Wer relevant bleiben will, muss mit der Zeit gehen. Das gilt auch für traditionelle Versicherer. Sie müssen ihre Prozesse anpassen, um im digitalisierten und auf Effizienz getrimmten Markt von heute bestehen zu können. Intelligent Document Processing (IDP) hilft ihnen dabei.
Ein Beitrag von Dr. Matthias Quaisser, Business Development Lead – Insurance bei Timetoact
Digitalisierung und Industrie 4.0 verändern nicht nur die Produktion und den Handel rapide. Sie treiben auch den Wandel der bisher als eher traditionell und schwerfällig geltenden Versicherungsbranche stetig voran. Entsprechend sind die IT-Ausgaben der Versicherungsunternehmen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen:
Im Jahr 2020 erreichten diese laut dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft 5,6 Milliarden Euro – im Jahr 2017 beliefen sich die Investitionen in diesem Bereich noch auf 4,5 Milliarden Euro. Denn der Versicherungsmarkt ist deutlich dynamischer geworden. Zahlreiche unterschiedliche Faktoren treiben die Veränderungen in der Versicherungsbranche voran. Hier drei Beispiele:
1. Steigende Kosten
Die Negativ- und Niedrigzinspolitik der vergangenen Jahre, die deutliche Zunahme von Versicherungsrisiken aufgrund der globalen Klimaveränderung sowie die pandemiebedingten wirtschaftlichen Verwerfungen treffen die Versicherer finanziell hart.
2. Veränderte Kundenerwartung:
E-Commerce und Online-Banking haben das Kundenverhalten stark verändert. Vom Vertrag über die Police bis hin zur Schadensbearbeitung erwarten Kunden heute, dass sie auf alle Informationen zugreifen können – und zwar auf allen Kommunikationskanälen. Daher setzen Versicherer im Privatkundengeschäft stark auf den Ausbau digitaler Angebote. Eigene Online-Versicherungsportale und spezielle Apps machen das Angebot auch der großen, traditionellen Versicherungshäuser deutlich flexibler.
3. Konkurrenz durch neue Anbieter:
Die Versicherungsbranche hat in den vergangenen Jahren eine umfassende Transformation erfahren. Produkte und Policen haben sich aufgrund gesetzlicher Bestimmungen verändert und sind teilweise nicht mehr so attraktiv wie noch vor wenigen Jahren. Und es drängen immer mehr reine Online-Versicherer mit innovativen Angeboten auf den Markt, die vor allem auf junge Kunden zugeschnitten sind. Druck erhalten Versicherungsunternehmen auch von unerwarteter Seite. Große Digitalunternehmen wie etwa Amazon versuchen, auf den Versicherungsmarkt vorzudringen.
Mit Intelligent Document Processing zu automatisierten Arbeitsabläufen
Versicherungen müssen daher umdenken und ihr Geschäftsmodell anpassen. Die Grundlage für digitalisierte und effizientere Prozesse schafft das Konzept Intelligent Document Processing (IDP). Es ist kein simples Softwaretool, sondern vereint eine Vielzahl von Technologien, zu denen neben Optical Character Recognition (OCR) auch Methoden der künstlichen Intelligenz (KI), insbesondere maschinelles Lernen, gehören.
Gemeinsam erkennen diese Technologien in komplexen, unstrukturierten Dokumenten relevante Daten automatisch, extrahieren sie und bereiten sie so für eine strukturierte Weiterverarbeitung vor. Modernes Intelligent Document Processing umfasst zusätzliche Module, die weiteren Mehrwert ermöglichen – etwa Freiform-Anteile, um handschriftliche Einträge oder Eingangsstempel zu identifizieren sowie weitere in den Dokumenten enthaltene unstrukturierte, variable und komplexe Datenstrukturen als strukturierte Daten zu erfassen.
Je vollständiger digitalisiert wird und Metadaten zu den Dokumenten zur Verfügung stehen, desto besser lässt sich ein digitaler Workflow über IT-Systeme hinweg aufbauen und steuern. Mit den passenden Schnittstellen können Medienbrüche verhindert werden. Manuelle Suche und wiederholtes Abtippen von Daten aus einem System für die Eingabe in ein anderes System erübrigen sich: Die Effizienz steigt durch mehr Dunkelverarbeitung. Wenn der fachliche Prozess eine Prüfung durch die Sachbearbeiter vorsieht, kann das System die nötigen Informationen anzeigen und Entscheidungsvorschläge aus ähnlichen Fällen mit Hilfe von Scoring-Modellen anbieten.
Intelligent Document Processing verbessert Prozesse auf zweierlei Weise: Zum einen wird die Bearbeitung eines jeden Einzelfalls beschleunigt und mehr Transparenz für den Kunden erzeugt. Zum anderen können die digital verfügbaren Metainformationen über alle Fälle hinweg ausgewertet und interpretiert werden. So lassen sich beispielsweise aus Unternehmenssicht Trendanalysen zu bestimmten Themen erstellen
Den richtigen Implementierungspartner finden
Unternehmen, die ein IDP-Projekt umsetzen möchten, tun gut daran, dabei mit einem IT-Dienstleister zu arbeiten. Dieser Partner sollte umfangreiche Kompetenzen auch in benachbarten Disziplinen wie Datenbanken, Enterprise Content Management und Archivierung vorweisen können. Denn selten starten Unternehmen bei einem Digitalprojekt auf der grünen Wiese. Der Projektpartner muss Abhängigkeiten zur Informationsarchitektur passend berücksichtigen.
Im ersten Schritt eines IDP-Projekts werden im Rahme eines Workshops die Anforderungen des Anwenders abgefragt. Dienstleister und Versicherer prüfen zudem gemeinsam, auf welchem Stand das Document Processing bereits ist, was bereits digitalisiert wurde und welche Medienbrüche bestehen. Im zweiten Schritt folgt ein Digital Maturity Assessment. Der Dienstleister identifiziert hierbei jene Bereiche, in denen der Kosten-Nutzen-Effekt für ein IDP-Projekt am höchsten ausfällt. Dies umfasst in der Regel Prozesse, die mit einem geringen oder leicht zu finanzierenden Aufwand verbessert werden können.
Anschließend wählt der Versicherer mit Unterstützung des externen Dienstleisters die Standardkomponenten sowie die für die individuelle Kundenlösung vorgesehenen Komponenten und Anwendungen aus. Im Rahmen eines Managed-Service-Modells kann auch der Betrieb von Anwendungen durch einen Dienstleister erfolgen – dies bietet die Basis für skalierende, transaktionsbasierte Vergütungsmodelle.
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