Die Europäische Zentralbank (EZB) drückt bei den Zinsanhebungen aufs Tempo. Seit Juli 2022 hat sie die Leitzinsen bereits fünf Mal in Folge angehoben. Anfang Februar folgte der bisher letzte Zinsschritt um weitere 0,5 Prozentpunkte (pp), nun liegt der Leitzins auf 3 Prozent. Die Ziellinie im Wettlauf gegen die Inflation ist aber bisher nicht erreicht. Zu diesem Ergebnis kommt die jüngste Studie des Kreditversicherers Allianz Trade.
„Wer auf einen raschen Sprint bei der Zinswende gehofft hatten, wird enttäuscht werden. Derzeit schaut es eher nach einem Marathon aus“, sagt Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Gewinner und Verlierer der Niedrigzinsphase
Die Auswirkungen der Zinswende sind in der Wirtschaft bisher noch kaum spürbar. Das liegt einerseits daran, dass die Zinssteigerungen bisher noch kaum die Bestandszinsen beeinflussen. 2022 stiegen beispielsweise im Privatkundengeschäft die Habenzinsen im Euroraum um nur 4 Basispunkte im Vergleich zum Vorjahr, die Sollzinsen gingen im gleichen Zeitraum sogar leicht zurück (-3 Basispunkte).
Andrerseits profitierte die Wirtschaft von einem verbesserten Netto-Zinseinkommen aus der Niedrigzinsphase. Die Zinszahlungen von europäischen Unternehmen haben sich zwischen 2008 und 2022 nahezu halbiert auf schätzungsweise rund 136 Mrd. Euro. Kumuliert konnten sie zwischen 2009 und 2022 1.424 Mrd. Euro an Zinszahlungen einsparen.
Bei den europäischen Regierungen belaufen sich diese Zinsersparnisse – trotz kräftig steigender Schulden – auf 400 Mrd. Euro. Auf diese Weise konnten sich Regierungen und Unternehmen durch die Niedrigzinsphase einen deutlichen Vorteil verschaffen und sich so eine gute Ausgangsposition für die Zinswende verschaffen.
Banken und Haushalte konnten hingegen nicht von den niedrigen Zinsen profitieren, im Gegenteil: ihre Netto-Zinseinkommen verschlechterten sich, bei Haushalten vor allem aufgrund niedrig verzinster Anlageformen. Insgesamt gehörten daher insbesondere Haushalte mit hohen Ersparnissen zu den Verlierern, wie Verbraucher in Deutschland, Österreich, Belgien aber auch Italien. Spanische und portugiesische Verbraucher gehörten hingegen zu den großen Gewinnern der Niedrigzinsphase – vor allem dank strikter Schuldendisziplin in den Krisenjahren.
Zinseinkommen-Gewinner Deutschland
Im Ländervergleich der Veränderungen des Netto-Zinseinkommens schneiden Deutschland, Spanien und Italien am besten ab. Auch Österreich weist noch ein positives, wenn auch nur geringes Plus auf.
Im Falle Deutschlands ist dies auf die hohen kumulierten Zinsersparnisse seit 2008 der Unternehmen (90 Mrd. Euro) und vor allem der Regierung (350 Mrd. Euro) zurückzuführen. Dem stehen Rückgänge bei Banken (-35 Mrd. Euro) und Haushalten (-190 Mrd. Euro) gegenüber. Unterm Strich bleibt so ein Plus für die deutsche Wirtschaft von 6,6 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.
Inzwischen nimmt die Zinswende aber Tempo auf – mit Folgen für die besonders schwach finanzierten Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad.
Mit den nun deutlicher steigenden Zinsen treten Schwachstellen in der Finanzierung schnell zu Tage, so Bogaerts. Viele Mittelständler seien solide und sehr langfristig finanziert, oft sogar mit einem geringen Anteil an Fremdkapital. Sie zählen definitiv zu den Gewinnern und haben ausreichend Puffer.
Manch kapitalschwachem Unternehmen könnte aber bald die Luft ausgehen, warnt der CEO. Die Wirtschaft brauche für diesen Marathon einen langen Atem, denn bei steigenden Zinszahlungen sei noch keine Zielgerade in Sicht.
Die vollständige Allianz Trade Studie „Rates, not roses – the long goodbye to zeronomics“ (PDF, ENG) finden Sie hier.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Stimmungslage unter den Versicherern erreicht Tiefpunkt
Zinswende, Inflation, Preissteigerungen und Fachkräftemangel: Noch nie war die Branche so pessimistisch gestimmt wie derzeit. So gehen 40 Prozent der Versicherer von rückläufigen Geschäften in den kommenden 12 Monaten aus. Allerdings zeigen sich zwischen den Sparten große Unterschiede.
Konjunktur zwischen Stagflation und Rezession
Stark steigende Lebenshaltungskosten und Energiepreise dämpfen die Konjunktur, die durch den Nachholbedarf an Dienstleistungen zustande kam. Bis zum Frühjahr 2023 wird ein leicht negatives Wachstum erwartet, das erst ab Frühjahr 2023 in einem moderaten Wachstumspfad mündet.
EZB schließt Zinswende 2022 nicht mehr völlig aus
EZB senkt erneut Leitzins – Trump-Zölle verschärfen wirtschaftliche Unsicherheit
Die Europäische Zentralbank setzt ihren Kurs der Zinssenkungen fort. Während die Inflation weiter sinkt, sorgt US-Präsident Trump mit neuen Zollplänen für wachsende wirtschaftliche Spannungen.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Globale Alterung als Gamechanger: Versicherer müssen umdenken – technologisch und strategisch
Der demografische Wandel wird die Versicherungsbranche in den kommenden Jahrzehnten weltweit grundlegend verändern. Der „World Property and Casualty Insurance Report 2025“ des Capgemini Research Institute zeigt, wie steigende Altersquoten, verändertes Kundenverhalten und komplexere Risikolagen Versicherer zum Umdenken zwingen. Vor allem Schaden- und Unfallversicherer (P&C) müssen ihre Geschäftsmodelle neu ausrichten – mit Hilfe von Technologie, präventiven Produkten und einer klaren Strategie.
Nicht-ärztliches Praxispersonal gewinnt an Bedeutung
Viele GKV-Versicherte haben in Hausarztpraxen ausschließlich Kontakt mit nicht-ärztlichem Personal. Die Befürwortung von mehr Kompetenzen für medizinische Fachangestellte ist groß – besonders auf dem Land.
Reiserücktrittsversicherung im Test: Welche Tarife Vermittler jetzt kennen sollten
Finanztip hat 17 aktuelle Kombi-Tarife für Reiserücktritt und -abbruch analysiert. Die Ergebnisse zeigen, welche Anbieter mit starken Leistungen überzeugen – und worauf Vermittler bei der Beratung achten sollten.
Beratungsbranche im Risiko: Hiscox-Umfrage zeigt Absicherungslücken
Trotz großer Zukunftszuversicht sind viele Beratungsunternehmen in Deutschland schlecht abgesichert. Eine aktuelle Umfrage von Hiscox zeigt: Nur etwa jeder zweite Consultant verfügt über essenzielle Haftpflichtversicherungen – dabei steigt das Haftungsrisiko stetig.