Die EZB betreibt monetäre Finanzierung und muss sich möglicherweise mit den rechtlichen Konsequenzen auseinandersetzen, meint Hendrik Tuch, Leiter des Bereichs Fixed Income NL bei Aegon Asset Management. Nach Tuch seien die Anleihekaufprogramme der Zentralbanken in der Vergangenheit zwar legitim und hatten vertragliche Gründe für ihre Maßnahme, diese Legitimität könnte jedoch mit der steigenden Inflation schwinden.
Der Ansatz der EZB könnte gegen die EU-Verträge zur monetären Finanzierung verstoßen. Dies wiederum könnte zu einer rechtlichen Anfechtung durch Hardliner-Ökonomen führen, die mit dem Ansatz der EZB nicht einverstanden sind und eine Klage beim Verfassungsgericht einreichen, die dann an den Europäischen Gerichtshof weitergeleitet werden könnte, sobald die Formulierung zur wirtschaftlichen Unterstützung kein Gewicht mehr hat.
Es sei klar, dass der Markt davon ausgehe, dass die EZB weiterhin einen erheblichen Teil, wenn nicht sogar das gesamte künftige Angebot an europäischen Staatsanleihen aufkaufen werde, bemerkt Hendrik Tuch, Leiter des Bereichs Fixed Income NL bei Aegon Asset Management. Darüber hinaus erwarte der Markt, dass die EZB genügend Flexibilität bei der Zusammensetzung dieser Käufe zulasse, um Italien und andere hoch verschuldete Länder vor einem erheblichen Anstieg der Renditen zu schützen. Er ins der Ansicht:
Genau wie beim aktuellen Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) dürfte das künftige Programm zum Ankauf von Vermögenswerten darauf abzielen, sowohl die Renditen von Staatsanleihen als auch die Spreads auf einem historisch niedrigen Niveau zu halten.
Laut Tuch ist die Inflation der wichtigste Aspekt der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der sich seit der letzten Finanzkrise verändert hat. Der konstante Deflationsdruck der letzten zehn Jahre weicht nun einem Inflationsdruck, was die Motivation der Zentralbanken für QE verändern sollte.
Mit dem anhaltenden Wirtschaftsaufschwung und dem steigenden Preisdruck sehen sich die Zentralbanken mit ganz anderen Umständen konfrontiert als im letzten Jahrzehnt, so Tuch. Die steigende Nachfrage nach Gütern, sowohl während als auch nach der Pandemie, habe in Verbindung mit sich verschärfenden Versorgungsengpässen zu einem starken Anziehen der Inflation geführt:
Ich glaube, auch wenn ein Teil dieses Preisdrucks mit der Zeit nachlassen wird, werden die steigenden Inflationszahlen die Zentralbanken dazu zwingen, zu erklären, warum sie weiterhin Anleihen kaufen und ihre Bilanzen ausweiten. Und ich gehe davon aus, dass die EZB für solche Meinungen besonders anfällig sein wird, da der Kauf von Staatsanleihen im EU-Vertrag kaum unterstützt wird.
Der EU-Gerichtshof vertrete die Auffassung, dass die früheren Ankaufsprogramme der EZB mit dem Mandat der EZB, die Preisstabilität zu gewährleisten, in Einklang stehen, konstatiert Tuch. Er warnt jedoch, dass die EZB bald mit einer Klage des EuGH konfrontiert werden könnte, und die beschönigenden Worte der EZB-Direktoriumsmitglieder über die "Unterstützung der Wirtschaft" nicht mehr lange tragen werden.
Die meisten EZB-Direktoriumsmitglieder folgen in ihren Reden immer noch der Linie der 'fortgesetzten monetären Unterstützung der Wirtschaft', was eine ausreichend vage Aussage sei, um den EU-Vertragstest zu erfüllen. Einige Äußerungen deuten jedoch auf das Argument hin, dass die EZB weiterhin das gesamte Angebot an Staatsanleihen aufkaufen sollte, kommentiert Tuch. Er fügt hinzu:
Einige Mitglieder des Direktoriums scheinen sich die Flexibilität erhalten zu wollen, beim Ankauf von Anleihen vom Kapitalschlüssel abzuweichen, der mit dem aktuellen PEPP-Programm eingeführt wurde. Dies sind besorgniserregende Anzeichen im Hinblick auf die - meiner Meinung nach - unvermeidliche Anfechtung vor dem Europäischen Gerichtshof.
Die Erwartungen der Finanzmärkte an die Ankündigung eines umfangreichen und flexiblen Ankaufprogramms im Dezember steigen, laut Tuch. Es stehe aber noch in Frage, ob die EZB in der Lage und willens sein wird, diese hohen Erwartungen zu erfüllen.
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