Verschlechterung der Zahlungsmoral in Deutschland

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Mehr als die Hälfte der deutschen Chemie-, Bau- und Transportunternehmen erwartet für das Jahr 2023 eine Verschlechterung der Zahlungsmoral ihrer Geschäftskunden. Das ist eines der Ergebnisse der jährlichen Umfrage des internationalen Kreditversicherers Atradius zur Zahlungsmoral in Deutschland in ausgewählten Branchen.

Das zentrale, branchenübergreifende Problem ist laut der Atradius-Studie: Wenn Unternehmen Lieferanten bezahlen müssen, bevor sie die Zahlungen von ihren eigenen B2B-Kunden erhalten haben, ist ihre Liquidität ernsthaft gefährdet.

Die Chemiebranche reagierte angesichts dieses Risikos mit der Forderung an ihre Kunden, Rechnungen schneller zu begleichen. So sollten mehr flüssige Mittel im Unternehmen gehalten und die Nutzung externer Finanzquellen vermieden werden. Das Resultat war, dass sich die Zahlungsfrist in der Branche von 66 Tagen im letzten Jahr auf derzeit 41 Tage verkürzte. Dennoch verzeichneten die deutschen Chemiebetriebe einen deutlichen Anstieg bei lange ausstehenden Rechnungen.

Auch in der Baubranche verschärft sich die Lage. Die Zahl der Insolvenzen stieg im ersten Halbjahr 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 19 Prozent. Darüber hinaus erhält Atradius nach eigenen Angaben zunehmend Nichtzahlungsmeldungen. kleine und mittelgroße Unternehmen seien stärker betroffen, so Frank Liebold, Country Director Deutschland beim internationalen Kreditversicherer Atradius.

Dabei hatte sich die Situation zum Zeitpunkt der Befragung (Mai bis Mitte Juli 2022) noch weniger dramatisch dargestellt: 86 Prozent des Gesamtwertes aller Verkäufe der Branche an B2B-Kunden wurden pünktlich bezahlt – lediglich 12 Prozent der Zahlungen waren überfällig. Ein weiterer wichtiger Indikator für die Verschärfung der Lage war laut der Studie, dass die als uneinbringlich abgeschriebenen Forderungen 2 Prozent ausmachen. In der Chemiebranche liegt der Vergleichswert bei 5 Prozent und im Transportgewerbe mit 6 Prozent dreimal so hoch. 

Auch das Transportwesen erzielte dank umfangreicher Maßnahmen einen Rückgang der überfälligen B2B-Rechnungen um durchschnittlich 30 Prozent. Diese machen derzeit einen Anteil von 38 Prozent vom Gesamtwert aller B2B-Umsätze aus. Im letzten Jahr lag ihr Anteil bei 54 Prozent. Dadurch, dass weniger Liquidität in ausstehenden Forderungen gebunden gewesen sei, verringerte sich die Abhängigkeit von externer Finanzierung, erklärt Frank Liebold. 

Branchenübergreifende Maßnahmen zur Sicherung des Cashflows

Angesichts der Unsicherheiten wurden branchenübergreifend zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um den Cashflow zu sichern. Dazu zählten in der Chemie neben der Verkürzung der Zahlungsfristen, dass Zahlungen an Lieferanten hinausgeschoben wurden, um flüssige Mittel im Unternehmen zu halten. Vielfach wurden zudem – wie auch in der Transportbranche – Skonti für vorzeitige Zahlungen gewährt. 

Im Baugewerbe zahlte sich die robuste Strategie für das Debitorenmanagement vor Verkäufen mit vereinbartem Zahlungsziel und während der Zahlungsfrist aus. Die befragten Betriebe gaben laut Studie an, potenzielle Kunden einer strengeren Bonitätsprüfung zu unterziehen und dabei insbesondere die Wahrscheinlichkeit einer fristgerechten Zahlung zu prüfen.

Darüber hinaus implementierten sie konsequente Prüfungen der Wartezeit zwischen dem Verkauf auf Ziel und der Zahlung durch den Kunden. So konnten sie Beträge effektiv einziehen und mussten seltener auf externe Finanzierungsquellen zurückgreifen. Trotz der bereits eingeleiteten internen Maßnahmen sei bei vielen Unternehmen das Interesse an Kreditversicherungen deutlich gestiegen, betont Frank Liebold. 

Chemiebranche sieht dunkle Wolken über 2023

Der Ausblick auf das Jahr 2023 ist unter den befragten deutschen Chemiefirmen pessimistisch. Ein länger anhaltender Abschwung der weltweiten Konjunktur bereitet 40 Prozent von ihnen Sorgen. Eine erhebliche Anzahl befürchtet ein steigendes Risiko für Zahlungsausfälle von B2B-Kunden und daraus resultierende Liquiditätsengpässe. Wenig hilfreich ist in dieser Situation die Unsicherheit hinsichtlich hoher Energiepreise, anhaltender Lieferkettenstörungen und geopolitischer Spannungen. 

Die Zukunftssorgen äußern sich in einer erheblichen Verschlechterung des Geschäftsklimas. Nur 59 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, sie seien optimistisch, was ihr eigenes Wachstum und das Zahlungsverhalten von Kunden in den kommenden zwölf Monaten angeht. Im vergangenen Jahr lag dieser Wert noch bei 83 Prozent. 

Baubranche mit großen Sorgen

In der Baubranche dominieren aktuell große Sorgen beim Blick in die Zukunft. 78 Prozent der befragten Unternehmen befürchten, dass die Preise für wichtige Baumaterialien durch die globale Unsicherheit infolge von geopolitischen Spannungen, Lieferkettenstörungen und steigenden Energiekosten in die Höhe getrieben werden. 

Zusätzlich belasten das Fehlen von Fachkräften, insbesondere aus dem Ausland, und fehlende Preisgleitklauseln. Zudem führen stark gestiegene Zinsen zu einem Rückgang bei den Investitionen. Gleichzeitig werden die Banken restriktiver. Hinzu kommen ein rückläufiger Auftragsbestand und eine damit einhergehende Verschlechterung der Ergebnissituation.

In das pessimistische Gesamtbild passt auch, dass 61 Prozent der befragten Baufirmen ihre Wachstumsaussichten für das nächste Jahr negativ einschätzen. Besorgniserregend ist zudem, dass nur 31 Prozent die Entwicklung des Zahlungsverhaltens von Kunden optimistisch beurteilten (gegenüber 64 Prozent im letzten Jahr).

Auch die Stimmung zur Forderungslaufzeit hat sich verändert: 75 Prozent der Unternehmen gaben an, in den kommenden Monaten keine signifikanten Schwankungen der Forderungslaufzeit zu erwarten. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Wert von 33 Prozent aus dem letzten Jahr. Dies legt nach den Worten von Frank Liebold nahe, dass sich die deutsche Bauwirtschaft auf ein effektives Inkasso konzentrieren wird, um einen ausreichenden Cashflow sicherzustellen. 

Transporteure mit eingetrübten Aussichten

Die befragten Transport-Betriebe rechnen für die nächsten zwölf Monate mit einer Verschlechterung der Zahlungsmoral von B2B-Kunden. Nur 36 Prozent erwarten eine Verbesserung, verglichen mit 64 Prozent im letzten Jahr. Frank Liebold erläutert, dass dieses Ergebnis Ausdruck einer tiefen Besorgnis sei angesichts eines langsameren oder ausbleibenden Aufschwungs in Branchen, mit denen der Transportsektor stark verflochten sei.

Es spiegele auch die Angst vor anhaltenden Störungen der Lieferketten wider, die sich auf die Branche besonders stark auswirken. Außerdem brachten die befragten deutschen Transporteure ihre großen Befürchtungen über einen anhaltenden Abschwung der Weltwirtschaft zum Ausdruck. Gleichzeitig äußersten sie sich recht zuversichtlich über ein potenzielles Unternehmenswachstum. Die Firmen erwarten, dass die Forderungslaufzeit relativ stabil bleiben wird, was möglicherweise den Aufwärtstrend bei der Nutzung von Kreditversicherungen innerhalb der Branche widerspiegelt.