„Es ist nicht überraschend, dass die Zusatzbeiträge der Krankenkassen explodieren!”
Die allermeisten gesetzlichen Krankenkassen haben zum Jahreswechsel ihre Beiträge massiv erhöht, was für viel Unverständnis bei den Versicherten sorgt. Dabei kommt diese Entwicklung nicht überraschend, wenn man sich die Historie des Finanzierungsmodells anschaut. Thomas Adolph, Geschäftsführer des unabhängigen Vergleichsportals gesetzlichekrankenkassen.de, erklärt die Mechanismen der Finanzierung und die Ursachen für die enormen Beitragssteigerungen.
Wann und wie wurde die Basis für das heutige GKV-Finanzierungsmodell gelegt?
Thomas Adolph: Angefangen hat es im Jahr 2009, als die Krankenkassen de facto entmündigt und ihnen die Beitragshoheit entzogen wurde. Da kam es nämlich unter der SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, aktiv unterstützt vom heutigen Noch-Gesundheitsminister Karl Lauterbach, zur Einführung des sogenannten „Gesundheitsfonds“. Von diesem Zeitpunkt an waren nicht mehr die Krankenkassen für die Höhe ihrer Beiträge verantwortlich, sondern die Politik. Der Gesundheitsfonds vereinnahmt vereinfacht gesagt alle Beiträge und verteilt diese dann an die Krankenkassen. Gleichzeitig kam es auch zum sogenannten „Einheitsbeitrag“ – sprich, alle Krankenkassen kosteten das Gleiche. Dadurch sollte der Wettbewerb zwischen den Kassen nur noch über die freiwilligen Mehrleistungen laufen und nicht mehr über die Beitragsunterschiede. Letzteres funktionierte auch erstmal erstaunlich gut, wie wir in unseren Leistungsanalysen feststellen konnten.
Warum war ein Zusatzbeitrag nötig und wie funktioniert er?
Nicht alle Krankenkassen hatten den gleichen Geldbedarf. Ein paar wenige bekamen zu viel und mussten Geld in festen Eurobeträgen an ihre Mitglieder zurückzahlen. Andere kamen mit den zugewiesenen Mitteln nicht aus und mussten daher von ihren Mitgliedern zusätzlich Beiträge erheben, das war schon ab 2010 der Fall. Zuerst waren diese Zusatzbeiträge ebenfalls feste Euro-Beträge, unabhängig vom Einkommen der Mitglieder. Das wurde dann 2015 modifiziert. Seitdem werden die Zusatzbeiträge in Prozent vom Einkommen erhoben wie der „Grundbeitrag“ auch, sodass de facto wieder individuelle Beitragssätze je Krankenkasse existieren. Diese werden heute zur Hälfte vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen.
Warum hält das aktuelle Finanzierungsmodell den Gesundheitskosten offensichtlich nicht mehr stand, sodass die Zusatzbeiträge explodieren?
Das hat in erster Linie zwei Ursachen. Einerseits die Kostensteigerung im Gesundheitswesen, vor allem die massiv gestiegenen Aufwendungen für Krankenhäuser und die explodierenden Kosten für Medikamente. In einem reinen Umlagesystem ist klar: Wenn medizinische Leistungen mehr kosten, haben die Krankenkassen mehr Ausgaben, die auch wieder reingeholt werden müssen. Eine weitere Ursache sind die versicherungsfremden Kosten, die mit der eigentlichen Versorgung gar nichts zu tun haben. Als teures Beispiel sei hier die Kostenverschiebung der Bürgergeldempfänger genannt: Anstatt je Bürgergeldempfänger den normalen Beitrag an die Krankenkassen zu zahlen, hat sich der Bund aufgrund der Schuldenbremse durch eigene Gesetzgebung einen satten Rabatt von 60 Prozent eingeräumt. Für Bürgergeldempfänger zahlt er also nur 40 Prozent der eigentlich notwendigen Beiträge an die Krankenkassen. Den Rest – wir reden von mehr als 9 Mrd. Euro pro Jahr – müssen die Kassen übernehmen und damit die Solidargemeinschaft der Beitragszahler. Hinzu kommt, dass den Krankenkassen von der Politik ihre Reserven genommen wurden, was de facto eine Enteignung der Mitglieder war. Dadurch sind die Krankenkassen auch nicht mehr in der Lage, kurzfristige Schwankungen auszugleichen. Es ist also nicht überraschend, dass die Zusatzbeiträge der Krankenkassen explodieren.
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