe zu meistern, den Staat grundlegend zu modernisieren. Die überfällige Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, eine Bildungspolitik, die dem Jahr 2022 und den bedeutendsten Zukunftspotenzial unseres Landes gerecht wird, sowie zukunftsweisende Infrastrukturprojekte sind nur Beispiele.

Im Namen der durch den VOTUM Verband vertretenen Unternehmen appellieren wir deshalb an die Politik: Halten Sie Inne! Wechseln Sie die Perspektive! Modernisieren Sie den Staat!

Die Methode dafür ist so einfach wie banal: Der Staat muss sich endlich wieder als Dienstleister der Bürger sehen! Der Bürgerservice muss in den Mittelpunkt staatlichen Handels gestellt werden. Es gilt die Bedürfnisse der Bürger aktiv zu erkennen und diese nicht als Bittsteller in eine Warteschlange einzureihen.

Wer in Deutschland einen Bauantrag stellt, bekennt sich nicht nur zu einer Zukunft in unserem Land, sondern trifft häufig auch die größte Investitionsentscheidung seines Lebens. Dem muss durch einen herausragenden Behördenservice Rechnung getragen werden. Alleinerziehende, die ihren Beruf weiter ausüben wollen und dafür einen sicheren KITA-Platz benötigen, brauchen vom Staat nicht einen Stapel Formulare, sondern aktive Vermittlungsarbeit.

Auch Gesetze, Verordnungen und Vorschriften gehören grundlegend auf den Prüfstand. Was überflüssig ist, muss weg. Was unverständlich ist, muss ersetzt werden. Was zu komplex ist, muss vereinfacht werden. Das wäre eines der effektivsten Konjunkturprogramme, das von der Politik angestoßen werden muss – und das ganz ohne Steuergeld.

Die nächste Regierung hat viele Chancen durch eine moderne Gestaltung unseres Staates mit gutem Beispiel aus der Krise voranzugehen. Wirtschaft und Bürger benötigen nach dem Verordnungsmarathon der letzten Jahre eine Atempause.

Das Wichtigste zuerst

Wenn man die Wähler befragt, welche Themen ihnen besonders wichtig sind, werden neben der Sorge, dass Deutschland in den letzten Jahren an Organisations- und Handlungsfähigkeit eingebüßt hat und grundlegender Verbesserung bedarf, zwei maßgeblichen Großbaustellen benannt: Eine verlässliche Linie bei der Rente und eine zupackende Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft.

1.   Rente

Eine nachhaltige Rentenpolitik, die einen fairen Interessenausgleich zwischen Erwerbstätigen und Rentenbezieher gewährleistet, ist von zentraler Bedeutung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und den sozialen Frieden. Deutschland kann sich weder eine Überforderung der jungen Generation leisten noch Altersarmut billigen.

Die nächste Bundesregierung muss richtungsweisende Entscheidungen treffen. Gerade weil diese Weichenstellungen erst in der Zukunft Wirkung entfalten und von dem Bürger kaum überprüft werden können, muss zwischen der Regierung und den Bürgern eine Vertrauensbasis bestehen.

Das Vertrauen jedes Einzelnen in die fundierte Planung und wohl überdachte Prüfung staatlicher Maßnahmen ist die Basis, die politische Gestaltung erst möglich macht. Es muss das oberste Gebot für die Politik sein, dieses Vertrauen nicht zu gefährden – sei es durch Unaufrichtigkeit, Irreführung oder Untätigkeit.

Altersvorsorge zukunftsfest reformieren

In der zurückliegenden Legislaturperiode wurde dieses Gebot zu oft verletzt. Dies kann nicht allein mit der Corona-Pandemie entschuldigt werden. Die Rentenkommission Gerechter Generationenvertag blieb ohne Ergebnis und ihr Schlussbericht ein Beweisdokument für die Handlungsunfähigkeit einer verbrauchten Koalition.

Weder die Altersabsicherung der Selbständigen noch die Riester-Reform wurden umgesetzt. Das alles sind Aufgaben, die von der neuen Regierung zu meistern sind und an denen sie sich zu messen lassen hat.

Erfolgsmodell Drei-Säulen-System

Deutschland hat in der Vergangenheit die richtige Entscheidung getroffen, die Altersvorsorge auf drei Säulen aufzubauen. Dieses Erfolgsmodell gilt es für die Zukunft zu stabilisieren.

Vor dem Hintergrund einer für die nächsten 25 Jahre vorhersehbaren demografischen Entwicklung muss jeder Idee, die eine Schwächung oder gar einen Verzicht auf eine kapitalgedeckte Altersvorsorge in der zweiten und dritten Säule vorsieht, eine deutliche Absage erteilt werden.

Umlageverfahren nicht überbelasten

Eines steht fest: Allein durch das Umlageverfahren in der gesetzlichen Rente werden wir für breite Bevölkerungsschichten keine auskömmlichen Renten mehr erreichen. Die Rekordzahlen bei den Erwerbstätigen liegen hinter uns. Wer Rentenpolitik gestaltet und dies ignoriert oder aber ohne verlässliche Zahlenbasis einen Anstieg herbeihofft, handelt unredlich und verspielt Vertrauen.

Eine Erweiterung der gesetzlichen Rentenpflicht auf Selbstständige und Beamte mag kurzfristig die Rentenkasse befüllen. Jeder neu hinzukommende Einzahlende ist aber zugleich auch ein zukünftiger Anspruchsinhaber. Milchmädchenrechnungen wie diese sind trügerisch. Vor dem Hintergrund steigender Lebenserwartung ist der Ruf nach einem späteren Renteneintritt verständlich. Er bedeutet jedoch für viele Berufsgruppen schlicht eine versteckte Rentenkürzung, da sie ihrem Beruf kaum bis zum 70. Lebensjahr ausüben können.

Doppelverbeitragung beseitigen

Neben dem Umlageverfahren bedarf es deshalb des Aufbaus einer individuellen kapitalgedeckten Rente durch jeden Einzelnen. Die Politik muss die Anreize in der zweiten und dritten Säule verbessern. Hierzu gehört eine klare Vermeidung von Doppelverbeitragung in der betrieblichen Altersvorsorge und Vereinfachungen in der geförderten privaten Altersvorsorge.

Gerade auch in der betrieblichen und privaten Altersvorsorge gilt es das Vertrauen der Bürger nicht zu verspielen und überstrapazieren. Wer lange in die betriebliche Altersvorsorge eingezahlt hat und in der Bezugsphase sieht, dass seine Zusatzrente durch Krankenkassenbeiträge und Steuern dahinschmilzt, fragt sich, warum er überhaupt gespart und nicht wie andere konsumiert hat.

In der Riester-Rente wurde ein weltweit einzigartiger Bestand von über 16 Millionen Altersvorsorgeverträgen aufgebaut. Jedes Reformwerk muss daher auf den Erhalt dieser individuellen Vertragsansprüche ausgerichtet sein und seiner Vereinfachung in der Abwicklung und dem zukünftigen Ausbau dienen.

Wer leichtfertig in den Abgesang auf die Riester-Rente einstimmt und deren vermeintliches Scheitern konstatiert, muss damit rechnen, dass nicht nur die heutigen Riester-Sparer, sondern auch die zukünftigen Generationen ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber staatlichen Rentenmaßnahmen entwickeln.

Private Altersvorsorge muss privat bleiben

Dies gilt ebenso gegenüber Plänen für einen staatlich verwalteten Rentenfonds. Die Riester-Rente ist heute insbesondere durch ihre Staatsferne gekennzeichnet. Jeder, der einzahlt, erwirbt individuelle und höchsteigene Ansprüche gegenüber seinem Vertragspartner, die dem stattlichen Zugriff entzogen sind.

Demgegenüber kann kein Politiker garantieren, dass nicht die nächste Politiker-Generationen in einer als krisenhaft empfundenen Zeit ein staatlich verwaltetes Fondsvermögen zweckentfremdet. Die Bürger Irlands mussten dies unlängst schmerzhaft erfahren. [2]

Die Politik muss es den Bürgern ermöglichen, individuelle Ansprüche bei privaten Vertragspartnern aufzubauen. Wahlmöglichkeiten müssen erweitert und dürfen nicht eingeschränkt werden. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit, auf unnötige Garantien jeder Art verzichten zu können.

Sofortige Minimal-Riesterreform statt fataler Untätigkeit

Klar ist: Große Reformen wie diese brauchen Zeit im politischen Entscheidungsfindungsprozess. Klar ist aber auch: Die ausgebliebene Reform der staatlich geförderten, privaten Altersvorsorge sowie die anhaltende Niedrigzinsphase in Kombination mit der Absenkung des Höchstrechnungszinses bedeuten das faktische Aus für geförderte Altersvorsorgeprodukte mit 100-prozentiger Beitragsgarantie.

Eine Vielzahl von Versicherern und Kapitalverwaltungsgesellschaften haben bereits angekündigt, bei diesen Rahmenbedingungen keine entsprechenden Produkte mehr anbieten zu können. So droht eine Versorgungslücke bei geförderten Altersvorsorgeverträgen zu entstehen, die gerade Geringverdiener und Familien am notwendigen Aufbau einer privaten Altersvorsorge hindert.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn nach der Bundestagswahl nicht unverzüglich gehandelt wird, bleibt die steuerlich bevorzugte Basis-Rente (Rürup-Rente) bestehen – die Riester-Rente hingegen verschwindet. Eine Ungleichbehandlung von Bevölkerungsschichten, die keine Partei wollen kann!

Absenkung des Garantieniveaus unverzichtbar

Unabhängig vom Wahlausgang und der zukünftigen Regierungskoalition müssen daher alle Parteien das Bestreben haben, durch eine sofort und leicht umzusetzende Minimal-Reform die auch vor dem Hintergrund der Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich bedenkliche Angebotslücke zu schließen. Hierzu bedarf es lediglich der Absenkung des gesetzlichen Garantieniveaus auf 80 Prozent der gezahlten Beiträge.

Aufgrund der Langläufigkeit der abgeschlossenen Verträge wird diese Garantieabsenkung nicht dazu führen, dass den Bürgern zum Auszahlungszeitraum ihrer Verträge weniger Bezüge zur Verfügung stehen.

Das Gegenteil ist der Fall: Sie werden eine Steigerung ihrer Bezüge erfahren, da es den Anbietern mit dieser Minimal-Reform möglich ist, renditeträchtigere Produkte bei einer angemessenen Risikoabsicherung anzubieten.

Es ist ein Paradox, dass einige Parteien bei den von ihnen geforderten Staatsfonds auf Garantien verzichten wollen, jedoch ein bloße Garantieabsenkung bei den Riester-Produkten blockieren.

Schnelle Umsetzung möglich

Der gesetzgeberische Schritt einer solchen Minimal-Reform ist einfach umzusetzen. Im Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz ist in § 1 Abs. 1 Ziffer 3 folgende Änderung vorzunehmen:

„3. In welcher der Anbieter zusagt, dass zu Beginn der Auszahlungsphase zumindest 80 Prozent der eingezahlten Altersvorsorgebeiträge für die Auszahlungsphase zur Verfügung stehen und für die Leistungserbringung genutzt werden […].“

Alle Parteien sind aufgefordert, diese Minimal-Reform in ihren Koalitionsverhandlungen zu berücksichtigen, um sich für die notwenigen Anpassungen der privaten geförderten Altersvorsorge Zeit und Handlungsopportunitäten zu schaffen, welche nicht zu Lasten ihrer Wähler gehen.

Die Absenkung des Garantieniveaus auf 80 Prozent ist ein unverzichtbarer Schritt im Interesse aller Vorsorgesparer in Deutschland.

2.    Nachhaltige Gesellschaft

Der Wandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft ist alternativlos. Diese Erkenntnis ist nunmehr endgültig in der Politik angekommen. Die Umsetzung betrifft alle Lebensbereiche – weltweit.

Ideen- und Technologieoffenheit statt Verbote und starre Vorgaben

Das Ziel ist klar: Die Entwicklung hin zu einer klimaneutralen, gerechten und zukunftsorientierten Gesellschaft. Dieser Weg kann nur über Ideen- und Technologieoffenheit führen. Starre Verbote bringen uns nicht weiter. Es braucht Kreativität, Mut, Erfindergeist – und die passenden politischen Rahmenbedingungen.

Während der Corona-Pandemie haben uns BioNTech und Co. in beeindruckender Art und Weise demonstriert, wie fundamentale Herausforderungen bewältigt werden können: Mit technologischen Lösungen anstatt mit bürokratischem Kleinklein.

Sustainable Finance ermöglichen

Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren steht zukünftig auch im Bereich der Kapitalanlage im Vordergrund. Auch der Weg hin zu einer nachhaltigen Finanzwirtschaft ist unumkehrbar.

Es ist zu begrüßen, dass Deutschland eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung der europäischen Maßnahmen einnehmen möchte. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass durch nationale Alleingänge des Gesetzgebers oder der Finanzaufsicht die Handlungsalternativen der deutschen Anbieter eingeschränkt werden.

Dem Kampf gegen den Klimawandel ist nicht gedient, wenn deutsche Kapitalverwaltungsgesellschaften strengeren Regularien unterworfen werden als die Unternehmen in den europäischen Nachbarländern.

Dies würde lediglich zu einer Kapitalflucht ins Ausland führen und die Anlagen deutscher Sparer würden der deutschen Finanzaufsicht entzogen. Damit ist weder dem Klima- noch dem Verbraucherschutz gedient.

Gelungene Nachhaltigkeit statt bürokratischer Abschreckung

Entscheidend ist, die Anleger bei ihrer Investitionsentscheidung mit auf den Weg zu nehmen und dazu anzuregen, Nachhaltigkeitsziele zu berücksichtigen. Eine Überforderung muss dabei auf jeden Fall vermieden werden.

Wenn die Befragung der Verbraucher bei der Anlageberatung überkompliziert wird und die Anleger granular nach über 20 unterschiedlichen Nachhaltigkeitspräferenzen befragt werden, führt dies eher zu Abwehrreaktionen als zu einer Zuwendung zu Nachhaltigkeitszielen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer klaren, einfachen und verständlichen Beratung.

Wichtig ist, dass wir uns auf den Weg machen zu einer nachhaltigen Geldanlage und dies nicht mit einer Überbürokratisierung und -perfektionierung blockieren. Der Weg hin zu nachhaltigen Geldanlagen führt über Erleichterungen und Anreize für nachhaltiges Investieren und nicht über ein überkomplexes Regelungswerk.

Sustainable Finance muss sich an den weltweiten Finanzmärkten durchsetzen. Eine Lösung mit vermeintlich perfekten Laborbedingungen in Deutschland hilft niemanden.

Finanzdienstleistungsbranche als Schlüsselindustrie

Über 200.000 Versicherungs- und Anlagevermittler beraten die Bürger zu Fragen rund um die Themen Daseinsvorsorge, Altersabsicherung und Vermögensaufbau. Um die fundamentalen Themen Nachhaltigkeit und Altersvorsorge in der Breite der Bevölkerung zu beraten und verankern existiert damit bereits eine Schlüsselindustrie.

Die Politik muss erkennen, dass die Lösung der großen Herausforderungen der Nachhaltigkeit und Altersvorsorge nur über diese Schlüsselindustrie führt. Ohne die Finanzdienstleistungsbranche und ihre Berater wird uns die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft nicht gelingen und Altersarmut nicht verhindert werden können. Die Politik muss das Potenzial dieser Schlüsselindustrie noch viel stärker als bisher nutzen und fördern, anstatt sie mit Überbürokratisierung zu blockieren.

Die Finanzdienstleistungsbranche macht der Politik das Angebot zur Aufnahme eines konstruktiven Dialogs, um gemeinsam optimale Lösungen für die fundamental wichtigen Fragen zu finden.

 

[1] Vgl. Antwort der CDU/CSU auf VOTUM-Wahlprüfsteine
[2] https://www.gdv.de/de/themen/news/warum-der-staat-als-vermoegensverwalter-ein-grosses-risiko-waere-13580