CDU-Politiker Thorsten Frei spricht von „unangenehmen Entscheidungen“ bei Rente und Pflege. Doch statt ehrlicher Reformen zeigt sich: Der politische Wille zur nachhaltigen Finanzierung fehlt – bewusst.
Die Aussagen von Thorsten Frei, CDU, über bevorstehende „unangenehme Entscheidungen“ im Bereich der sozialen Sicherungssysteme, insbesondere der gesetzlichen Rente, erscheinen auf den ersten Blick als realpolitischer Weckruf. Im Podcast des Informationsdienstes Table.Briefings betonte Frei:
„Gesundheit, Pflege und Rente, das sind die großen Herausforderungen. Da werden auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen.“
Er forderte angesichts des demografischen Wandels „eine veränderte Prioritätensetzung“ und sprach sich für mehr Ehrlichkeit in der politischen Kommunikation aus:
„Wir sollten den Menschen nicht Sand in die Augen streuen. Wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft, deshalb ist Paternalismus nicht notwendig.“
Doch diese Rhetorik der Sachzwänge – als sei eine Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme ein unabwendbares Naturgesetz – entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als politisch motivierte Strategie, Verantwortung abzuwälzen.
Der Koalitionsvertrag: Versprechen ohne Fundament
Denn betrachtet man die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, so zeigt sich ein widersprüchliches Bild. Zwar wird das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent festgeschrieben, zugleich sollen neue Leistungen wie „Frühstart-Rente“ und „Aktivrente“ eingeführt werden. Diese Maßnahmen sind unbestritten sozialpolitisch sinnvoll, doch fehlen tragfähige Finanzierungsmechanismen. Dass man sich gleichzeitig gegen eine Anhebung des Rentenalters und gegen eine stärkere steuerliche Gegenfinanzierung sperrt, zeigt den eigentlichen Mangel: politischen Gestaltungswillen.
Politischer Unwille statt Sachzwang
Es ist nicht der demografische Wandel, der die Rentenfinanzierung in Schieflage bringt, sondern der politische Unwille, strukturelle Reformen anzugehen. Dazu gehören etwa die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung (Bürgerversicherung), eine konsequente Abschaffung versicherungsfremder Leistungen ohne Gegenfinanzierung durch den Staat oder eine gerechtere Verteilung von Steuerlasten. Dass all dies nicht ernsthaft verhandelt wird, zeigt, dass es sich bei den „unangenehmen Entscheidungen“ eher um strategisch gewollte Kürzungen als um ökonomische Notwendigkeiten handelt.
Kommunikation als Machtinstrument
Freis Appell an eine „offene Kommunikation“ und Ablehnung von „Paternalismus“ wirkt in diesem Kontext beinahe zynisch. Denn wer offen sprechen will, muss auch die politischen Alternativen benennen – und das Versäumnis der eigenen Partei, diese in den Verhandlungen ernsthaft einzubringen. Stattdessen wird das Narrativ einer alternativlosen Politik bedient – ein klassischer Fall politischer Verantwortungsvermeidung.
Thorsten Freis Aussagen im Podcast von Table.Briefings offenbaren damit nicht etwa eine neue Ehrlichkeit in der Rentenpolitik, sondern vielmehr den anhaltenden politischen Unwillen, sich den wirklichen Reformherausforderungen zu stellen. Die dramatisierende Sprache von Einschnitten und Prioritätenverschiebungen dient nicht der Aufklärung, sondern der Legitimierung eines Kurses, der soziale Sicherung bewusst schwächt – und das bei voller Einsicht in die Konsequenzen.
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