Wenn über Rentenpolitik gestritten wird, geht es selten nur um Zahlen. Es geht um Gerechtigkeit, Lebensleistung, soziale Anerkennung – und nicht selten um die Lebensrealitäten von Frauen. Die schwarz-rote Koalition greift dieses Bedürfnis nun auf und verspricht: Gleichstellung bei der Mütterrente. Das mag moralisch schlüssig erscheinen, ökonomisch jedoch zeigt sich ein anderer Befund: Diese Politik verschärft die Lasten für die jüngere Generation – und entzieht ihr die finanziellen Spielräume, die sie dringend bräuchte.
Die Gleichstellung der Mütter – richtiges Ziel, falsches Mittel
Die Ausweitung der Mütterrente zielt auf eine reale Gerechtigkeitslücke: Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, erhalten bislang weniger Rentenpunkte für Erziehungszeiten als jene, die später Kinder bekommen haben. Diese Ungleichbehandlung zu beseitigen, ist ein notwendiger sozialpolitischer Impuls – besonders mit Blick auf die Anerkennung unbezahlter Care-Arbeit, die Frauen überproportional leisten.
Doch ökonomisch ist das gewählte Instrument problematisch: Es verstetigt Leistungsausweitungen im Rentensystem, ohne eine strukturelle Gegenfinanzierung zu bieten. Allein diese Maßnahme schlägt langfristig mit Milliardenkosten zu Buche – und diese Rechnung wird nicht durch Solidarität, sondern durch Beitragssätze beglichen. Von denen, die heute jung sind.
Grimm: Stimmenmaximierung statt Systemwahrheit
Wirtschaftsweise Veronika Grimm bringt die Widersprüchlichkeit auf den Punkt:
„Mein Seismograph (# wütender Emails zu meinen Aussagen zur Mütterrente) sagt mir: Wählerstimmen gewinnt man damit. Auch wahr ist aber: wenn die Politik der Bevölkerung nicht bald reinen Wein einschenkt, geht es bergab. Wir können uns das nicht leisten.“
– Veronika Grimm auf X, 17.04.2025
Die Intervention ist präzise: Grimm widerspricht nicht der Anerkennung weiblicher Lebensleistung, sondern dem politischen Umgang mit den Finanzierungsfolgen. Wenn Rentenpolitik sich in wohlklingenden, aber teuren Kompensationsversprechen erschöpft, ohne die demografische Realitätsprüfung zu bestehen, wird sie zur intergenerationalen Umverteilung – von jung nach alt, und ohne demokratische Rechenschaft.
Jüngere Generation: ökonomisch entreichert, politisch marginalisiert
Hier liegt der eigentliche Knackpunkt. Die junge Generation trägt die steigende Last der Beitrags- und Steuerfinanzierung, ohne dass ihr die gleichen Rentenzusagen gemacht werden könnten. Der Generationenvertrag gerät ins Ungleichgewicht – nicht weil Solidarität versagt, sondern weil politische Anreizsysteme kurzfristige Wählerbindung über langfristige Systemstabilität stellen.
Die Erhöhung des Beitragssatzes – mittelfristig über 20 Prozent – trifft vor allem junge Erwerbstätige. Sie finanzieren heute die Rentenpolitik von gestern, während ihre eigene Altersvorsorge auf unsicheren Füßen steht. Parallel fehlt ihnen das Einkommen, um privat vorzusorgen – gerade junge Frauen in prekären, unterbrochenen Erwerbsbiografien.
Ökonomische Ehrlichkeit statt populistischer Besänftigung
Die Lösung liegt nicht in der Rücknahme sozialpolitischer Anerkennung für Mütter. Im Gegenteil: Wer Care-Arbeit gerecht entlohnen will, braucht strukturelle Reformen – etwa eine eigenständige Alterssicherung für Erziehende oder die konsequente Einbeziehung aller Erwerbsformen in die Rentenversicherung. Doch das erfordert politischen Mut und ökonomische Ehrlichkeit. Beides fehlt derzeit.
Was bleibt, ist ein politisches Manöver, das sich als Gerechtigkeit verkauft – aber ökonomisch auf dem Rücken der jungen Generation ausgetragen wird. Diese erkennt zunehmend: Ihre Lebensrealität wird im politischen Raum symbolisch gewürdigt, finanziell aber ignoriert.
Wer Gerechtigkeit will, darf Nachhaltigkeit nicht opfern
Die Ausweitung der Mütterrente hat einen berechtigten sozialen Kern – aber sie darf nicht zu Lasten derer gehen, die ohnehin schon ein fragiles Zukunftsversprechen schultern müssen. Die jüngere Generation braucht keine wohlklingenden Versprechen, sondern ein belastbares, ehrliches System. Gerechtigkeit ohne Nachhaltigkeit ist kein Fortschritt – sondern ein Umweg ins Misstrauen.
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