Die Sitzungen der Entscheidungsgremien von Fed und EZB im Juli haben gezeigt: Beide Notenbanken wollen die Inflation unbedingt auf das angestrebte 2 Prozent-Ziel zurückführen. Die Geldpolitik bleibt deshalb vorerst restriktiv ausgerichtet. Zinssenkungen wird es bis zum Ende des laufenden Jahres deshalb nicht geben. So stellt sich die Frage: Wann ist der Zeitpunkt erreicht, ab dem weitere Zinsanhebungen für die Erreichung des Inflationsziels nicht mehr notwendig sind, dafür jedoch die wirtschaftliche Dynamik bremsen und die Stabilität des Bankensystems gefährden?
Ein Beitrag von Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe
Setzten die Notenbanken über diesen Zeitpunkt hinaus die geldpolitische Straffung fort, steigt das Risiko einer Rezession. Noch riskanter wären im umgekehrten Fall zu frühe Zinssenkungen. Wenn die Fed tatsächlich ein „Soft Landing“ der US-Wirtschaft managen wollte, müsste sie wegen der Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik bereits deutlich vor einer möglichen Rezession der US-Wirtschaft mit Zinssenkungen beginnen.
Dabei müsste sie darauf vertrauen, dass erstens ihre Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – wahrscheinliche Rezession in etwa 6 bis 12 Monaten – zutreffend ist und zweitens die bislang erreichte Wirkung der Geldpolitik ausreicht, die Inflation trotz Zinssenkungen auf 2 Prozent zurückzuführen. Gelingt ihr das nicht, läuft sie Gefahr, dass die Inflation erneut steigt und die Notenbank den Zyklus der geldpolitischen Straffung wiederaufnehmen muss, was nicht nur erhebliche realwirtschaftliche Folgen hätte, sondern auch ihre Reputation weiter beschädigen würde.
In der Geschichte findet sich kein Beispiel dafür, dass der Fed dieser Balanceakt tatsächlich gelungen wäre. Zudem lassen die jüngsten Schwierigkeiten, die inflationäre Entwicklung frühzeitig als ernsthaft (und eben nicht bloß vorübergehend) einzuschätzen und entsprechend darauf zu reagieren, kaum Raum für Optimismus, dass es gerade diesmal anders sein könnte.
Angesichts dieser Unsicherheiten erscheint eine Geldpolitik, die jeweils situationsbezogen in Abhängigkeit von den vorliegenden Inflations-Daten und unter Berücksichtigung der konjunkturellen Dynamik ihre Entscheidungen trifft, auf jeden Fall als angemessen.
US-Rezession wahrscheinlicher als ein „Soft Landing“
Die Fed ist deshalb gut beraten, weiterhin vorrangig das Inflationsziel zu verfolgen und mögliche rezessive Entwicklungen gegebenenfalls in Kauf zu nehmen. Wahrscheinlich wird sie ihren einmal erreichten Maximal-Leitzins für längere Zeit und also bis weit in das Jahr 2024 hinein beibehalten, um das Risiko einer zweiten Inflationswelle zu minimieren.
Dies bedeutet aber in der Konsequenz, dass eine gesamtwirtschaftliche Rezession der US-Wirtschaft eine wesentlich größere Eintrittswahrscheinlichkeit hat als ein „Soft Landing“. Die Frage ist deshalb nicht ob, sondern wann es zu einer solchen Rezession kommt. Aus heutiger Sicht erscheint das erste Halbjahr 2024 als wahrscheinlichster Zeitpunkt.
Die EZB steht vor zwei zusätzlichen Herausforderungen: Erstens muss sie die Heterogenität innerhalb des Euroraums im Blick behalten – die Spanne zwischen der geringsten und der höchsten Kerninflationsrate beträgt im Euroraum derzeit etwa 6,5 Prozentpunkte. Zweitens schwächelt die Wirtschaft im Euroraum schon seit längerem, so dass sich die Frage stellt, wieviel zusätzlicher Dynamikverlust infolge einer weiteren Straffung der Geldpolitik opportun erscheint. Die Diskussionen innerhalb des EZB-Rats dürften im Herbst hörbar kontroverser werden.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Kapitalmärkte zeigen sich verhalten zuversichtlich
Nachlassende wirtschaftliche Dynamik, bevorstehende Zinssenkungen und anhaltende geopolitische Risiken prägen das Kapitalmarktumfeld im Jahr 2024. Warum es dennoch Anlass zu vorsichtigem Optimismus gibt und wie sich Investoren in diesem Umfeld bestmöglich positionieren.
Globaler Rentenmarkt 2024: Attraktive Erträge in Sicht
Mit Blick auf das Jahr 2024 sind die Ausgangsrenditen sehr attraktiv und in den meisten Fällen sogar höher als zu Jahresanfang. Es kann davon ausgegangen werden, dass aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung Leitzinsen gesenkt werden, was sich positive auf Staatsanleihen auswirken wird.
EZB: Baldiges Ende der restriktiven Haltung?
Die EZB scheint ihren restriktiven Kurs vorerst beizubehalten. Doch es gibt Risiken am Horizont, die ab dem Sommer zu einer deutlichen Aufweichung der Geldpolitik führen könnten. Diese zinspolitischen Veränderungen hätten deutliche Auswirkungen auf das Währungs- und Anleihen-Engagement.
Die Fed, die EZB und der Beinahe-Crash der Banken
Die Spannungen bezüglich der US-Regionalbanken, die SVB-Pleite und die Übernahme der Credit Suisse als Ansteckungspunkt in Europa sind eine indirekte Folge und ein unerwünschter Nebeneffekt im Kampf gegen die Inflation, den Fed und EZB um jeden Preis führen wollten.
Das Risiko für eine neue globale Finanzkrise ist derzeit gering
Aufgrund des beherzten Eingreifens weltweit zahlreicher Behörden, ist die Wahrscheinlichkeit für eine neue globale Finanzkrise derzeit gering. Fraglich ist allerdings, ob die Notenbanken vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen ihren weiteren Zinserhöhungszyklus anpassen werden.
Das Dilemma bei der Allokation von Staatsanleihen
Finanzentscheidungen in Partnerschaften: Wer hat das Sagen?
Männer und Frauen bewerten ihre Finanzverantwortung unterschiedlich – eine Verivox-Umfrage zeigt große Wahrnehmungsunterschiede.
Fondskongress 2025 in Mannheim: Neue Trends und alte Herausforderungen
Der Fondskongress 2025 hat einmal mehr bewiesen, dass die Investmentbranche im stetigen Wandel ist. Zwei Tage lang trafen sich führende Experten, Finanzberater und Asset Manager im Congress Center Rosengarten in Mannheim, um über die Zukunft der Finanzwelt zu diskutieren.
Inflation frisst Sparzinsen auf – Festgeld-Realzins wieder negativ
Festgeld bringt Sparerinnen und Sparern im Durchschnitt nicht mehr genug Rendite, um die Inflation auszugleichen. Laut einer aktuellen Verivox-Auswertung liegt der Realzins erstmals seit einem Jahr wieder im negativen Bereich. Dennoch gibt es Möglichkeiten, sich gegen den schleichenden Wertverlust zu schützen.
Finanzplanung auf dem Tiefpunkt: Nur 26 Prozent der Deutschen planen ihre Finanzen aktiv
Die finanzielle Absicherung wird in Zeiten unsicherer Rentensysteme und wachsender Altersarmut immer wichtiger. Dennoch haben nur 26,3 Prozent der Menschen in Deutschland einen Finanzplan für 2025, wie eine aktuelle Umfrage der LV 1871 zeigt.
Die beliebtesten Geldanlagen 2024/2025
Immobilien, Tagesgeld, Gold und Fonds sind die Favoriten der Deutschen für das kommende Jahr. Sicherheit bleibt der wichtigste Faktor bei der Geldanlage.
Revolut startet kostenfreie ETF-Sparpläne in Deutschland
Das Fintech Revolut bietet seinen Kunden in Deutschland ab sofort die Möglichkeit, kostenfreie ETF-Sparpläne zu nutzen. Damit erweitert das Unternehmen sein Angebot im Bereich Kapitalmarktanlagen.