Viele Unternehmen in der Versicherungsbranche stehen vor der Herausforderung, die Legacy-Systeme zu modernisieren. Nur so können sie ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten und auch steigern. Bei Migrationsprozessen stehen dabei in der Regel technische Fragen im Vordergrund. Ein wesentlicher Aspekt kommt dabei oft zu kurz: die essenzielle Notwendigkeit der Mindset-Transformation.
Ein Beitrag von Rasmus Lynge ist Chief Product and Technology Officer bei Fadata
Wie in vielen Branchen ist auch in der Versicherungswirtschaft der Wettbewerbsdruck hoch – mit kontinuierlich steigenden Markt- und Kundenanforderungen. Nur mit einer durchgehenden Digitalisierung, einer Optimierung von Prozessen und einer intelligenten Datennutzung können Versicherer die heutigen und künftigen Herausforderungen bewältigen.
Ein Hindernis stellen dabei die genutzten Legacy-Systeme dar, die oft Mainframe-basiert sind. Mainframe-Systeme sind zwar sehr stabil und sicher, sie bieten aber keine Flexibilität. Sie behindern vor allem die schnelle Erfüllung neuer Geschäftsanforderungen durch inkonsistente und manuelle Prozesse. Eine Digitalisierung mit hohem Automatisierungsgrad ist letztlich nur mit einem modernen System zu erreichen.
Die richtige Modernisierungsstrategie
Doch wie sollte ein Versicherungsunternehmen nun eine solche Modernisierung in Angriff nehmen? Zunächst hängt die Wahl der richtigen Migrationsstrategie von vielen Faktoren ab. Sie muss folglich unternehmensspezifisch festgelegt werden.
Technologisch betrachtet ist auf jeden Fall klar, dass ein Lift-and-Shift-Verfahren mit der Migration der Mainframe-Anwendungen etwa in die Cloud nicht sinnvoll ist. Dadurch bleibt letztlich „alles beim Alten“, ohne dass die Vorteile der Cloud zum Tragen kommen. Im Gegenteil: Ein solcher Migrationsprozess führt eher zu höheren Kosten.
Best Practices zeigen, dass ein Versicherer bei der Modernisierung prinzipiell ein stufenweises Vorgehen wählen sollte, und zwar mit der sukzessiven Anpassung einzelner Geschäftszweige. Dabei geht es vor allem um die Neudefinition der Prozesse. Im Unterschied zur Vergangenheit muss die Kundenperspektive die entscheidende Rolle spielen. Das heißt, die Prozesse müssen aus Kundensicht neu aufgesetzt werden.
Der heutige Kunde ist durch die Nutzung moderner, mobiler Anwendungen gewohnt, schnell und einfach das Benötigte zu bekommen. Auch die Versicherungsbranche kann sich dieser Entwicklung nicht verschließen. Der Kunde möchte zum Beispiel auf Self-Service-Basis mit seinem Versicherer interagieren, um Angebote zu erhalten, Anträge zu stellen oder Ansprüche geltend zu machen.
Die Mindset-Transformation als Hauptaufgabe
Die Neudefinition von Prozessen ist somit eine wesentliche Aufgabe in der Modernisierung, die auch mit einem nicht zu unterschätzenden Zeitaufwand verbunden ist. Gleiches gilt für den erforderlichen Datentransfer von einem Altsystem in eine neue Umgebung.
Abgesehen von allen technischen Fragestellungen darf dabei aber ein wesentlicher Punkt nicht übersehen werden: die erforderliche Mindset-Transformation. Sie gehört im Modernisierungskontext zu den komplexesten Aufgaben der Versicherer in den nächsten Jahren.
Der Übergang von einem alten auf ein neues System erfordert auch eine Abkehr von der oft seit Jahrzehnten bewährten Denk- und Arbeitsweise. Starre und manuelle Prozesse werden durch flexible und automatisierte Prozesse ersetzt. Zugespitzt könnten man formulieren: Bisher limitiert das IT-System, jetzt limitiert der Mindset.
Folglich gibt es Widerstände gegen Modernisierungsvorhaben weniger von der IT-Seite, als vielmehr von Fachabteilungen. Die erforderliche Änderung des Mindsets – unter Umständen mit der Beseitigung bürokratischer Hürden oder eines Silodenkens – müssen Unternehmen also immer von Anfang an aktiv angehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Möglichkeiten einer modernisierten Umgebung nur unvollständig genutzt werden.
Von der Standardlösung bis zur Cloud-Umgebung
Die Zielumgebung eines Modernisierungsprozesses sollte eine Standardlösung sein, die über ein breites Funktionsspektrum verfügt, sofort einsatzbereit und anforderungsspezifisch flexibel anpassbar ist. Eine moderne Lösung bietet einen hohen Automatisierungsgrad und unterstützt damit die Prozessoptimierung. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung stellt eine Standardlösung schnell und effizient neue Features und Funktionalitäten bereit, die dem Kunden und dem Versicherungsunternehmen zugutekommen.
Idealerweise unterstützt die Lösung die verschiedenen Arten von Versicherungsservices, einschließlich Lebens-, Renten-, Sach- und Krankenversicherungen. Versicherer können damit zentrale Prozesse ihrer Wertschöpfungskette digital abbilden und so auch die digitale Transformation vorantreiben.
Prinzipiell kann ein Versicherer ein solches Standardsystem lokal in einer On-Premises-Infrastruktur betreiben. Durchaus in Betracht zu ziehen ist aber eine Cloud-Plattform. Eine Cloud-Infrastruktur mit containerisierter Versicherungsplattform und Cloud-nativer Entwicklungsumgebung bietet zahlreiche Vorteile wie Agilität, Flexibilität, Performance, Kosteneffizienz und vor allem Skalierbarkeit.
Das Geschäft von Versicherungen entwickelt sich schließlich dynamisch. Das heißt, die Lastprofile verändern sich nach der ursprünglichen Dimensionierung. Ein Beispiel dafür sind die verstärkt auftretenden Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Stürme oder Hagelschäden. Hier kann die Cloud entsprechend skalieren.
Nicht zuletzt können Versicherer mit einer Cloud-Plattform auch digitale Ökosysteme nutzen, etwa um ihre eigenen Versicherungsangebote mit den Produkten, Services und Leistungen anderer Unternehmen zu verknüpfen. So sind zum Beispiel auch Embedded-Insurance-Angebote schnell umsetzbar.
Bei allen aktuellen Modernisierungsinitiativen in der Versicherungsbranche ist deshalb derzeit auch ein klarer Cloud-Trend erkennbar, vor allem in Richtung Public-Cloud-Nutzung. Die bisher teilweise vorhandene Skepsis verschwindet zunehmend. Es ist zu erwarten, dass immer mehr Versicherungen den Cloud-Weg gehen werden.
Die Nutzung einer Standardlösung in der Cloud bringt einem Versicherer schließlich weitreichende Vorteile wie auch eine umfassende Provider-Unterstützung beim Management der Infrastruktur, des Technologie-Stacks und der Anwendung – nicht zuletzt einschließlich der Adaption der Applikation hinsichtlich neuer Geschäftsprozesse, Produktkonfigurationen oder regulatorischer Anforderungen.
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