Für absehbar brennende Häuser bietet kein Versicherer eine Deckung

Für absehbar brennende Häuser bietet kein Versicherer eine Deckung
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Durch sein Urteil vom 4.Juli 2018 entschied der Bundesgerichtshof (BGH, Az. IV ZR 200/16): „Die so genannte Vorerstreckungsklausel des § 4 Abs. 3 Buchst. a) der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2008) ist intransparent.“ und damit unwirksam, § 307 I 2 BGB.

Diese Klausel lautet: „Es besteht kein Rechtsschutz, wenn … eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß … ausgelöst hat; …“.

Rechtsstreitigkeiten, die in vorvertraglicher Zeit vorprogrammiert wurden?

Ein entsprechender „Keim für späteren Rechtsstreit“ könnte darin liegen, dass ursprünglich bei einem Kreditvertrag oder einer Lebensversicherung über das Widerrufsrecht unzutreffend belehrt wurde; selbst wenn der eigentlich Rechtsschutzfall später auftritt – etwa nach Widerruf durch den Kunden und Weigerung des Finanzhauses, das Widerrufsrecht anzuerkennen und die Bereicherung mit gezogenen Nutzungen heraus zu geben. Oder wenn der Mieter eine Wohnung mit unerkannten Baumängeln anmietet, später nach deren Auswirkung die Miete mindert und der Vermieter dies nicht anerkennt.

Rechtsanwalt Dr. Johannes Fiala
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Auch die Adoption eines Kindes könnte den Keim späterer Erbstreitigkeiten nach 50 Jahren in sich tragen. Und auch wegen „Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund“ (1 Mose 9,16) ist der Keim von Rechtsstreitigkeiten vielfach bereits gelegt, weil wegen dieser Willenserklärung nicht alle ersäuft wurden, und sich daher weiter streiten können.

In der Vorerstreckungsklausel ist gemäß BGH „nicht klar und durchschaubar“ beschrieben, wann eine Ursächlichkeit (in vorvertraglicher RSV-Zeit) einer Willenserklärung vorliegt, damit durch eine Rechtshandlung der spätere Pflichtverstoß bereits ausgelöst wurde, wenn auch nur im Keim.

Der BGH sieht den Rechtsschutzfall erst in solchen „Willenserklärungen und Rechtshandlungen“, die der Versicherungsnehmer (VN) seinem Anspruchsgegner konkret anlastet als Verstoß des Anspruchsgegners gegen Rechtspflichten, auf den er seinen Anspruch auf die Rechtsschutzdeckung stützt. Verstoß im Sinne der RSV-Bedingungen ist demnach beim fruchtlosen Widerruf oder Widerspruch des Darlehensvertrags oder einer Lebensversicherung erst, wenn der Anspruchsgegner sich weigert die Berechtigung dieser Vertragsvernichtung anzuerkennen (BGH, Urteil vom 24. April 2013, Az. IV ZR 23/12).

Kein „Zweckabschluss“ einer Rechtsschutzversicherung

Die fehlerhafte Belehrung über Widerspruchsrecht beziehungsweise Widerrufsrecht ist zwar auch ein Verstoß gegen Rechtspflichten gegenüber einem Kreditkunden oder VN einer Lebensversicherung, doch wird dieser eben dem Anspruchsgegner nicht so vorgeworfen, dass von der RSV deshalb Rechtsschutzdeckung verlangt wird.

Anders wäre es jedoch, wenn der konkrete Vorwurf des VN wäre, dass er nicht korrekt über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, und ganz ohne Widerruf nun schlicht über diese Tatsache gestritten wird. Dann liegt der Pflichtverstoß oft bis zu mehrere Jahrzehnte zurück. Bestand damals keine RSV-Deckung, oder war die „Wartefrist“ mit üblicherweise drei Monaten noch nicht abgelaufen, so müsste die RSV nicht leisten. Nach korrekter Belehrung beginnt dann die entsprechende Frist für Widerspruch beziehungsweise Widerruf der Sach- oder Lebensversicherung zu laufen – bei Nichtanerkennung durch das Finanzhaus, also Bank oder Versicherung, wäre dies dann eben ein neuer Schadensfall in der Gegenwart (BGH a.a.O.).

Unwirksame Klausel erlaubt gezielten Abschluss einer RSV für vermuteten künftigen Schadensfall

Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungs-mathematik
Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik

Der Risikoausschluss einer passend – also transparent – formulierten Vorerstreckungsklausel könnte zum Beispiel dann eingreifen, wenn der VN gezielt eine RSV für ein Risiko abschließt, dessen Eintritt sich bereits wahrnehmbar abzeichnet. „Auf ein solches Wissen des Versicherungsnehmers stellt die (derzeit übliche) Klausel aber gerade nicht ab“. Weil die „Prognose über das Ergebnis einer späteren nachträglichen objektiv-rechtlichen Bewertung der Ursächlichkeit einer vorvertraglichen Willenserklärung oder Rechtshandlung für den Rechtsschutzfall“ den VN überfordert, ist diese Klausel intransparent und damit unwirksam. Der BGH legt diese Klausel hier nicht aus, sondern erläutert, weshalb sie intransparent ist, auch am Beispiel möglicher aber letztlich im Ganzen erfolgloser Auslegungsversuche.

Der VN kann demnach auch Fehlverhalten der Gegenseite aus vorvertraglicher Zeit schildern, ohne dass dies zum Risikoausschluss für den RSV-Versicherungsfall während der RSV-Vertragslaufzeit führt.

Allein die x-beliebigen vorvertraglichen Pflichtverstöße eines Gegners sind kein Grund für eine Deckungsverweigerung bei neuem Pflichtverstoß während der Vertragslaufzeit der RSV und nach gegebenenfalls Ablauf einer Wartefrist – denn die Vorerstreckungsklausel ist gemäß dem BGH unwirksam.

Entscheidend bleibt die Schilderung des Schadensfalls gegenüber der RSV

Der Versicherungsnehmer kann sich so verhalten, wie es der Staatsanwalt beschreiben würde mit den Worten „Der Angeklagte ist der beste Zeuge – er redet sich um Kopf und Kragen“. Entscheidend ist meist die Schilderung des Pflichtverstoßes, und dabei der Blick auf die ARB – nicht jeder RSV-Tarif enthält beispielsweise rechtliche Auseinandersetzungen mit Versicherungen als Inhalt der RSV-Deckung. Wenn der entsprechende „Rechtsbereich“ versichert ist, und die Klausel zur „Vorerstreckung“ unwirksam ist, muss die RSV Ihre Deckungszusage erteilen oder eine Deckungsklage des VN riskieren. Andere Deckungsausschlüsse bleiben gleichwohl denkbar, etwa für Kapitalanlagen.

Auch Rechtsstreite konkret im Zusammenhang mit dem Widerruf von vor Beginn der RSV abgeschlossenen Verträgen könnten wirksam ausgeschlossen werden.

Für Laien sind die ARB, als System von Deckungseinschlüssen und Ausnahmen davon durch Deckungsausschlüsse allerdings kaum zu überblicken. Jedenfalls ist für die zeitliche Einordnung des Versicherungsfalls die Schilderung des VN maßgeblich (BGH, Urteil vom 05.11.2015, Az. IV ZR 22/13).

Vertane „Bewährungschance“ durch Auslegung und ausufernde Kasuistik

Die frühere Auslegung der Vorerstreckungsklausel durch Instanz-beziehungsweise Obergerichte in Einzelfällen war eine Bewährungschance für eine praktikable weitere eng eingegrenzte Anwendung, die nun aber insbesondere im Massengeschäft von Banken und mehr noch Versicherungen durch deren besonders qualifizierte Juristen und Rechtsanwälte wie auch Rechtswissenschaftler mit großem Aufwand an rechtlicher Argumentation mit dem Ziel des Prozessgewinns endgültig „verspielt“ wird, mit dann entsprechenden viel weitreichenderen Folgen.

Solche Auslegung wurde hier von Gerichten früher, in unterschiedlicher Rechtsprechung, in Literatur etc., wie im Urteil vom BGH aufgeführt mit unterschiedlichen Ergebnissen versucht. Auch wenn dies nicht einfach war, und teils zu falschen Entscheidungen geführt haben kann, schien dies doch erfolgversprechend. Dass andere Gerichte – oder die Literatur – die Klausel bereits als intransparent beurteilt hätten, ist nicht einmal erwähnt.

Wenn nun gerade das LG Köln (als Vorinstanz) sich in der Frage und ausgerechnet bezogen auf die auch beim BGH häufigen und schon sehr fortgeschritten ausgeurteilten Widerrufsfälle mit eingehenden rechtlichen Begründungen dazu hat hinreißen lassen, OLG Köln und BGH hinsichtlich der Wertung dieser Rechtsschutzfälle zu widersprechen, hat wohl der BGH die Geduld verloren, und nun dies damit gekontert, dass er sich auf den Standpunkt stellt, dass wohl der Versuch, die Klausel (immer nur fallweise) einschränkend auszulegen, keinen Erfolg mehr verspricht.

Vielmehr zu einer nicht mehr überschaubaren und für Laien nicht verständlichen unsystematischen Aufsplitterung in Einzelfallentscheidungen geführt hätte. Folge ist die Unwirksamkeit wegen Intransparenz. Das dem BGH widersprechende Urteil des LG Köln aufgrund der Bemühungen der VR-Anwälte hat für den BGH wohl bewiesen, dass die Klausel nicht mehr sinnvoll auslegbar ist. Die Bewährungschance wurde vertan.

Wer auf Massen fragwürdiger Klauseln sitzt, sollte bevor er Geschütze – in Form von hochqualifizierten Kanzleien (und gegebenenfalls mit Hilfe von wissenschaftlichen Rechtsgutachtern), denen manchmal sogar jedes legale Mittel zum Prozessgewinn recht ist – zum Gewinnen von Rechtsfällen einsetzt, sich vergegenwärtigen, dass er in einem Glashaus sitzt. Insbesondere wenn er schon gewarnt sein kann. Natürlich gehen nun die Folgen der Unwirksamkeit weit über den betroffenen Versicherer und auch die Widerrufsfälle hinaus – der BGH nennt Beispiele von Urteilen.

BGH entschärft die Maklerhaftung – durch RSV-Deckung für nur befürchtete Fälle?

Während Versicherungsmakler beim Umdecken auf diese Vorerstreckungsklausel hätten häufiger hinweisen müssen, wird deren mögliche Haftung dafür nun durch den BGH entschärft: Eine RSV noch abzuschließen, weil man befürchtet, dass es in bereits abgeschlossenen Verträgen wegen irgendetwas bereits erkennbar zum Streit kommen könnte, ist also nach wie vor möglich. Also etwa, wenn man den Eindruck hat, eine Kündigung könnte drohen oder man Schimmel in der Wohnung entdeckt und sich mit dem Gedanken befasst, deshalb demnächst die Miete zu mindern, was sich der Vermieter – so wie man ihn einschätzt – wohl nicht gefallen lässt. Also das Haus „brennt“ noch nicht, aber man hat einige offene Benzinfässer im Hof und die Kinder möchten am Abend zum Geburtstag ein Feuerwerk veranstalten.

Auch einige RSV-Versicherer (VR) hatten auf die Anwendung dieser Klausel bereits verzichtet, etwa wenn das betroffene Risiko beim gleichen (und/oder nahtlos bei einem Vorversicherer) bereits fünf Jahre versichert war. Oder auch, wenn die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens als Versicherungsfall gilt – also selbst wenn die eigentliche Straftat vor Abschluss der RSV lag. Diese Zurückhaltung hat nun aber die Unwirksamkeit auch nicht mehr abwenden können.

Von Dr. Johannes Fiala, PhD, RA, RB, MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann (www.fiala.de) und

Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik, Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de).

 

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