Rezession in Europa ist vermeidbar

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Die Finanzmärkte erweisen sich nach wie vor als äußerst volatil. Neben der hohen Inflation und der Erwartung steigender Zinsen sorgen sich Anleger*innen um eine weitere wirtschaftliche Abkühlung. Da eine mögliche Rezession in vielen Investments bereits eingepreist ist, kann ein Ausbleiben der wirtschaftlichen Talfahrt zu einer positiven Überraschung an den Märkten führen.

Ein Interview mit Francesco Sedati, Leiter des Equity Research & Portfolio Management Teams bei Eurizon und Manager des Eurizon Fund – Top European Research

Francesco Sedati, Leiter des Equity Research & Portfolio Management Teams, Manager des Eurizon Fund – Top European Research, Eurizon Asset Management

Geopolitische Spannungen in Europa, Engpässe bei der Energieversorgung, eine mögliche drohende Rezession: Ist Europa jetzt wirklich ein guter Platz für Anleger?

Sedati: Das Bild für europäische Aktien ist gar nicht so schlecht. Europäische Aktien, insbesondere Industrie- und Automobilwerte, sind stark von China abhängig, das in Kürze seine Wirtschaft wieder ankurbeln könnte. Das wiederum dürfte auch das Wachstum der zyklischen europäischen Unternehmen beschleunigen. Hinzu kommt:  Die europäischen Märkte werden mit einem sehr großen Abschlag gegenüber den USA gehandelt, wo sich bereits eine leichte Rezession abzeichnet. Wir sehen also ermutigende Perspektiven mit attraktiven Bewertungen.

Ist damit das Rezessionsszenario in Europa vom Tisch? 

Es stimmt, Europa ist dem kriegsbedingten Energieversorgungsschock besonders ausgesetzt, und je länger der Ukraine-Konflikt andauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Rezession. Wir glauben aber, dass die EZB und die Regierungen aus früheren Fehlern gelernt haben und versuchen werden, die Volkswirtschaften zu stützen, auch wenn die Inflation ein Hemmnis sein wird. Deshalb halten wir es für wahrscheinlicher, dass eine Rezession in Europa vermieden werden kann, als in den USA. 

Werfen wir einen Blick auf Ihren Fonds: Wie sind Sie durch das letzte turbulente Quartal gekommen? Welche Aktien trugen besonders positiv/negativ zur Performance bei? 

Es war ein schwieriges Quartal für die Märkte und auch für unseren Fonds, obwohl es uns gelungen ist, die Outperformance gegenüber der Benchmark beizubehalten. Die Performance wurde vor allem durch unsere Entscheidung beeinträchtigt, Ende Mai neue Risiken einzugehen. Wir waren der Ansicht, dass die Inflation in den USA ihren Höhepunkt erreicht haben könnte, was zu einer weniger aggressiven Haltung der FED führen könnte. Leider ist die Inflation nach wie vor hoch, was zu einem weiteren Ausverkauf bei zyklischen Titeln führte; insbesondere hatte der Fonds einige Industrie- und Dienstleistungswerte gekauft, die die Performance beeinträchtigten. Positiv wirkten sich hingegen die Long-Positionen im Gesundheitswesen aus. 

Welches Marktszenario erwarten Sie für das 3. Quartal, nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Zinsen?

Auch das dritte Quartal wird für die Märkte voraussichtlich eine Herausforderung darstellen, wenn auch wahrscheinlich weniger als das, was wir in diesem Jahr bisher erlebt haben. Die Märkte haben bereits deutlich korrigiert und sind von der Diskontierung eines fast Goldilock-artigen Szenarios zu einer Rezession übergegangen – die Abwärtsrisiken sind unserer Meinung nach jetzt eher begrenzt.

Und auf längere Sicht?

Die Zentralbanken müssen die Inflation in den Griff bekommen. Solange es keine Anzeichen für eine deutliche Verlangsamung der Preise gibt, wird es keine große Erleichterung für die Märkte geben. Aber: Ein erheblicher Teil der Inflation geht auf externe Schocks zurück, die sich möglicherweise bessern werden. Insbesondere die Null-Covid-Politik Chinas könnte gelockert werden, um Versorgungsengpässen entgegenzuwirken. Auch nachlassender Druck der Energiepreise könnte helfen, allerdings halte ich dieses Szenario für weniger wahrscheinlich. Obwohl eine Rezession nicht völlig auszuschließen ist, kommt sie wie gesagt nicht unbedingt – und das könnte im zweiten Halbjahr für Überraschungen sorgen. 

Wie setzen Sie Ihre Einschätzungen im Fonds um?

Im Portfolio haben wir einen einigermaßen ausgewogenen Ansatz zwischen Value und Growth sowie Zyklikern und defensiven Werten beibehalten. Gleichzeitig haben wir immer wieder Gelegenheiten genutzt, um von Marktausverkäufen zu profitieren und Positionen neu aufzubauen. Die Konzentration auf Qualitätsunternehmen bleibt gerade jetzt eine wichtige Absicherung für den Fall, dass sich die Wirtschaft auf eine Rezession zubewegt, aber wir prüfen auch Chancen in Segmenten, die im ersten Halbjahr 2002 stark unter Druck geraten sind, insbesondere im Industriesektor, bei Finanzwerten und bei zyklischen Werten. 

Was macht den Finanzsektor und Industriewerte so attraktiv?   

Der Finanzsektor wurde wegen Russland und der Ausweitung der Spreads bei Staatsanleihen stark belastet. Der Sektor ist jedoch in einer viel besseren Verfassung als in der Vergangenheit, und auch wenn die Wirtschaft sich auf eine langsamere Wachstumsphase zubewegt, dürfte sie recht widerstandsfähig sein und dank höherer Zinsen ein ordentliches Wachstum aufweisen.

Industriewerte dürften längerfristig auch von einem potenziellen Investitionszyklus profitieren, der sich aus höheren Investitionen in Energie, erneuerbare Energien und der Verlagerung von Lieferketten ergibt. Wir halten Positionen in allen drei Sektoren, aber wir werden sie weiterhin nur sehr schrittweise aufstocken, da das Makroszenario ohnehin sehr unsicher bleibt. Gleichzeitig beginnen wir damit, einige der Übergewichte in defensiven Sektoren zu reduzieren, insbesondere bei Grundnahrungsmitteln.

Auf welche Unternehmen kann man derzeit setzen?

Wir suchen nach Unternehmen, die über nachhaltige Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Konkurrenten verfügen und die zu Preisen gehandelt werden, die den inneren Wert unterschätzen. Wir definieren den inneren Wert anhand eines zyklusübergreifenden Ansatzes, der die langfristige Ertragskraft des Unternehmens berücksichtigt. Daneben sehen wir die Achtung und Förderung von ESG-Prinzipien als einen wichtigen Wettbewerbsvorteil für ein Unternehmen.

Welche Titel würden Sie wiederum auf der Grundlage Ihres Ansatzes aussortieren?

Der Eurizon Fund – Top European Research ist relativ konzentriert (50-70 Namen), und obwohl wir im Laufe der Zeit eine gesunde Rotation von Ideen fördern wollen, werden Unternehmen, die keines der Zielkriterien erfüllen – ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil oder ein Preis unterhalb des inneren Wertes –, ausgeschlossen. Grundsätzlich suchen wir in jedem Sektor nach Ideen, um eine signifikante Sektor- oder Stilverzerrung zu vermeiden. 

Über Francesco Sedati 

Francesco Sedati ist Leiter des Equity Research & Portfolio Management Teams bei Eurizon, wo er seit 2019 tätig ist, und Manager des Eurizon Fund – Top European Research. Er begann seine Karriere 1999 bei Arthur Andersen in der Unternehmensberatung, nachdem er seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Universität LUISS – Guido Carli in Rom gemacht hatte. Im Jahr 2000 zog er in die USA, um bei Fayez Sarofim & Co. als Research-Analyst für US-Banken zu arbeiten und wechselte dann 2004 als Analyst zu Fidelity International. Von 2009 bis 2019 arbeitete er bei JP Morgan AM als Research-Analyst und Fondsmanager für europäische Aktien.

Bild (2): © Eurizon Asset Management