Erlaubt Bundesagentur doppeltes Kassieren von Kurzarbeitergeld und voller BSV?

Erlaubt Bundesagentur doppeltes Kassieren von Kurzarbeitergeld und voller BSV?
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Kurzarbeitergeld (KUG) gibt es als Sozialleistung gemäß dem dritten Sozialgesetzbuch nur subsidiär. Nach gesetzlicher Regelung werden Leistungen beziehungsweise versicherungsvertragliche Rechtsansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung (BSV) angerechnet, also abgezogen. Dies soll sich nun durch eine Anordnung der Bundesagentur für Arbeit (BA) vorübergehend geändert haben. Wirklich?

BSV gibt es (nur) für die, die mit Lebensmitteln irgendwie zu tun haben, inklusive Krankenhäusern, und betrifft konkret das Infektionsschutzgesetz. In Industrie- und Handwerk (wie etwa Frisöre) wären es eher Sachschäden als Ursache – dort heißt es Betriebsunterbrechungsversicherung, aber auch dort kann eine erweiterte Deckung vorgesehen sein.

„SGB III-Weisung vom 29.04.2020 – AZ 75095/75096“

Am 30.04.2020 teilte DEHOGA (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) etwa in Sachsen mit, dass befristet bis 31.12.2020 etwaige Leistungen der BSV, gleichviel ob vertraglich oder freiwillig, und gleichgültig ob ganz oder teilweise, nicht mehr auf das KUG angerechnet werden. Eine Einladung gleichsam doppelt kassieren zu können; da macht es dann auch Sinn sich nicht mit bis zu weniger als 15 Prozent abspeisen zu lassen, sondern die volle Versicherungssumme vom Versicherer (VR) zu fordern. Demgegenüber war zwischen Politikern und DEHOGA Bayern eine schwächere BA-Weisung in Aussicht gestellt worden: Es sollte möglich werden, dass nur „wirklich freiwillig“ von Versicherern bezahlte „Vergleichsbeträge“ von beispielsweise 15 Prozent der Versicherungssumme anrechnungsfrei bleiben. Für den Versicherungsnehmer ein Zuckerl obendrauf – ein erheblicher Vorteil für den Versicherer (VR). Eine solche Weisung hätte aber zu zahlreichen weiteren Unklarheiten und Fallstricken geführt.

Vereinbarungen zu Lasten des Sozialstaates?

Schließlich argumentieren die VR, dass der Staat ja zumindest 70 Prozent Kurzarbeitergeld bezahlen werde; und von den verbleibenden 30 Prozent bezahle man die Hälfte freiwillig, ohne Gerichtsverfahren, rasch. Andererseits darf kein Versicherungsvorstand irgendein Geld zum Nachteil seiner Gesellschaft einfach freiwillig leisten bzw. verschenken; dies wäre eine strafbare Untreue, § 266 StGB. Insofern spricht dann häufig viel dafür, dass die BSV eigentlich 100 Prozent leisten müsste, statt 15 Prozent Kulanzleistung. Versicherungsbedingung beziehungsweise Klauseln zum Nachteil des Verwenders

Die kundenfreundliche Auslegung, auch gegenüber Kaufleuten, betreffend Versicherungsbedingungen hat beim Bundesgerichtshof jahrzehntelange Tradition. Dabei gehen unklare Klauseln stets zu Lasten des Verwenders, der dann zahlen muss. Die Bundesagentur hatte vormals erklärt, dass – nur freiwillige – Leistungen nicht angerechnet werden, wenn also kein versicherungsvertraglicher Leistungsanspruch aus der BSV besteht.

Ein reines Gewissen schützt nicht vor Strafbarkeit. In der Anklageschrift heißt dies dann „gewissenlos“ – man hatte keines, oder es war betäubt oder wegen des raschen Geldvorteils allzu bereit, sich überlisten zu lassen. Leichtfertigkeit genügt beim Subventionsbetrug, § 264 StGB.

Abfindungsangebote mit Fallstricken in Abfindungsklauseln

Ein geflügeltes Wort besagt „Der kluge Kaufmann hat seine Akten stets fertig für den Prozeß“. Man wird also nach allen Seiten zu prüfen haben – Versicherungsrecht und Sozialgesetzbuch. Wenn nicht nur ein Verband sogar rät, auch sichere BSV-Ansprüche nicht geltend zu machen, sondern KUG und „Kulanzleistung“ des VR (bei Verzicht auf die zustehenden Versicherungsleistungen), so ist dies wegen der wirtschaftlichen Vorteile durch Erhöhung der kurzfristigen Liquidität und vermeintliche Vermeidung einer späteren Anfechtung und Rückforderung beim KAG motiviert. Daher wird man auch etwa den Subventionsbetrug abzuprüfen haben – einschließlich der Frage nach einer Anstiftung. Schließlich gibt es zahlreiche weitere Fallen beim KUG, welche gemäß den Belehrungen in den KUG-Antragsformularen im Falle einer Überzahlung direkt zur Strafanzeige führen werden.

Haftungsdelegation durch Einschaltung von Beratern als Compliance?

Wünscht man sich als Unternehmer einen „Persilschein“ vom Berater, sind bis zu mehr als zwei Duzend obergerichtliche Urteile zu beachten. Dies reicht von der Beraterauswahl (z.B. wäre der eigene Steuerberater in der Regel nicht geeignet) bis hin zum Inhalt einer Begutachtung. Wer sowieso vorhat, eine Subvention zu erschleichen, kann später seinem fahrlässigen Berater keine Haftung anhängen. Hat sich der Berater hingegen einer Anstiftung oder Beihilfe schuldig gemacht, wird seine Berufshaftpflicht keinen Cent leisten – allenfalls für die Zukunft viel Glück wünschen.

Widersprüchliche Weisungslandschaft – und fehlende Verbindlichkeit?

Die „SGB III-Weisung vom 29.04.2020 – AZ 75095/75096“ hat bereits einen öffentlichen Makel, denn die BA (Regionaldirektion NRW) veröffentlichte bereits mit Stand einen Tag später (30.04.2020) ein FAQ zum KUG, worin folgende Weisung enthalten ist: „Weiter ist ggf. zu prüfen, ob der betroffene Betrieb eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen hat und ob diese für die Ausfalldauer die Entgeltzahlungen abdeckt. Dies kann den konkreten Versicherungsbedingungen entnommen werden.“.

Dass beispielsweise das Verschweigen der Existenz einer BSV nebst (gegebenenfalls Teil-)Leistung für eine Strafbarkeit ausreicht, liegt auf der Hand. Die vielleicht widersprüchliche oder wiederholt veränderte „Weisungslage“ (wenn man damit verschiedene Berichte darüber durch Landesverbände vergleicht) wird kaum ausreichen, einer Strafbarkeit durch angeblichen Rechtsirrtum zu entgehen. Es empfiehlt sich also mit offenen Karten zu spielen – wenn die Bundesagentur dann zahlt, haben Gerichte auch bei offensichtlich rechtswidrigen Leistungsbescheiden der Bundesagentur schon die Rückforderung wegen Vertrauensschutz in die Rechtskraft des Leistungsbescheids abgelehnt und Strafbarkeit verneint.

Können Weisungen illegal oder nichtig sein oder geändert werden?

Für den Unternehmer ist es sinnvoll, bestehende Rechtsansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend zu machen. Es kämen häufig neben dem KUG auch andere (gegebenenfalls vorübergehende oder nicht rückzahlbare) staatliche Hilfen in Frage. War eine Weisung falsch, oder wurde sie nur falsch verstanden und von Verbänden unrichtig oder unvollständig wiedergegeben, so ist dies primär das Risiko des Unternehmers. Es besteht generell eine Erkundigungspflicht – damit später nicht am Ende ein Strafrichter meint „Der Angeklagte hätte bereits bei mäßigem Gebraucht des Verstandes erkennen können – was illegal und was legal war“.

Leider ist die interne Weisung (vom 29.04.2020) derzeit noch gar nicht veröffentlicht. Es ist sogar möglich, dass lokale Arbeitsagenturen sie für rechtswidrig erachten und nicht anwenden. Zumindest aber aus guten Gründen weiterhin das Bestehen einer BSV prüfen und deshalb Kurzarbeitergeld ganz verweigern.

Generell unterliegt die Bundesagentur für Arbeit Recht und Gesetz, hat dieses also anzuwenden, nicht etwa auch nur befristet abzuändern. Die offensichtliche Rechtslage – wie nur bis Ende 2020 nach der (angeblichen) Weisung nicht anzuwenden – ist aber die Anrechnung einer BSV-Leistung auf das KAG. Letztlich wird das Verwaltungshandeln der Exekutive im Nachhinein durch die unabhängigen Gerichte geprüft – das Verhalten einzelner Beamter etwa wegen Untreue im Dienst auch schon mal durch den Strafrichter.

Keine Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers ohne Existenzgefährdung wegen des Virus?

Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko. Er hat etwa bei Stromausfall oder Maschinenschaden (normale Betriebsstörung) gleichwohl den Lohn zu bezahlen. Ausnahmen wären etwa Streik, oder eine Betriebsstörung welche die Existenz des Betriebs gefährdet (LAG Schleswig- Holstein, Urteil vom 15.06.1989, Az. 4 Sa 628/88; BAG Urteil vom 13.06.1990, Az. 2 AZR 635/89). In seiner fachlichen Weisung vom 20.12.2018 der BA heißt es dazu: „Eine solche Existenzgefährdung wird insbesondere dann nicht gegeben sein, wenn eine Betriebsunterbrechungsversicherung besteht, die die Löhne und Gehälter für derartige Ausfallzeiten einschließt. Der Arbeitgeber darf nicht von seiner Lohnzahlungspflicht durch die Gewährung von KUG entlastet werden, da sein Betriebsrisiko anderweitig aufgefangen wird.“. Selbstverständlich gilt dies auch für den Fall, dass eine BSV-Police existiert: Auf die Frage ob Zahlungen auch beantragt wurden (zum Beispiel durch Schadensmeldung beim VR) oder auf sie (ganz oder teilweise) verzichtet wird, kommt es daher mithin gar nicht mehr an.

Fehlvorstellungen können zu strafbarem Antrag auf Kurzarbeit durch Arbeitgeber führen

Es ist also stets vorab zu prüfen, ob eine Existenzgefährdung überhaupt vorliegt – nicht nur wenn (objektiv) eine BSV oder Betriebsunterbrechungsversicherung besteht, sondern etwa auch ein Rechtsanspruch auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz besteht; oder Rechtsansprüche auf andere staatlichen Hilfen zur Vermeidung von Existenzgefährdung, oder schlicht genug Rücklagen vorhanden sind. Denn dann könnte kein „Arbeitsausfall mit Entgeltausfall i.S.v. §§ 95 ff. SGB III“ vorliegen – es darf dann also gar keine Kurzarbeit beantragt und genehmigt werden. Und durch den Bezug des KUG würde ein Subventionsbetrug nahe liegen.

Die neue Weisung sagt nur: „Bei der Gewährung von Kurzarbeitergeld ist zu beachten:

Zahlungen, die – gegebenenfalls auch anteilig – von den Versicherern aufgrund einer wegen der Corona-Pandemie angeordneten vorübergehenden Betriebsschließung erbracht werden, wirken sich nicht leistungsmindernd auf das Kurzarbeitergeld aus. Dabei ist es unerheblich, ob der Versicherer einen Rechtsanspruch auf die Leistung (den Versicherungsfall) anerkannt hat oder nicht.“

Wenn aber wegen des Bestehens einer BSV keine Existenzgefährdung des Betriebs durch volle Entgeltzahlung eintritt, kommt es gar nicht erst zu Kurzarbeit und einer KUG-Zahlung, denn das wäre rechtswidrig. Dies ist der Punkt. Die Zahlungen der BSV unter anderen führen nämlich schlicht dazu, dass gar keine betriebliche Notwendigkeit für Kurzarbeit mehr besteht. Das volle Gehalt ist dann mit Hilfe auch aus der BSV einfach weiter zu bezahlen. Es darf gar keine „Kurzarbeit“ angeordnet oder beantragt werden, weil wirtschaftlich nicht notwendig. Und damit entfällt natürlich auch das KUG von vornherein, einfach mangels erlaubter Kurzarbeit. Es gibt dann auch schlicht nichts auf das – gar nicht erst gezahlte – KUG anzurechnen.

Illegaler Antrag auf Kurzarbeit – obgleich Existenzgefährdung irgendwie anders abwendbar war?

Wenn ein Betrieb trotzdem Kurzarbeit beantragt, obwohl auch die BSV volle Gehaltszahlung erlaubt, ist das schon gesetzwidrig. Wenn er dann KUG beantragt, ist es Betrug. Die BA erklärt durch ihre Weisung keinesfalls, dass dies plötzlich legal wäre, bis Ende 2020, oder nicht verfolgt würde. Oder trotzdem KUG zu zahlen wäre. Sie setzt in der Weisung vielmehr offenbar voraus, dass Kurzarbeit rechtmäßig umgesetzt wurde, und sagt nur, wie dann weiter wegen der Anrechnung der BSV zu verfahren sei. Es kann sich aber von vornherein legal ja dabei nur um die Fälle handeln, bei denen die BSV nicht die volle oder teilweise Lohnfortzahlung (versicherungsvertraglich) absichert.

Wer die Einführung von Kurzarbeit anmeldet, obwohl das volle Gehalt aus der BSV gezahlt werden kann, handelt bereits gesetzwidrig. Das Ziel, sich damit illegal KUG zu erschleichen, kommt hinzu. Die neue Weisung schützt ihn dann in keinem Fall, denn diese setzt zunächst einmal bereits rechtmäßiges Handeln vorher voraus, und nicht etwa gesetzwidriges. Wer sich irrte ist gut beraten, sofort zur Umkehr zu schreiten und Busse zu tun.

Ohne Existenzgefährdung keine legale Kurzarbeit

Richtig kommt es gar nicht zur Prüfung einer Zahlung von KUG, weil bereits der Antrag auf Kurzarbeit selbst schon wegen der BSV abgelehnt werden müsste. Wer hier schon auf die BSV nicht hinweist, setzt sich dem Verdacht einer Strafbarkeit aus. Wenn die Weisung sich dann also nur auf die Fälle bezieht, wo mangels ausreichender BSV Kurzarbeit überhaupt erst zulässig ist, dann ergibt sich für deren dann Nichtanrechnung eine starke Relativierung. Fälle mit ausreichender BSV dürften hier gar nicht erst vorkommen, außer durch Betrug, oder weil der Arbeitgeber etwas falsch verstanden hat, was ihm aber wenig hilft.

Der Verzicht auf 100 Prozent wegen 15  Prozent Kulanz ist nochmal eine delikate Sache dabei. Wegen ausreichender BSV oder anderer Mittel gesetzwidrig gezahltes Kurzarbeitergeld wird die Arbeitsagentur zurückverlangen – und üblicherweise auch Strafanzeige erstatten. Die Rückerstattung von vornherein illegaler KUG-Subventionen und die „(Nicht)Anrechnung von BSV-Zahlungen“ auf ein rechtmäßiges KUG sind zwei ganz unterschiedliche Dinge.

Autoren: Dr. Johannes Fiala, PhD, RA, RB, MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann (www.fiala.de) und

Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik, Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de).