Minijobs in Zeiten von Corona und Krisen

Die Bundesregierung will die Verdienstgrenze bei Minijobs anheben. Dabei erweisen sich Minijobs bereits in wirtschaftlich normalen Zeiten als Beschäftigungsform mit sehr schwacher sozialer Absicherung, bei der Niedriglöhne weit verbreitet sind.

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In der Corona-Krise hat sich die Prekarität vieler Minijobs noch einmal besonders deutlich gezeigt: Da für geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt wird, konnten sie während der Pandemie nicht über Kurzarbeit abgesichert werden. Bei Verlust der Beschäftigung besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Auswirkungen der Epidemie wurden dadurch verschärft, dass 450-Euro-Minijobs insbesondere in Branchen wie Gastronomie und Handel verbreitet sind, die unter den Kontaktbeschränkungen stark litten. Ende Juni 2021 gab es bundesweit gut 436.000 geringfügig Beschäftigte weniger als vor Beginn der Pandemie zwei Jahre zuvor. Das zeigt eine neue Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Diese liefert zudem detaillierte Minijob-Daten für alle 400 kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland.

Keine soziale Sicherheit bei Minijobs

Besonders deutlich ist der Rückgang unter Beschäftigten, die über den Minijob hinaus kein anderes Arbeitsverhältnis haben: Die Zahl der Minijobs im Hauptjob ging gegenüber Juni 2019 um rund 495.000 zurück. Allein zwischen Juni 2020 und Juni 2021 sank sie um 109.000. Dagegen ist die Zahl der Minijobs, die als Nebenjob ausgeübt werden, nach einem Rückgang im ersten Corona-Jahr wieder gestiegen: Sie lag 2021 um rund 190.000 höher als 2020 und überstieg auch den Wert von 2019 um knapp 60.000.

Die Zahlen zum 30. Juni 2021 sind die neuesten vollständig verfügbaren aus der Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Inklusive Vergleichsdaten aus den Vorjahren lassen sie sich über interaktive Karten und Datenblätter in der digitalen Datenbank „Arbeitsmarkt im Wandel“ (AIWA) des WSI abrufen.

Geringe Stabilität und mangelnde soziale Sicherheit seien keine Schönheitsfehler, sondern integraler Bestandteil des Konzepts Minijob, sagt WSI-Experte Dr. Eric Seils. Er meint:

Unter den Bedingungen von Corona wird das nur besonders deutlich. Problematisch sind Minijobs unter anderem auch, weil den Beschäftigten teilweise wichtige Rechte wie der Mindestlohn, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub versagt bleiben. Außerdem setzen sie Anreize, die es für viele geringfügig entlohnte Beschäftigte kurzfristig unattraktiv machen, ihre Beschäftigung auszuweiten. Dadurch ergeben sich insbesondere bei verheirateten Frauen etwa negative Auswirkungen auf die Alterssicherung.

Aktuelle Studie: Meist kein Übergang in stabilere Beschäftigung

Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt zu dem Schluss, dass Minijobs meist keinen Übergang in stabilere Beschäftigung bieten und allein in kleinen Betrieben rund 500.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängen. Es sei daher richtig, geringfügig entlohnte Beschäftigung nach Möglichkeit in reguläre sozialversicherungspflichtige Jobs umzuwandeln, betont WSI-Experte Seils. So wie das bis zum Beginn der Corona-Krise auch schon geschah, allerdings relativ langsam.

Sorgen bereitet dem Forscher auch der fortgesetzte Anstieg der Nebenjobs. So zeigen aktuelle Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit, dass die Zahl der Nebenjobs trotz Corona-Krise einen neuen Höchststand erreicht hat. Seils sagt:

Eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung durch einen Minijob bei einem anderen Arbeitgeber zu ergänzen, mag im Vergleich zu einer Ausdehnung der Arbeitszeit im Hauptjob individuell steuerlich vorteilhaft sein

Volkswirtschaftlich sei dies aber problematisch, weil die Nebenjobs oft in Helfertätigkeiten bestehen, die das Potential der Beschäftigten häufig ungenutzt lassen. Das Vorhaben der Ampelkoalition, die Minijob-Grenze von 450 auf 520 Euro monatlich anzuheben, gehe in die falsche Richtung. Und das nicht nur mit Blick auf die individuelle Situation von Minijobberinnen und Minijobbern, sondern auch auf Wirtschaft und Sozialstaat in Deutschland.

Das unterstreicht auch eine aktuelle Analyse der Ökonominnen und Ökonomen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung:

In Zeiten, in denen ein grundlegender Strukturwandel ansteht, qualitativ hochwertige Fertigkeiten und Tätigkeiten immer bedeutsamer für den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschlands werden und das Erwerbspersonenpotenzial infolge des demografischen Wandels mittelfristig abnehmen dürfte, muss es darum gehen, den Erhalt und das Entstehen guter und zukunftsfähiger sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze zu unterstützen und nicht atypische Beschäftigungsformen mit niedrigen Arbeitsumfängen, geringen qualifikatorischen Anforderungen, prekärer Entlohnung sowie mangelnder sozialer Absicherung zu fördern.

Minijobs als einzige Beschäftigung: Zwischen rund 4 Prozent in Wolfsburg und knapp 23 Prozent in Trier-Saarburg

Nach der neuen Auswertung des WSI gab es in Deutschland zum Stichtag 30. Juni 2021 rund 7,157 Millionen Beschäftigte, die einen 450-Euro-Minijob haben. Das waren etwa 80.000 mehr als ein Jahr zuvor, aber gut 436.000 weniger als Ende Juni 2019. Für rund 3 Millionen Personen war die geringfügig entlohnte Beschäftigung, Stand Juni 2021, ein Nebenjob. Etwa 4,15 Millionen oder 10,9 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland übten zu diesem Zeitpunkt ausschließlich einen Minijob aus. Da es spürbare Unterschiede bei 450-Euro-Haupt- und Nebenjobs gibt, beispielsweise die gegenläufige Entwicklung im vergangenen Jahr, sind sie in der WSI-Datenbank separat erschlossen (Links unten).

Von den ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten sind etwa 60 Prozent Frauen. Bei der regionalen Verteilung in Deutschland gibt es große Unterschiede. Generell sind 450-Euro-Minijobs als Hauptbeschäftigung in Westdeutschland mit 11,6 Prozent aller Beschäftigten, Stand Ende Juni 2021, viel verbreiteter als in Ostdeutschland (7,7 Prozent). Die Differenz hängt eng mit der deutlich höheren Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen im Osten zusammen. Entgegen diesem Muster liegt aber auch der Kreis mit dem geringsten Anteil an ausschließlich geringfügig Beschäftigten in Westdeutschland: In Wolfsburg gehen nur 4,3 Prozent aller Beschäftigten ausschließlich einer 450-Euro-Beschäftigung nach. Bundesweit die höchsten Anteile ausschließlich geringfügig entlohnter Beschäftigter finden sich in den Landkreisen Trier-Saarburg (22,9 Prozent), Kusel (19,0 Prozent) und Plön (18,8 Prozent).

Neben-Minijobs: Höchste Quoten in drei bayerischen Landkreisen

Die Zahl der Neben-Minijobs hat über Jahre stark zugenommen, der Rückgang im ersten Corona-Jahr 2020 war 2021 wieder mehr als ausgeglichen. Der Geschlechter-Unterschied ist bei den Nebenjobs etwas schwächer ausgeprägt als bei der ausschließlichen Minijob-Beschäftigung. Rund 55 Prozent wurden Ende Juni 2021 von Frauen ausgeübt, 45 Prozent von Männern. Auch hier bestehen beachtliche regionale Unterschiede: In Westdeutschland haben 7,9 Prozent der Beschäftigten einen Nebenjob, in Ostdeutschland sind es nur 4,2 Prozent. Die drei Kreise mit dem höchsten Anteil von Beschäftigten in 450-Euro-Nebenjobs lagen Mitte 2021 alle in Bayern. Es handelt sich um Dachau (16,0 Prozent), Fürstenfeldbruck (15,0 Prozent) und Bad Tölz-Wolfratshausen (14,6 Prozent). In Dessau-Roßlau (2,8 Prozent) sowie Wolfsburg und der Uckermark (jeweils 2,9 Prozent) sind die Nebenjobs in Relation zur Gesamtbeschäftigung am wenigsten verbreitet.

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