Geplante Gesetzesnovelle schwächt Aktionäre

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Auch in der Hauptversammlungssaison 2023 haben viele Unternehmen auf den persönlichen Kontakt mit ihren Eigentümern verzichtet und Aktionärstreffen virtuell abgehalten. Lediglich 73 der 160 in der DAX-Familie vertretenen Aktiengesellschaften sind nach der Corona-Krise zur Präsenz-Hauptversammlung zurückgekehrt.

Im DAX 40 allein blieben fast 70 Prozent beim virtuellen Format. Nur wenige Unternehmen wichen zugunsten ihrer Aktionäre davon ab. Darunter etwa die Deutsche Telekom, BASF, SAP und Volkswagen. Etwas besser sah es in der zweiten und dritten Reihe aus. Im MDAX war das Verhältnis zwischen Präsenz- und Onlineformat ausgeglichen. Im SDAX überwog die Präsenz-Hauptversammlung mit rund 60 Prozent.

Zudem war die Hauptversammlungssaison neben vielen technischen Problemen auch von einer hohen Termindichte geprägt. Dies erschwerte Aktionären die Teilnahme an Online-Hauptversammlungen nicht nur, sondern machte sie institutionellen Investoren teilweise unmöglich. So haben zum Beispiel am 17. Mai 2023 insgesamt 21 im HDAX vertretene Unternehmen ihre Hauptversammlung abgehalten.

„Ein echter Dialog zwischen Aktionären, Vorstand und Aufsichtsrat konnte auch bei den Online-Hauptversammlungen 2023, deren technische Durchführung häufig zu wünschen übrigließ, nicht stattfinden. Das hat die Hauptversammlung als oberstes Kontrollorgan und Sprachrohr der Aktionäre weiter entwertet“, sagt Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI.

Die überwiegende Mehrheit der 160 in der DAX-Familie vertretenen Unternehmen hat sich die Ermächtigung eingeholt, auch künftig virtuelle Hauptversammlungen abhalten zu können. Dabei haben sich immerhin 97 Unternehmen an den BVI-Analyseleitlinien für Hauptversammlungen (ALHV) orientiert und diese Option zunächst nur für zwei Jahre vorgesehen. 41 Unternehmen haben die Satzungsänderung auf fünf Jahre befristet.

Zukunftsfinanzierungsgesetz schränkt Aktionärsrechte weiter ein

Nach Einführung der virtuellen Hauptversammlung droht nun mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz ein weiterer Eingriff in die Aktionärsrechte. Die im aktuellen Regierungsentwurf vorgesehene Einführung von Mehrstimmrechtsaktien schadet Klein- wie Großanlegern zusätzlich, da solche Aktien Kontroll- und Mitspracherechte der Eigentümer entsprechend ihrer Kapitalbeteiligung verhindern.

Das „one share, one vote“-Prinzip ist jedoch essenziell für effektives – und von der Politik gefordertes – Engagement institutioneller Investoren, um die Corporate Governance von Unternehmen zu stärken oder auch die nachhaltige Transformation der Wirtschaft voranzutreiben. Die Ampelkoalition schießt dabei auch über das eigentliche Ziel der Förderung von Start-ups und Wachstumsunternehmen hinaus, weil sie Mehrstimmrechtsaktien für Börsengänge aller Unternehmen zulassen will.

ETFs werden so gezwungen, noch stärker in Unternehmen zu investieren, die Aktionärsrechte beschneiden. Wirkliche Anreize zur Stärkung der Aktienanlage lässt der Regierungsentwurf hingegen gänzlich vermissen.

Weiteres Verbesserungspotenzial bei der Unternehmensführung

In der Hauptversammlungssaison 2023 waren bei der Qualität der Beschlussvorlagen der Gesellschaften wieder gravierende Beanstandungen zu verzeichnen. Die meiste Kritik gab es gegenüber den Aufsichtsräten. So war bei 107 (2022: 100), also bei mehr als 65 Prozent der HDAX-Unternehmen, die Entlastung des Aufsichtsrats als kritisch anzusehen, insbesondere weil die Gremien nicht mit einer ausreichenden Zahl unabhängiger Vertreter besetzt waren.

Bei 60 (2022: 55) Unternehmen gab es Beanstandungen zu den Wahlen zum Aufsichtsrat, vor allem weil die Vorgaben der ALHV zur Beschränkung von Aufsichtsratsmandaten nicht eingehalten wurden. Viel Anlass zur Kritik boten auch die Vergütungsberichte für Vorstand und Aufsichtsrat. Die Unternehmen müssen diese Berichte jährlich erstellen und von der Hauptversammlung billigen lassen. Bei 87 von 160 Gesellschaften, also bei mehr als der Hälfte der HDAX-Unternehmen, entsprachen die zur Billigung vorgelegten Vergütungsberichte nicht den Vorstellungen der Fondswirtschaft zu guter Unternehmensführung.

Positiv hervorzuheben ist, dass eine weiter wachsende Zahl von Unternehmen, wie in den ALHV gefordert, ESG-Komponenten bei der Vergütung der Vorstände einfließen lässt. So berücksichtigen mittlerweile alle DAX-40-Unternehmen mindestens eine der drei ESG-Komponenten bei der Bezahlung ihrer Vorstände. Nur insgesamt 19 Unternehmen in MDAX und SDAX machen die Vorstandsvergütung noch nicht von ESG-Zielen abhängig.

Dies sind Auszüge aus den Ergebnissen einer Untersuchung der Hauptversammlungssaison 2023 auf Basis der BVI-ALHV, die der Fondsverband mit Unterstützung des Aktionärsdienstleisters IVOX Glass Lewis bei 160 Unternehmen der DAX-Familie (DAX 40, MDAX und SDAX) erstellt hat.

Über die Analyse-Leitlinien des BVI

Die Analyse-Leitlinien des BVI für Hauptversammlungen (ALHV) stellen Eckpunkte für eine gute Unternehmensführung aus Sicht des BVI dar. Sie machen Fondsgesellschaften keine verbindliche Vorgabe für das jeweilige Abstimmungsverhalten auf der Hauptversammlung, sind in der Branche inzwischen aber zum Mindeststandard geworden.

Die Mitglieder des BVI halten in ihren Fonds Aktien deutscher Unternehmen im Wert von 168 Milliarden Euro. Dabei agieren die Fondsgesellschaften als Treuhänder ihrer Anleger gegenüber diesen Unternehmen und üben die Aktionärsrechte in deren Interesse aus. Sie orientieren sich dabei an anerkannten Branchenstandards wie den Wohlverhaltensregeln des BVI.

Der BVI untersucht jährlich mit Unterstützung des Aktionärsdienstleisters IVOX Glass Lewis die abgelaufene Hauptversammlungssaison auf Einhaltung der ALHV. Konkret werden die 160 Unternehmen der DAX-Familie (DAX, MDAX und SDAX) überprüft.