„Nicht geplant“ – Generationenkapital beerdigt, Rentenpolitik verschoben

Die neue Bundesregierung verzichtet auf die Einführung des Generationenkapitals – das bestätigt nun auch das Bundesfinanzministerium auf Anfrage von CORRECTIV.

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Die Absage an das Generationenkapital ist keine technische Korrektur, sondern ein politisches Signal.Die Absage an das Generationenkapital ist keine technische Korrektur, sondern ein politisches Signal.Foto: Adobestock

Ein Satz reicht, um ein zentrales Projekt der vergangenen Legislaturperiode abzuräumen. „Ein Vorhaben ‚analog zum Generationenkapital‘ sei ‚unseres Erachtens nach nicht geplant“ – diese nüchterne Mitteilung eines Sprechers des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage von CORRECTIV markiert den formalen Schlussstrich unter eine rentenpolitische Reformidee, die noch vor wenigen Monaten als möglicher Systemwechsel gehandelt wurde.

Die Aktienrente – konzipiert als staatlich organisierter Kapitalstock, verwaltet durch den Kenfo – sollte mit Milliardensummen am Kapitalmarkt operieren und so langfristig das Umlagesystem stabilisieren. Der politische Rahmen war gesetzt, die Umsetzung vorbereitet. Doch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung findet sich dazu kein einziger Satz. Die stille Abkehr ist politisch ebenso eindeutig wie ökonomisch folgenschwer.

Reformidee mit Substanz – und politisch vertagter Wirkung

Was als Generationenkapital geplant war, hätte einer belastbaren zweiten Säule im Rentensystem gleichkommen können: breit gestreut investiert, institutionell getragen, mit Blick auf Demografie und Kapitalmarktrendite gleichermaßen. Die Expertise des Kenfo, der seit 2017 Mittel für die Endlagerung radioaktiver Abfälle verwaltet, stand bereit.

Dass sich die neue Bundesregierung gegen dieses Modell entschieden hat – ohne öffentliche Diskussion, ohne parlamentarische Debatte –, verweist auf eine strategische Neujustierung: weg von systemischen Lösungen, hin zu individuell geprägten Maßnahmen.

Frühstart-Rente: kleiner Maßstab, große Erwartungen

Der neue Fokus liegt nun auf der sogenannten Frühstart-Rente. Für Kinder zwischen sechs und 18 Jahren sollen monatlich zehn Euro in ein privatwirtschaftlich verwaltetes Vorsorgedepot eingezahlt werden. Die Summe bleibt überschaubar – 1.440 Euro über zwölf Jahre –, der Anspruch hingegen nicht: Eigenverantwortung fördern, Finanzbildung stärken, Kapitalmarktkompetenz aufbauen.

Aus branchenspezifischer Perspektive ist das Modell kein Widerspruch, sondern Anschlussmöglichkeit. Die privatwirtschaftliche Organisation eröffnet Chancen zur Produktentwicklung und Ansprache neuer Zielgruppen. Doch in der Systemlogik der Rentenpolitik bleibt der Effekt begrenzt.

Kritik an Struktur und Richtung

Die ökonomische Kritik fällt entsprechend aus. Johannes Geyer vom DIW spricht im Gespräch mit CORRECTIV von einem „Schaufenster-Projekt, das keine echten Probleme löst“. Die Anlagevolumina seien zu gering, die Struktur wenig effizient. Die Entscheidung, die Verwaltung privaten Akteuren zu überlassen, wird auch aus Kostensicht kritisch gesehen – nicht zuletzt, weil Kenfo als staatlicher Fonds mit klarer Aufsicht und Erfahrung bereitgestanden hätte.

Zudem bleibt ein Aspekt gänzlich unadressiert: die Frage der Nachhaltigkeit. Bereits im Kontext der Aktienrente war das Thema umstritten – CORRECTIV hatte unter anderem aufgezeigt, dass das Finanzministerium BlackRock als Berater eingebunden hatte, einen Akteur mit kritischer ESG-Bilanz. Im aktuellen Koalitionspapier fehlen nun jegliche Aussagen zu ökologischen Anlagekriterien. Für ein staatlich angestoßenes Vorsorgemodell ist das mehr als eine Leerstelle.

Politische Einordnung

Die Absage an das Generationenkapital ist keine technische Korrektur, sondern ein politisches Signal. In einer Phase, in der die Herausforderungen der Alterssicherung zunehmen, setzt die Bundesregierung auf pädagogisch motivierte Individualisierung statt auf strukturelle Verstetigung. Die Frühstart-Rente ersetzt nicht, sie verschiebt – in Wirkung und Verantwortung.

Für die Versicherungswirtschaft entsteht damit ein ambivalentes Feld: Das große ordnungspolitische Projekt ist vom Tisch. Dafür entstehen neue Anknüpfungspunkte in der Vermittlung, bei Produktinnovationen und der Verzahnung mit bestehenden Vorsorgemodellen. Entscheidend wird sein, ob das politische Momentum ausreicht, um das Thema Altersvorsorge jenseits der Individualisierung wieder stärker systemisch zu denken.

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