Rentenniveau stabil, Probleme ungelöst: Warum das neue Rentenpaket keine Antwort auf die demografische Krise ist
Mit dem Rentenpaket zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zur Ausweitung der sogenannten Mütterrente III hat die Bundesregierung ein Vorhaben auf den Weg gebracht, das sozialpolitisch wohlmeinend, finanzpolitisch jedoch hoch problematisch ist. Die zentrale Botschaft: Die gesetzliche Rente bleibt verlässlich – jedenfalls bis 2031. Das Rentenniveau soll nicht unter 48 Prozent sinken, und Eltern, die vor 1992 geborene Kinder erzogen haben, werden bei der Anrechnung von Erziehungszeiten vollständig gleichgestellt. Doch was nach Ausgleich klingt, ist in Wahrheit eine politische Verschiebung von Lasten – und keine Lösung der strukturellen Probleme des umlagefinanzierten Rentensystems.
Politischer Kurzfristnutzen statt langfristiger Nachhaltigkeit
Der Gesetzentwurf (BT-Drs. 21/1929) verlängert die sogenannte Haltelinie, die ursprünglich bis 2025 befristet war, nun bis zum Jahr 2031. Sie garantiert ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent – also das Verhältnis zwischen der Standardrente eines Modellrentners mit 45 Beitragsjahren und dem durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt. Ohne diese Haltelinie würde das Rentenniveau laut Prognosen der Bundesregierung bis 2031 auf rund 47 Prozent absinken, langfristig sogar darunter. Die nun vorgesehene Verlängerung soll diesen Rückgang verhindern und damit Rentensteigerungen stärker an die Lohnentwicklung koppeln.
Finanziert werden diese zusätzlichen Rentenausgaben jedoch nicht über die gesetzliche Rentenversicherung selbst – deren Beitragssatz soll stabil bleiben –, sondern aus dem Bundeshaushalt. Die zusätzlichen Kosten steigen ab 2029 auf 3,6 Milliarden Euro, im Jahr 2030 auf 9,3 Milliarden Euro und erreichen 2031 bereits 11 Milliarden Euro. Diese Beträge addieren sich bis 2040 laut Bundesrechnungshof auf rund 150 Milliarden Euro – eine enorme fiskalische Belastung, die weit über das Ende der Haltelinie hinauswirkt.
Mütterrente III: Gleichstellung mit Preis
Mit der „Mütterrente III“ wird eine rentenpolitische Lücke geschlossen, die lange kritisiert wurde: Künftig werden auch für vor 1992 geborene Kinder volle drei Jahre Kindererziehungszeit angerechnet. Bisher waren es lediglich zweieinhalb Jahre. Die Reform betrifft rund zehn Millionen Menschen – überwiegend Frauen – und stellt diese mit Eltern gleich, deren Kinder ab 1992 geboren wurden.
Auch diese Leistung ist eine versicherungsfremde, das heißt: Sie wird vollständig aus Steuermitteln finanziert. Allein im Jahr 2028 wird ein zweifacher Zahlungsbedarf entstehen – rückwirkend für 2027 sowie laufend ab 2028 – was zu einem einmaligen Mittelabfluss von zehn Milliarden Euro führt. In den Folgejahren belaufen sich die Kosten stabil auf etwa fünf Milliarden Euro jährlich, sinken laut Schätzungen des Gesetzentwurfs bis 2040 auf rund vier Milliarden Euro.
Ökonomische Kritik: Technischer Kniff mit Dauerwirkung
In einem Beitrag in der FAZ haben die Ökonomen Lars Feld und Clemens Fuest den Gesetzentwurf als fiskalpolitisch riskant und ordnungspolitisch bedenklich eingeordnet. Besonders kritisieren sie, dass das Rentenniveau ab 2032 auf dem durch die Haltelinie künstlich erhöhten Niveau fortgeschrieben wird. Zwar läuft die Haltelinie offiziell aus, doch sie wirkt weiter – als Ausgangsbasis kommender Rentenanpassungen. Damit werden dauerhaft jährliche Zusatzlasten von rund 15 Milliarden Euro zementiert.
Hinzu kommt ein fundamentaler Systemwechsel: Die bisherigen pauschalen Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung sollen künftig differenziert berechnet werden – der Bund übernimmt exakt die Differenz zwischen hypothetischer und tatsächlicher Ausgaben. Diese Neuregelung schwächt das Prinzip der Beitragsäquivalenz – also die Verbindung von individuellen Beiträgen und Ansprüchen – und öffnet einer progressiven Steuerfinanzierung der Rente strukturell Tür und Tor. Eine solche Entwicklung rückt die gesetzliche Rente weiter in Richtung staatlicher Transferleistung – mit allen damit verbundenen Risiken für fiskalische Steuerung, Generationengerechtigkeit und politische Akzeptanz.
Auswirkungen auf die private Vorsorge
Für die Versicherungswirtschaft ist dieser Gesetzentwurf in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Einerseits wird das Leistungsversprechen der gesetzlichen Rente politisch gestützt – das Rentenniveau bleibt vorerst stabil. Andererseits geschieht dies um den Preis wachsender Steuerlasten und struktureller Unwuchten. Die eigentlichen Herausforderungen – die Alterung der Bevölkerung, die sinkende Zahl von Beitragszahlern, die gestiegene Lebenserwartung – werden nicht adressiert, sondern vertagt.
Gerade deshalb bleibt private Vorsorge unverzichtbar. Die Spielräume für heutige Beitragszahler und kommende Generationen werden durch die staatlichen Zusagen enger statt weiter. Wer seine Alterssicherung auf ein belastbares Fundament stellen will, sollte nicht auf politische Garantien, sondern auf ergänzende kapitalgedeckte Systeme setzen. Die Versicherungswirtschaft ist hier mehr denn je gefordert, tragfähige Lösungen zu bieten – transparent, verlässlich und generationengerecht.
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