Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 26. März 2020 (Rechtssache C-66/19) entschieden, dass die von einer deutschen Sparkasse verwendete Widerrufsbelehrung in Kreditverträgen ungeeignet ist, Verbraucher in klarer und prägnanter Form über die Modalitäten für die Ausübung ihres Widerrufsrechts zu informieren.
Deshalb könnten nunmehr Millionen Kreditverträge widerrufen werden.
Über die Modalitäten und die Frist zur Ausübung des Widerrufsrechts ist ein Verbraucher nämlich nach den Vorgaben der EU-Richtlinie 2008/48 in „klarer, prägnanter Form“ zu informieren.
Vor allem ist das Urteil von besonderer Tragweite, weil die dem EuGH vorliegende Passage der Widerrufsbelehrung in amtlichen Mustertexten geschrieben steht, die der deutsche Gesetzgeber selbst entworfen hat. Im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Mustertexte haben Unternehmer diese in Millionen Kreditverträgen verwendet.
Wer die Mustertexte verwendet hat, durfte sich dabei bislang noch grundsätzlich sicher sein, dass er den Vertragspartner ordnungsgemäß belehrt. Bislang galten die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht nämlich dann als erfüllt, wenn der Verwender ein amtliches Muster des Gesetzgebers verwendet (sogenannte „Gesetzlichkeitsfiktion“).
Auch wenn der Bundesgerichtshof (BGH) noch nicht über die Gesetzlichkeitsfiktion in dem jetzt vom EuGH entschiedenen Zusammenhang befunden hat, ist sich TILP-Anwalt Alexander Heinrich sicher:
„Dieses Urteil markiert einen Wendepunkt. Der BGH muss und wird nach unserer festen Überzeugung die Gesetzlichkeitsfiktion kippen - und zwar mit Wirkung für die Vergangenheit.“
Widerruf nun möglich
Während sich für die Verbraucher der Widerruf von Kreditverträgen rentieren kann, müssen Unternehmer, vor allem Kreditinstitute, nun befürchten, dass sich Kunden auf Basis des EuGH-Urteils von unliebsamen Verträgen massenhaft lösen werden.
Von der Entscheidung des EuGH und dem Ende der Gesetzlichkeitsfiktion sind Millionen Kreditverträge betroffen, so beispielsweise sämtliche Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge, die zwischen dem 10. Juni 2010 und dem 20. März 2016 geschlossen wurden.
Bei Autokrediten und anderen Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen ist der Zeitraum seit dem 10. Juni 2010 bis heute betroffen.
So könnten sich Verbraucher mittels des Widerrufs etwa von hochverzinsten Immobilienkrediten lösen und günstig umschulden. Sie erhalten hierbei die bereits gezahlten Zinsen zurück. Banken dürfen bei einem wirksamen Widerruf keine Vorfälligkeitsentschädigung verlangen und müssen Verbraucher aus dem Darlehen entlassen.
Bei Allgemein-Verbraucherdarlehen, wie etwa einem Autokredit, folgt aus dem Widerruf ebenfalls, dass der Kreditvertrag beendet ist, der Verbraucher seine bisherigen Zahlungen zurückerhält und die Bank keine Vorfälligkeitsentschädigung verlangen darf. Außerdem ist das Auto an die Bank zu übergeben.
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