Von 15. bis 18. März findet die MIPIM 2022 in Cannes statt. Wie lässt sich die aktuelle Entwicklung des deutschen Immobiliensektors einschätzen, auch unter dem Aspekt des Ukraine-Krieges und mit Blick auf das Zukunftsthema ESG?
Kommentar von Ulrich Höller, Geschäftsführender Gesellschafter der ABG Real Estate Group
Punkt 1: Die aktuelle Entwicklung des deutschen Immobilienmarkts
Der Abgesang auf das Büro hat sich nicht bewahrheitet: Erstklassige Büroimmobilien stehen nach wie vor im Hauptfokus der Investor*innen, wie beispielsweise unsere Projekte VoltAir in Berlin oder das Deutschlandhaus in Hamburg zeigen. Und das trotz der anhaltendenden Diskussionen um Homeoffice und eines veränderten Flächenbedarfs im Kontext agiler Arbeitsmodelle. In der Gunst der Investor*innen ebenfalls ganz oben stehen außerdem Logistikimmobilien sowie Einzelhandelsobjekte mit Fokus auf den kontinuierlichen Bedarf, also Supermärkte, Discounter, Drogeriemärkte und Nahversorgungszentren. Ein Ende der Nachfrage nach Gewerbeimmobilien ist nicht zu erwarten. Insbesondere institutionelle Anleger*innen bleiben in diesem Bereich sehr aktiv. Der Grund dafür ist einfach: Alternative Anlagemöglichkeiten mit einem ähnlich attraktiven Risikoprofil werden weiterhin kaum verfügbar sein. Das bedeutet: Ein Teil der anstehenden Neuinvestitionen wird in den Immobiliensektor fließen und die Nachfrage auf dem sowieso schon knappen Markt für Core-Immobilien weiter vorantreiben.
Die Aktivität internationaler Käufer*innen ist 2021 leicht unter den Vorjahren geblieben. Große Portfoliotransaktionen oder Unternehmensübernahmen mit ausländischer Beteiligung sind weitgehend ausgeblieben. Der Anteil ausländischen Kapitals lag 2021 mit rund 37 Prozent des Transaktionsvolumens (2020: 41 Prozent, 2019: 43 Prozent) unter dem langjährigen Durchschnitt. Dies ist jedoch auch der extrem hohen Nachfrage deutscher Investor*innen geschuldet, die häufig bereit sind, die geforderten Höchstpreise für begehrte Core-Immobilien zu bezahlen.
Punkt 2: Die Konsequenzen aus dem Ukraine-Krieg
Der Krieg in der Ukraine beeinflusst den Immobiliensektor gleich auf mehreren Ebenen. Im Kontext der aktuellen Krise werden Sachwerte nochmals stärker in den Fokus der Investor*innen rücken. Dabei werden Banken jedoch mögliche Investments noch genauer prüfen und gegebenenfalls Risiken reduzieren. Abzuwarten bleibt, ob Deutschland weiterhin als sicherer Hafen für Investor*innen gelten oder ob der britische Markt stärker in den Fokus rücken wird. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass der Krieg in der Ukraine ohnehin bestehende Herausforderungen in der Branche weiter verschärfen wird, insbesondere mit Blick auf Bauprojekte und die Verfügbarkeit von Baustoffen und Fachkräften. Schon vor der Ukraine-Krise zeigte die Richtung der Baupreisentwicklung eindeutig nach oben. Jetzt werden die zu Jahresbeginn für 2022 zu prognostizierenden Preissteigerungen sicher übertroffen.
Die Ukraine-Krise hat das Bewusstsein für eine strategische Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern schlagartig vergrößert. Dies wird einen vergleichbaren Beschleunigungseffekt haben wie die Corona-Krise hinsichtlich der Digitalisierung. Für den Immobiliensektor bedeutet dies: Die Anforderungen an die Energieeffizienz von Immobilien werden nochmals deutlich steigen. Zwar ist Energieeffizienz in der Umsetzung bereits sehr teuer und aufwendig. Trotzdem hat die Bereitschaft, entsprechende Maßnahmen umzusetzen, mit den sprunghaft gestiegenen Energiekosten zugenommen. Dabei bleibt fraglich, ob das theoretisch Mögliche auch direkt praktisch machbar ist. Denn bei erneuerbaren Energietechnologien wird das Angebot aufgrund der bekannten Probleme bei den Lieferketten nicht mit der Nachfrage Schritt halten können.
Punkt 3: ESG und der nachhaltige Wandel
Die Nachhaltigkeit von Immobilien ist auf dem Markt zur Pflicht geworden. Trotzdem tut sich die Branche noch immer schwer, die Ziele von ESG auf Immobilien zu übertragen: Während der Aspekt Ökologie vor allem Energieverbrauch und Nachhaltigkeitszertifizierungen betrifft, zielen die Aspekte Soziales und Governance insbesondere auf die Nachhaltigkeit der Immobilienunternehmen selbst. Aus unternehmerischer Sicht ist es deshalb geboten, zunächst Transparenz und vor allem Messbarkeit von ESG im Immobiliensektor zu schaffen, die zuverlässige und objektive Grundlage für nachhaltige Investments.
Die wachsende Bedeutung der ESG-Kriterien wird zwei spezifische Konsequenzen für den Immobilienmarkt haben: Einerseits wird die Nachfrage nach hochwertigen Immobilien, welche die ESG-Standards erfüllen, deutlich zunehmen. Die Verfügbarkeit von solchen Neubauprojekten wird aber bedingt unter anderem durch die verschärften Flächenversiegelungsregelungen der Bundesregierung perspektivisch sicher nicht zunehmen. Andererseits werden deshalb auch Bestandsimmobilien immer interessanter, sofern sie das Potenzial für eine ESG-konforme Transformation aufweisen. Dort setzen auch sogenannte „Manage- beziehungsweise Develop-to-ESG“-Produkte an, welche die ABG Real Estate Group zeitnah anbieten wird, so dass der Anteil der Sanierungsobjekte bei Büroimmobilien zunehmen wird. Zugleich wird sich mit dem geschärften Bewusstsein für eine nachhaltige Gebäudesubstanz auch die Diskussion um Stranded Assets fortsetzen, in diesem Fall für Bestandsgebäude ohne ESG-Potenzial.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Gewerbeimmobilien mit höheren Anforderungen an Risikosysteme
Zukünftig sind für gewerbliche Immobilienanlagen breitere Szenarien zu betrachten. Denn die derzeitige Verschiebung der Beurteilungskriterien führt zur starken Differenzierung von Werten, Nachfrage und Preisen hinsichtlich Lage und Qualität.
ESG-Einmaleins: Schlüsselkriterien für die Immobilienbranche
Bis voraussichtlich 2050 bedürfen 80-90 Prozent des heute genutzten Gebäudebestands einer grundsätzlichen energetischen Sanierung. Das erfordert ein verantwortungsvolles Handeln, um eine ökologische Immobilienwirtschaft von morgen zu garantieren.
Klimafonds-Urteil: Immobilien-Förderungen in Gefahr?
Durch die vom BGH untersagte Umwidmung des Corona-Sondervermögens stehen Fördermittel für die Effizienzsteigerung von Gebäuden in Höhe von 19 Mrd. Euro infrage. Dies könnte den Immobilienmarkt weiter spalten, indem Bestandsgebäude schwerer vermittelbar und notwendige Investitionen vertagt werden.
Interessenkonflikt bei Büroimmobilien
Nur wenn Büroimmobilien ihre Rollen bei der Vermögensbildung privater Haushalte, im Erreichen der Klimaschutzziele sowie als attraktiver Arbeitsort produktiv und ganzheitlich ausfüllen, kann diese Assetklasse langfristig erfolgreich sein und bleiben.
Inflationsschutz durch börsennotierte Immobilien
Immobilienpreise fliegen zu neuen Höhen
Frostschäden: Versicherung kann Leistungen kürzen – Murmeltier warnt vor anhaltender Kälte
Das Murmeltier hat entschieden: Am 2. Februar 2025 verkündete Phil aus Punxsutawney, dass der Winter noch sechs weitere Wochen andauern wird. Für Immobilienbesitzer bedeutet das, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt zeigt, welche finanziellen Konsequenzen drohen können.
Grundsteuerreform: Teure Überraschungen für Eigentümer und Mieter 2025
Die Grundsteuerreform, die ab Januar 2025 in Kraft tritt, sorgt bereits jetzt für hitzige Diskussionen. Kritiker befürchten deutliche finanzielle Belastungen für Eigentümer und Mieter, die weit über das hinausgehen, was ursprünglich von der Politik versprochen wurde.
Der Sanierungsstau erfordert mehr als Wärmepumpen – Zeit für eine ganzheitliche Gebäudewende
Emanuel Heisenberg, Experte für nachhaltige Immobilienentwicklung, hat in einem Gastkommentar in der Wirtschaftswoche eindringlich vor einem einseitigen Fokus auf Wärmepumpen bei der Sanierung des deutschen Gebäudebestands gewarnt.
2024 überdurchschnittlich hohe Schäden durch Wetterextreme
Zwei Hochwasser prägen die Schadenbilanz der ersten Jahreshälfte. Für das Gesamtjahr erwarten die Versicherer Schäden von mindestens sieben Milliarden Euro.
Neue Gefahrstoffverordnung belastet Versicherer zusätzlich
Mit den geplanten Änderungen der Gefahrstoffverordnung kommen hohe Kosten auf die Wohngebäudeversicherer zu. Vorgesehen ist unter anderem, dass vor Reparaturen in Gebäuden unter bestimmten Voraussetzungen Asbestprüfungen durchgeführt werden müssen.
Deutsche Mietwohnungsmärkte in Negativspirale gefangen
Die hohe Nachfrage nach Wohnraum und das vergleichsweise geringe Angebot haben die Neuvertragsmieten kräftig nach oben getrieben. Die strenger regulierten Bestandsmieten konnten nicht Schritt halten und in großen Ballungsräumen entstand eine Lücke zwischen den Angeboten für Neuvertragsmieten und Mieten für bestehende Vertragsverhältnisse.