Aktuell steigen die Stromkosten immer weiter und viele Verbraucherinnen und Verbraucher sowie das Handwerk oder produzierendes Gewerbe sehen der nahen Zukunft mit Sorge entgegen. Sie fragen sich beinahe täglich, wie sie kommende Rechnungen bezahlen sollen oder ob das nächste Jahr vielleicht wieder eine Senkung der Kosten bereithält.
Ein Beitrag von Thomas Schoy, Mitinhaber und Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Privates Institut
Viele Deutsche hoffen auch auf die finanzielle Unterstützung von Seiten der Bundesregierung. Gleichzeitig verhandelt die Europäische Kommission mit den Energieministerinnen und - ministern momentan über mögliche Lösungsansätze für das Dilemma. Dabei steht vor allem eine Übergewinnsteuer beziehungsweise das Abschöpfen von Zufallsgewinnen immer wieder im Fokus der Gespräche.
Dadurch will die Politik die Strommarktgewinner der aktuellen Krise mit einer Steuer belangen und somit das sogenannte ‚übermäßig erwirtschaftete Geld‘ an die Bevölkerung zurückgeben. Dies erweist sich jedoch einerseits als ein komplizierter und tiefgreifender Eingriff in das Marktgeschehen und anderseits existiert bisher noch kein genauer Plan zur Durchführung solcher Maßnahmen. Viele Unternehmen aus der Energiebranche sehen hier berechtigterweise von Seiten der Politik noch einiges an Klärungsbedarf.
Mitgehangen, mitgefangen?
Die aktuellen Gewinne der Stromproduzenten entstehen vor allem aufgrund der Merit-Order an der Strombörse. Durch eine vorgegebene Einsatzreihenfolge von stromproduzierenden Kraftwerken am Handelsplatz beginnt die Zuschaltung bei den preisgünstigen Produzenten und steigert sich langsam zu den teureren Energielieferanten, bis das Angebot die aktuelle Nachfrage deckt.
Im Zuge dieses Prinzips orientiert sich der Strompreis an dem letzten zugeschalteten Grenzkraftwerk. Diese Rolle nehmen derzeit die Gaskraftwerke ein, die durch Rohstoffkosten teuer Strom produzieren und damit derzeit circa zehn Prozent des Gesamtaufkommens decken. Momentan legt also dieser geringe Anteil die Kosten für die restlichen neunzig Prozent fest. In diesem Zuge können Atom- und Kohlekraftwerke aber auch die regenerativen Energien, wie Photovoltaik oder Wind, mit ihren relativ geringen Aufwendungen überraschend hohe Gewinne erzielen, da sich die Marktwerte an der Strombörse seit 2021 vervielfacht haben. 1
Strommarkt gegen PPA
Solche sogenannten Übergewinne halten jedoch viele Verbraucherinnen und Verbraucher für sozial ungerecht und fordern nun, diese mit einer Übergewinnbesteuerung zu belegen. Dabei wird nur ein kleiner Bruchteil des gesamten erzeugten Stroms an der Strombörse gehandelt. Der weitaus größere Teil von mehr als 80 Prozent wandert über direkte Stromverträge mit langer Laufzeit, sogenannte ‚Over The Counter‘ - Verträge an den Empfänger. Besonders bei Solar- und Windstrom haben sich viele Erzeuger im Rahmen vom Power Purchase Agreements (PPA) über mehrere Jahre zur Stromlieferung zu festen Preisen verpflichtet.
Diese wirken sogar preisdämpfend und stabilisierend. Nebenbei lässt sich festhalten, dass zwei Drittel aller Photovoltaikanlagen hierzulande überhaupt nicht an der sogenannten Direktvermarkt teilnehmen und die Mehrerlöse derselben unverzüglich auf das gut gefüllte EEG-Umlagekonto wandern.
Viele offene Fragen
Trotzdem scheint das Abschöpfen von entstehenden ‚Zufalls‘- Gewinnen auf den ersten Blick ein effizienter und besonders populärer Ansatzpunkt in der aktuellen Krise, jedoch blockiert die Politik so auf längere Sicht auch mögliche Investitionen in eine grünere und nachhaltigere Zukunft. Zudem stehen die Marktteilnehmer momentan noch vor einigen Fragen, auf die die Bundesregierung bisher noch keine Antworten liefern konnte.
Dazu gehört unter anderem die Höhe der anstehenden Übergewinnsteuer oder wer genau diese überhaupt festlegt: Ab wann ist ein Gewinn ein Übergewinn? Wie lässt sich das ganz möglichst raus und rechtssicher abwickeln? Momentan scheint die Politik gerade diejenigen als Sündenböcke für die Krise opfern zu wollen, die die Energiewende mit ihren Investitionen erst ermöglichen, während die totgeglaubte Kohle ein Revival bekommt.
Diese Entscheidung könnte dringend benötigte Investitionen und ebenso Risikokapital für die (Weiter-)Entwicklung von Zukunftstechnologien wie power to gas oder Speichersystemen bremsen.
Biete Gaspreis, suche Deckel
Es scheint vollkommen abstrus, dass teure Gaskraftwerke, die nur ein Zehntel des Gesamtaufkommens produzieren, den Preis für die restliche Menge des Stroms festlegen. Portugal und Spanien zeigen beispielsweise schon eine Möglichkeit, wie die Politik zielgeführter und individueller auf den außer Kontrolle geratenen Strommarkt reagieren kann. Schon vor ein paar Monaten haben sich beide Länder entschlossen, den Gaspreis fest für die nächsten zwölf Monate zu deckeln.
Mit einer bei der Europäischen Union erwirkten Sonderregel haben sie diesen auf circa 50 Euro eingefroren und somit die Kosten für Strom vorübergehend fast um die Hälfte gesenkt. Für dieses Vorgehen gibt es jedoch auch Kritik, da der günstige Strompreis zu mehr Verbrauch, vor allem durch den Export an Frankreich, führt.
Hier zeigt sich, dass auch in diesen Ländern noch Nachbesserungsbedarf herrscht. Eine Hochsetzung des entsprechenden Deckels könnte beispielsweise mehr Sparanreize liefern. Der Strommarkt selbst funktioniert einwandfrei nur der Gasmarkt ist dabei zu kollabieren.
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