Kfz-Versicherung: „Das Telematik-System ist der Aufpasser mit erhobenem Zeigefinger“

Telematik-Versicherungstarife mit Bonus-Malus-Modell stoßen bei vielen Autofahrern auf Skepsis, zeigt eine Studie der TH Köln. Mangelnde Transparenz, fragwürdige Risikobewertungen und die Wahrnehmung als „Aufpasser-System“ erschweren die Akzeptanz. Die Ergebnisse werfen Fragen zur Zukunft solcher Tarife auf.

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„In seiner jetzigen Form ist das Telematik-System der Aufpasser mit erhobenem Zeigefinger“, so Prof. Dr. Tim Jannusch von der TH Köln.„In seiner jetzigen Form ist das Telematik-System der Aufpasser mit erhobenem Zeigefinger“, so Prof. Dr. Tim Jannusch von der TH Köln.DALL-E

Versicherungen nutzen Telematik-Tarife, um das Fahrverhalten ihrer Kunden mittels Sensorboxen zu bewerten und Prämien individuell anzupassen. Während derzeit meist ein Rabatt für die Nutzung gewährt wird, könnten künftige Tarife auch einen Malus für riskante Fahrweisen vorsehen. Wie Autofahrer dieses Modell bewerten, untersuchte eine Studie des Instituts für Versicherungswesen der TH Köln in Zusammenarbeit mit der University of Limerick.

„Zurzeit sind Telematik-Versicherungstarife in Deutschland ein Nischenprodukt. Mit kontinuierlich steigenden Beiträgen für reguläre Policen könnte sich dies ändern. Aktuell erhalten Kunden für die reine Nutzung des Telematik-Produktes einen Rabatt auf ihren Versicherungsbeitrag. Das ist auch dann der Fall, wenn sie zur Gruppe der riskanten Autofahrenden gehören“, erklärt Prof. Dr. Michaele Völler von der TH Köln. Damit ein Bonus-Malus-Modell jedoch wirklich risikogerecht wäre, müssten Autofahrer mit schlechtem Fahrverhalten mehr zahlen.

Kritik an Transparenz und Risikobewertung

Die qualitative Untersuchung mit 19 Telematik-Nutzern zeigte sechs zentrale Akzeptanzprobleme. Dazu zählen Intransparenz und eine als ungerecht empfundene Risikobewertung. „Für Nutzende ist nicht immer klar verständlich, warum der Fahrwert sinkt. Das führt zu Frustration und Ablehnung“, erläutert Studienleiter Prof. Dr. Tim Jannusch. Zudem seien bestimmte Fahrmanöver wie abruptes Bremsen nicht kontextabhängig bewertbar – auch wenn sie zur Unfallvermeidung notwendig seien.

Ein weiteres Problem: Autofahrer fühlten sich durch das Feedback des Systems in ihrem positiven Selbstbild als sichere Fahrer in Frage gestellt. „Viele Menschen haben ein jahrzehntelang etabliertes, positives Selbstbild als Autofahrende, das durch Unfallfreiheit, steigende Schadenfreiheitsklassen oder Feedback von Mitfahrenden fortlaufend bestätigt wird. Ein niedriger Fahrwert im Telematik-Tarif stellt dies schmerzhaft in Frage“, so Jannusch.

Gefahr von Fehlanreizen

Die Studie zeigte zudem eine unerwartete Nebenwirkung: Einige Befragte berichteten, dass sie sich gezwungen fühlten, ihr Fahrverhalten anzupassen – auch auf riskante Weise. „Eine Person sagte uns: ‚Manchmal fahre ich einfach über dunkelgelbe oder rote Ampeln, nur um nicht zu bremsen‘“, berichtet Jannusch.

Neben Datenschutzbedenken wurden auch technische Probleme wie die Installation der Sensorbox kritisiert. Die Forscher sehen Anpassungsbedarf in der Kommunikation mit den Kunden. „In seiner jetzigen Form ist das Telematik-System der Aufpasser mit erhobenem Zeigefinger“, fasst Jannusch zusammen. Ohne einen finanziellen Anreiz werde es schwer, riskanter fahrende Autofahrer für ein solches Modell zu gewinnen.

Die Erkenntnisse sollen Versicherern helfen, Telematik-Tarife attraktiver zu gestalten – etwa durch eine kontextsensitivere Bewertung und eine weniger konfrontative Feedback-Kommunikation.

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