ARD preist Telematik-Tarife – doch wie freiwillig ist das digitale Fahren wirklich?

Im Beitrag der Tagesschau zu Telematik-Tarifen bei Kfz-Versicherungen dominiert ein optimistischer Grundton. Die Erzählung: Wer umsichtig fährt, spart – bis zu 30 % Rabatt sind möglich. Möglich macht das die kontinuierliche Erfassung des Fahrverhaltens über Apps oder Dongles, die Kurvenverhalten, Bremsmanöver und Fahrzeiten analysieren.

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Telematik-Tarife markieren eine stille Verschiebung in der Versicherungslogik.Foto: Adobestock

Doch was vordergründig nach einem fairen Bonussystem klingt, wirft bei genauerem Hinsehen grundlegende Fragen auf – nicht nur hinsichtlich Datenschutz, sondern auch in Bezug auf Transparenz, Verhaltenssteuerung und soziale Gerechtigkeit.

Belohnung durch Beobachtung: Ein neuer Standard?

Die Erzählung vom „smarten Tarifmodell“ folgt einem vertrauten Muster: Digitalisierung als Effizienzgewinn, Technik als Allheilmittel. Dabei bleibt unklar, nach welchen Kriterien die Bewertung des Fahrverhaltens erfolgt. Wie genau ein „guter“ Fahrer definiert wird, wissen meist nur die Algorithmen – und die sitzen bei den Versicherern.

Die Anbieter beteuern zwar, die gesammelten Daten sicher und DSGVO-konform zu verarbeiten. Doch diese Zusicherung wirkt angesichts fehlender unabhängiger Prüfstrukturen eher wie eine Vertrauensübung. Gerade weil die Systeme Black Boxes sind, ist das Missbrauchspotenzial real – etwa bei der Profilbildung oder in der Weiterverwendung der Daten jenseits der Prämienberechnung.

Dauerbewertung als Normalzustand

Prof. Horst Müller-Peters vom Institut für Versicherungswesen der TH Köln betont in einer Studie, dass Versicherte Telematik-Tarife als gerecht empfinden, wenn sich diese auf beeinflussbare Verhaltensmerkmale beziehen. Allerdings sinkt die Akzeptanz deutlich, wenn schwer veränderbare Lebenssituationen oder das Schicksal der Versicherten einbezogen werden. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Bewertungskriterien transparent und nachvollziehbar zu gestalten, um soziale Benachteiligungen zu vermeiden.
Die Problematik geht über Datenschutz hinaus. Menschen, die berufsbedingt nachts oder zu Stoßzeiten fahren müssen – etwa Pflegekräfte, Lieferdienste oder Pendler – können strukturell benachteiligt werden. Ein ökonomischer Anreiz wird so zum sozialen Filter.

Medien als Multiplikator – aber in welche Richtung?

Der ARD-Beitrag fällt vor allem dadurch auf, was er nicht tut: kritische Rückfragen stellen. Weder Datenschutzbehörden noch Verbraucherschützer kommen zu Wort. Stattdessen dominieren Stimmen aus der Versicherungsbranche – flankiert von Nutzerzitaten, die das System positiv bewerten. Es ist ein Narrativ, das Innovation mit Akzeptanz verwechselt und die strukturellen Implikationen ausblendet.

Für ein Medium mit öffentlich-rechtlichem Auftrag ist diese Einseitigkeit problematisch. Denn gerade im Spannungsfeld von Technologie, Ökonomie und Gesellschaft ist Differenzierung essenziell. Wer hier zu sehr auf Branchenlogik setzt, läuft Gefahr, Teil der PR-Strategie zu werden.

Die stille Macht der Algorithmen

Telematik-Tarife markieren eine stille Verschiebung in der Versicherungslogik – vom Solidarmodell zur verhaltensbasierten Risikoselektion. Wer teilnimmt, gibt Daten preis, öffnet sich der Bewertung durch Maschinen – und verliert ein Stück Selbstbestimmung. Dass diese Entwicklung so unkritisch begleitet wird, wirft Fragen auf – nicht nur an die Branche, sondern auch an den Journalismus selbst.

Denn letztlich geht es um mehr als Prämien. Es geht um die Grundsatzfrage, wie freiwillig der digitale Alltag eigentlich noch ist – und wer die Regeln dieser neuen Spielräume definiert.

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