Sind Vergleichsportale schon Open Insurance?

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Vergleichsportale sind in der modernen Online-Welt so allgegenwärtig, dass inzwischen die Abgrenzung zu Verkaufsplattformen zusehends verschwimmt. Auch Versicherungsverträge können bereits über diesen Kanal abgeschlossen werden. Ist das bereits Open Insurance und was bedeutet diese Entwicklung für Versicherer?

Ein Beitrag von Alexander Tomenendal, Delivery Partner bei Endava.

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In einer Umfrage des Bitkom gaben 43 Prozent der Befragten an, sich bei Online-Vergleichsplattformen über Versicherungen zu informieren. Auch wenn Makler und die Online-Auftritte der Versicherer noch häufiger als Informationsquelle herangezogen werden, sollten Versicherungsunternehmen hier hellhörig werden: Denn schon längst können Verbraucher auf diesen Seiten nicht nur verschiedene Angebote vergleichen, sondern auch direkt Verträge abschließen, verlängern und Schäden melden. Droht nun den Versicherern die Interaktion mit dem Kunden zu entgleiten und verlieren sie damit eines der wichtigsten Assets der Branche?

Schnittstellen als Basis für Open Insurance

Um sich der Bedeutung dieser Entwicklung für Versicherer zu nähern, muss man zunächst das Konzept hinter Open Insurance verstehen. Eine allgemeingültige Definition gibt es aktuell nicht, aber ganz allgemein geht es um Geschäftsmodelle, die auf dem Austausch von Daten über Schnittstellen zwischen verschiedenen Partnern basieren. Hier lassen sich auch Parallelen zu Open Banking ziehen, das bereits stärker am Markt etabliert ist.

Dazu hat sicherlich auch die verpflichtende Öffnung von Zahlungsverkehrsschnittstellen durch die PSD2 beigetragen, die seit Januar 2018 in nationales Recht der EU-Staaten umgesetzt sein muss. Im Versicherungssektor existieren solche verbindlichen Vorgaben noch nicht. Die offenen Schnittstellen, die es dort gibt, sind aus Eigeninitiative der Unternehmen entstanden – von staatlicher Seite gibt es hierzu noch keine Initiativen.  

Interne Software-Schnittstellen (Application Programming Interfaces, APIs) gibt es in der Branche ohnehin bereits und bei Open-Insurance-Ansätzen geht es nun darum, diese APIs auch für externe Partner zu öffnen. Die notwendigen Infrastrukturen sind daher in großen Teilen bereits vorhanden und für ein einheitliches Open-Insurance-Ökosystem bedarf es eigentlich nur noch einer Standardisierung. Offen ist allerdings noch, ob diese nur aus der Branche heraus getrieben wird oder ob es in Zukunft gesetzliche Vorgaben analog zur PSD2 geben wird.

Der Schritt von internen Schnittstellen zum offenen Informationsaustausch zwischen Marktteilnehmern bringt eine Vielzahl neuer Fragen mit sich. So müssen sich nicht nur verschiedene – üblicherweise mehr als zwei – Parteien auf gemeinsame Anforderungen und Spezifikationen einigen. Getrennte Entwicklungsteams müssen außerdem Abhängigkeiten und Zeitpläne synchronisieren. Und die zum Teil sehr unterschiedliche Datenmodellierung und -qualität sind soweit zu testen, anzugleichen und synchron zu halten, dass der Austausch über offene Schnittstellen funktioniert.

Auf rein technischer Ebene ist diese Standardisierung bereits gegeben und erfolgt derzeit überwiegend in Form von Representational State Transfer (REST) APIs, die eine Vielzahl von Datenformaten unterstützen. Diese kommunizieren über HTTP-Requests, um Standard-Datenbank-Funktionen, zum Beispiel Datensätze erstellen, lesen oder löschen, innerhalb einer Ressource auszuführen. Andere Standards, wie etwa GraphQL, gRPC oder Event-Driven Architecture (EDA), handhaben verschiedene Anforderungen besser, beispielsweise die API-Verwaltung, Performance oder spezielle Datenstrukturen.

Formate für den konkreten Datenaustausch

Doch es braucht auch auf anderer Ebene eine Standardisierung, nämlich beim konkreten Datenaustausch. Die Daten – und damit im Endeffekt auch die Produkte selbst – sowie die Prozesse für die Übertragung dieser Informationen müssen ebenfalls standardisiert werden. Dadurch wird beispielsweise festgelegt, wie viele Anfragen in dem Prozess gestellt werden müssen, welche Felder definiert sind und in welchen Formaten die Daten ausgetauscht werden.

Dabei können sich die Standards für verschiedene Use Cases unterscheiden, je nachdem, welche Daten geteilt und wie sie genutzt werden müssen. Versicherer, die solche Schnittstellen entwickeln wollen, sollten dafür ein API-Management-Team aufbauen. Zu dessen Aufgabe gehört es, genau zu definieren, was die Schnittstelle umfassen soll und welche Bedürfnisse von Kunden und Partnern erfüllt werden müssen. Hier gibt es bereits einige neue und etablierte Initiativen, die Unternehmen für ihre Zwecke nutzen können, beispielsweise vom BiPRO (Brancheninstitut für Prozessoptimierung), OPIN (Openinsurance.io) und mehr.

Der standardisierte Datenaustausch zwischen mehreren Parteien ist auch nur der erste notwendige Schritt einer Entwicklung, die in anderen Bereichen unter dem Stichwort Web3 bereits erheblich umfangreichere Anwendungen findet. Übertragen auf die Versicherungsbranche ist demnach abzusehen, dass Themen wie verteilte Datenhaltung, Vertrauensnetzwerke, Smart Contracts, Microinsurance und Peer-to-Peer Insurance spannende Entwicklungsfelder werden können.

Derzeit ist der Besitzanspruch auf Kunden und Verträge, den die Prozessbeteiligten nicht aufgeben oder sogar ausbauen möchten, eine ernstzunehmende Hürde beim Übergang zu einer dezentralen Web3-Anwendungslandschaft.

Die zentrale Plattform

Die APIs, über die sich verschiedene Partner des Ökosystems im Backend vernetzen, sind allerdings nur die Basis für Open Insurance. Für die Interaktion mit Kunden benötigt es noch eine Ebene: eine zentrale Plattform, über die sie Angebote verschiedener Dienstleister ansehen, vergleichen, beziehen und verwalten können.

Bekannte Vergleichsportale positionieren sich in diesem Bereich schon stark. So bietet der deutsche Marktführer bereits einen eigenen Versicherungsmanager an, der diese Funktionen umfasst. Ganz ähnlich hat sich das Portal bereits im Open Banking aufgestellt und eine eigene Vollbanklizenz erhalten. Für Kunden bietet dieser Plattformansatz einerseits den Vorteil, dass sie über einen zentralen Anlaufpunkt alle ihre Versicherungen verwalten können, aber auch Bankgeschäfte tätigen, Reisen buchen und vieles mehr. Langfristiges Ziel der Anbieter scheint zu sein, zu einem ähnlichen Aggregator im Dienstleistungsbereich zu werden, wie es Amazon bereits im Online-Handel ist.

Auf der anderen Seite erhalten die Portale eine enorme Marktmacht und versuchen, möglichst viel Gewinn zu erzielen. Dadurch könnten Services für Endkunden teurer werden als beim Direktbezug vom Anbieter. Die Plattformen erlangen außerdem eine große Menge Nutzerdaten aus verschiedenen Aspekten des Lebens der Kunden. Daneben entscheiden letztendlich auch nur die Plattformbetreiber, wem sie Zugang zu ihrem Angebot gewähren. Es ist also nicht sichergestellt, dass Kunden dort ein echter Marktquerschnitt präsentiert wird. Besonders, wenn sich Vergleichsportale auch als Verkaufsplattformen betätigen, besteht ein Interessenskonflikt in dieser Hinsicht. Listen sie die objektiv besten Anbieter auf den ersten Plätzen oder die, mit denen sie den meisten Umsatz generieren können?

Chancen und Risiken

Auch für die Versicherer haben Mischkonzepte aus Vergleichsportal und Verkaufsplattform Vorteile und Nachteile. Zunächst handelt es sich dabei um einen zusätzlichen neuen Kanal, der zur Kundenansprache und -akquise genutzt werden kann. Prinzipiell könnten so also interne Ressourcen geschont werden, wenn ein externer Dienstleister den größten Teil der Interaktion mit dem Kunden übernimmt. Das gleiche gilt für den Payment-Bereich; in der Regel wickeln die Plattformen auch alle Zahlungen ab.

Das führt aber auch direkt zu einem der größten Nachteile für Versicherer: Sie geben den Kundenkontakt aus der Hand. Vertrauen spielt in diesem Markt eine enorme Rolle und das Beziehungsgeflecht zwischen Maklern, Versicherern und Kunden wurde meist über Jahre oder sogar Jahrzehnte aufgebaut. Dieses Asset wird niemand leichtfertig aus der Hand geben wollen.

Fazit

Sind Vergleichsportale nun bereits Ansätze von Open Insurance? Sofern über sie die gesamte Customer Journey abgewickelt wird, bis hin zum Management bestehender Verträge, kann man das durchaus so sehen. Aufgrund des Vergleichscharakters wird dieser Ansatz allerdings in der Regel hauptsächlich preisgetrieben sein.

Für Versicherer stellt sich die Frage, ob sie sich darauf einlassen möchten oder nach Alternativen suchen. Eine Möglichkeit könnte sein, im Rahmen von Open Insurance eine eigene Plattform mit bewusst ausgewählten Partnern zu schaffen. Dies kann Kunden auch aktiv kommuniziert werden, um Vertrauen, Service sowie Qualität gegenüber dem Preis stärker in den Vordergrund zu rücken.

Bild (2): Endava