Hohe Inflationsraten, wachsender Druck auf das Rentensystem, steigende Krankenkassenbeiträge und schwankende Kurse an den Börsen – seit einigen Monaten bestimmen Finanzthemen mehr denn je die Nachrichten. So werden Finanzthemen von der Mehrheit der Bundesbürger als wichtig wahrgenommen, auch wenn das eigene Interesse daran kaum vorhanden ist.
88 Prozent der Deutschen bewerten Finanzwissen als (sehr) wichtig – wobei das eigene Interesse daran eher gering ausgeprägt ist. Dennoch ist rund die Hälfte der Befragten überzeugt, sich gut damit auszukennen. Ein Wissenstest bestätigt diese Einschätzung jedoch nicht.
Der MLP Finanzkompetenzreport zeige deutlich, dass mangelhaftes Finanzwissen weit verbreitet sei – über alle Geschlechter, Altersgruppen und Bildungsschichten hinweg. Gerade bei so wichtigen Themen wie der Rente oder der passenden Absicherung könne dies gravierende Folgen haben, erklärt Jan Berg, Sprecher des Vorstands der MLP Finanzberatung SE und verantwortlich für die MLP School of Financial Education.
Finanzwissen: Große Bedeutung, wenig Interesse
Die Bevölkerung misst Finanzwissen große Bedeutung bei. 88 Prozent halten gute Kenntnisse in diesem Bereich für (sehr) wichtig, nur 2 Prozent für kaum beziehungsweise gar nicht wichtig. Gleichzeitig ist das Interesse am Thema Finanzen begrenzt: Nur 37 Prozent bekunden (sehr) großes Interesse. Mehrheitlich ist es weniger groß (46 Prozent) oder kaum bzw. nicht vorhanden (14 Prozent).
Gefragt nach ihren Kenntnissen ist rund die Hälfte der Bevölkerung davon überzeugt, sich mit Finanzen (sehr) gut auszukennen. Männer geben mehrheitlich an, sich (sehr) gut auszukennen (59 Prozent), unter Frauen schätzt die Mehrheit die eigenen Kenntnisse dagegen weniger oder gar nicht gut ein (58 Prozent). Der eigenen Einschätzung nach besonders gering sind die Finanzkenntnisse bei unter 30-Jährigen (64 Prozent weniger gut oder kaum bzw. gar nicht gut), bei Personen mit einfacher Schulbildung (67 Prozent) und Personen mit niedrigem Haushaltseinkommen (61 Prozent).
Große Wissenslücken bei Inflation, Kontoführung und Geldanlage
Um die Selbsteinschätzung einem Realitätstest zu unterziehen, wurde in der Studie das tatsächliche Wissen der Befragten untersucht. Im Themenfeld Geld herrschen in der Bevölkerung besonders verbreitete Fehlannahmen beim Thema Inflation – ein Befund, der angesichts der aktuellen Entwicklung besondere Tragweite hat.
So halten 37 Prozent der Bevölkerung die falsche Aussage "Die Erhöhung der Zinsen führt automatisch zu einer Erhöhung der Inflation" irrtümlich für richtig, und 36 Prozent gehen fälschlicherweise davon aus, dass man als Schuldner nicht von der Inflation profitiert.
Genauso verbreitet ist die Annahme, dass Verheiratete im Notfall über das Konto des Ehepartners beziehungsweise der Ehepartnerin verfügen können – 36 Prozent halten dies irrtümlich für korrekt. Außerdem glaubt rund jeder Vierte fälschlicherweise, dass man mit einer sicheren Geldanlage auf dem Tagesgeldkonto in der Regel mehr Rendite erzielen kann als an der Börse. Dieser Irrtum zum Zusammenhang von Rendite und Risiko zieht sich durch alle Einkommensschichten.
Nur wenige kennen sich gut mit der Rente aus
Im Themenfeld Versicherung und Vorsorge fallen insbesondere häufige Irrtümer im Zusammenhang mit der Rente auf. So denkt rund die Hälfte fälschlicherweise, dass mit einer größeren Kinderzahl automatisch eine höhere Rente einhergeht. Diese Fehlannahme ist in höheren Altersgruppen – wenn das Thema Rente zunehmend an Bedeutung gewinnt – verbreiteter als in jüngeren.
Zudem glauben 33 Prozent der Bevölkerung, die gesetzliche Rente decke 70 Prozent des letzten Einkommens ab. Hierzu passt auch, dass nur 40 Prozent aller Berufstätigen die voraussichtliche Höhe ihrer Rente beziehungsweise Pension kennen.
Im Gegensatz zum Thema Rente ist in der Bevölkerung Grundwissen zur privaten Absicherung von Risiken verbreiteter: Dass eine private Haftpflichtversicherung zwar empfohlen wird, aber nicht verpflichtend ist, wissen rund 9 von 10 Bürgern.
Dass es für Berufstätige vermeintlich eine staatliche Pflicht gibt, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen oder dass man in Deutschland nur einen Anwalt nehmen kann, wenn man eine Rechtsschutzversicherung hat, glaubt jeweils nicht einmal jeder Zehnte.
Trotz des verbreiteten Grundwissens springt im Bereich der privaten Risikoabsicherung ein Manko ins Auge: So nennen auf eine offene Frage nach Versicherungen, die man unbedingt haben sollte, zwar gut drei Viertel der Bevölkerung die Haftpflichtversicherung. Aber eine Berufsunfähigkeitsversicherung – bei der unter Experten ein breiter Konsens darüber besteht, dass sie für die gute private Risikoabsicherung unverzichtbar ist – kommt nur 18 Prozent der Bevölkerung in den Sinn.
Steuerklasse top, Immobilienfinanzierung und Erbe flop
Im Themenfeld Steuern, Sozialversicherung und Erbe fällt der sehr verbreitete Irrtum auf, man müsse mindestens 30 Prozent Eigenkapital nachweisen, um eine Immobilie zu kaufen; 46 Prozent glauben dies, quer durch alle Einkommensschichten.
Weniger verbreitet, für die privaten Finanzen aber ebenfalls von großer Bedeutung ist die falsche Annahme, dass sich eine Steuererklärung nur bei einem überdurchschnittlich hohen Jahreseinkommen lohnt (18 Prozent Zustimmung). Brisant ist, dass Menschen aus unteren Einkommensschichten überdurchschnittlich oft davon ausgehen: Personen aus Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 2.000 Euro halten die Aussage zu 28 Prozent für zutreffend.
Auch im Erbrecht gibt es Wissenslücken: So hält fast jeder fünfte Bürger Immobilien für grundsätzlich erbschaftssteuerbefreit, wenn sie von den Eltern an die Kinder vererbt werden. Daneben glauben 16 Prozent, dass der letzte Wille auch mündlich festgehalten werden kann. Ab 60-Jährige – für die Erbschaftsfragen größere Relevanz haben dürften – unterliegen diesen Irrtümern tendenziell überdurchschnittlich häufig. Besser kennt sich die Bevölkerung hingegen mit den Steuerklassen aus: Fast jeder Berufstätige weiß, welche Steuerklasse er hat beziehungsweise wo er das nachschauen könnte.
Geschlecht und Schulbildung: kein großer Einfluss
Der auf finanzielles Grundwissen ausgelegte Test umfasst 24 Aussagen und deckt in etlichen Bereichen deutliche Defizite auf. Insgesamt beurteilt die Bevölkerung 72 Prozent der vorgelegten Aussagen korrekt, gibt dabei allerdings häufig an, sich in ihrer Bewertung nicht sicher zu sein. Männer kennen sich geringfügig besser aus als Frauen (74 Prozent versus 70 Prozent korrekte Antworten), jedoch schätzen sie ihre Kenntnisse selbst auch deutlich besser ein (59 Prozent; Frauen: 40 Prozent).
Auch die Schulbildung hat nur einen begrenzten Effekt auf das Finanzwissen. Personen mit hoher und mittlerer Bildung bewerten annähernd gleich viele Aussagen korrekt (74 Prozent beziehungsweise 73 Prozent), Personen mit einfacher Schulbildung liegen etwas darunter (67 Prozent). Allerdings bewerten sie ihr Finanzwissen auch deutlich konservativer: Während 61 Prozent der Personen mit hoher Schulbildung und gut die Hälfte der Personen mit mittlerer Schulbildung überzeugt sind, dass ihr Finanzwissen (sehr) gut ist, geben das lediglich 28 Prozent der Personen mit einfacher Schulbildung an.
Wissen von Finanzentscheidern ebenfalls mit Defiziten
Im Rahmen der Studie wurden zudem Führungskräfte befragt, die Finanzentscheidungen für ihre Unternehmen treffen. Ihr Wissen zu Privatfinanzen fällt erwartungsgemäß größer aus als im Bevölkerungsdurchschnitt, sie beurteilen im Schnitt 81 Prozent der Fragen korrekt. Gemessen an ihrer Expertise liegen jedoch auch sie erstaunlich oft falsch.
Das betrifft insbesondere – ähnlich wie in der Gesamtbevölkerung – die Themen Inflation und Rente: 43 Prozent der Finanzentscheider sind der irrigen Meinung, dass eine Erhöhung der Zinsen automatisch zu einer Erhöhung der Inflation führt, ein Drittel geht fälschlicherweise davon aus, dass man als Schuldner nicht von der Inflation profitiert. Dabei wäre gerade für Finanzentscheider in Unternehmen ein fundiertes Verständnis der Auswirkungen einer Inflation von großer Bedeutung.
Dass mehr Kinder automatisch eine höhere Rente bedeuten, halten 42 Prozent der Finanzentscheider fälschlicherweise für zutreffend, ein Viertel, dass die gesetzliche Rente 70 Prozent des letzten Einkommens abdeckt.
Irrtümer von Finanzentscheidern in diesem Feld sind nicht nur problematisch für berufliche Entscheidungen und die eigene Lebensplanung, sondern können aufgrund ihrer Vorbildfunktion auch zu falschen Ratschlägen anderen gegenüber führen. Weiterhin geht knapp ein Viertel der Finanzentscheider davon aus, dass man auf einem Tagesgeldkonto in der Regel mehr Rendite erzielen kann als an der Börse – auch dies ein potenziell folgenschwerer Irrtum.
Die repräsentative Befragung von Bevölkerung und Finanzentscheidern hat das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der MLP School of Financial Education erstellt.
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