Prämien steigen, Kosten sinken: Versicherer müssen um ihre Marktstellung kämpfen

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Die Prämieneinnahmen im weltweiten Versicherungsgeschäft werden bis 2030 auf rund 9 bis 10 Billionen US-Dollar steigen (Abbildung). Zuletzt hatten sie sich auf rund 5,5 Billionen US-Dollar belaufen. Zugleich gehen durch den Einsatz neuer Technologien die Kosten für die Regulierung von Schäden und im Versicherungsbetrieb zurück. Noch ist allerdings nicht ausgemacht, ob damit eine goldene Ära für etablierte Versicherungsunternehmen anbricht.

Neue Wettbewerber drängen auf den Markt, die Geschäftsmodelle verändern sich, die Wertschöpfungskette bricht teilweise auf. Weichen neu zu stellen ist das Gebot der Stunde. Das sind zentrale Ergebnisse einer Analyse des globalen Versicherungsmarkts, die die internationale Unternehmensberatung Bain & Company durchgeführt hat.

Durch technischen Fortschritt hin zum Lösungsanbieter

Um bis zu 80 Prozent nehmen die Prämieneinnahmen in der laufenden Dekade demnach zu. Damit wachsen sie doppelt so schnell wie in den 2010er-Jahren. Dies liegt nicht nur an der steigenden Nachfrage in Schwellenländern, auch mehren sich Risiken, gegen die es sich künftig verstärkt zu versichern gilt. So sind heute weltweit schätzungsweise gerade einmal 5 Prozent der Cyberrisiken mit Policen abgesichert, bei Elementarschäden wie Hochwasser sind es rund 24 Prozent. Dr. Christian Kinder, Bain-Partner und Leiter der Praxisgruppe Versicherungen in der Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika (EMEA), führt einen weiteren Grund ins Feld:

„Im Versicherungsgeschäft geht es nicht länger nur um den Ausgleich von Risiken. Dank neuer Technologien übernehmen Anbieter eine immer aktivere Rolle bei der Vermeidung oder zumindest Minimierung von Risiken und erschließen sich so neue Ertragsquellen.“

Schon heute helfen Connected Devices, Gefahren im Straßenverkehr, in Wohngebäuden oder Fabrikhallen frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Unternehmen können dank Datenanalyse Schwachstellen in ihrer IT-Sicherheit aufspüren, und mit künstlicher Intelligenz lassen sich extreme Wetterlagen präziser vorhersagen. „Versicherungsunternehmen stehen vor einem tektonischen Wandel, was ihre Geschäftsmodelle anbelangt“, so Kinder. „Je stärker sie neue Technologien in ihr Leistungsspektrum integrieren, desto mehr entwickeln sie sich hin zum Lösungsanbieter.“

Nutznießer Kundschaft

Durch den Einsatz neuer Technologien verändert sich auch die Kostenstruktur. Der Bain-Analyse zufolge wird der Schadenaufwand bei Sachversicherern in den kommenden Jahren im Schnitt um 15 bis 20 Prozent sinken. Im Versicherungsbetrieb sind durch die Automatisierung von Prozessen sogar Einsparungen von 40 bis 50 Prozent möglich. Die Kosten von Lebensversicherern dürften sich um 20 bis 30 Prozent reduzieren. Profitieren werden die Anbieter davon aber nur bedingt. „Theoretisch würden steigende Prämieneinnahmen bei rückläufigen Kosten zu einem deutlichen Anstieg der Marge führen, doch in der Praxis wird es sich anders verhalten“, ist Branchenkenner Kinder überzeugt. „Die sinkenden Kosten werden in erster Linie den Kundinnen und Kunden zugutekommen, da ihre Prämien zurückgehen.“

Tatsächlich ist laut Bain-Analyse noch längst nicht ausgemacht, ob die etablierten Versicherungen überhaupt Vorteile aus den Veränderungen ziehen können – und wenn ja, in welchem Ausmaß. Denn der wachsende und margenträchtige Markt lockt immer mehr Wettbewerber an. Zugleich entstehen neue Geschäftsmodelle. So runden schon heute Embedded-Insurance-Produkte den Kauf höherwertiger Güter wie Pkw ab und der Anbieter der Versicherungspolice muss sich mit der Rolle als Zulieferer begnügen. Gehen die Pläne von Technologiekonzernen und Insurtechs auf, könnte das Geschäft sogar ganz ohne die Assekuranz funktionieren, da diese Unternehmen mittlerweile Lösungen für nahezu alle Teile der Wertschöpfungskette haben. Das reicht vom Vertrieb über das Risikomanagement bis hin zum Asset-Management. Darüber hinaus suchen sie den direkten Kontakt zur Kundschaft.

Auf Kernkompetenzen und Stärken besinnen

„Angesichts dieser Entwicklung sind etablierte Versicherungsunternehmen gut beraten, sich auf ihre Kernkompetenzen zu besinnen und ihre Stärken im Wettbewerb konsequent auszuspielen, ganz gleich ob allein oder mit Partnern“, erklärt Kinder. Gerade aufgrund der oft hohen Zahl an Bestandskunden erweise sich der Mehrspartenansatz der traditionellen Anbieter nun als Vorteil. Interessant für die Kundschaft seien zudem gemeinsam mit Partnern betriebene Ökosysteme.

Im Zuge ihrer strategischen Neuausrichtung muss sich die Assekuranz vorrangig mit drei Themen auseinandersetzen:

  1. Risikovermeidung und -minimierung. Es gibt gleich mehrere Ansätze, die sich zur Erweiterung des Geschäftsmodells heranziehen lassen. So können Versicherungen risikoarme Kundengruppen beispielsweise mit Telematiktarifen oder Gesundheitsprämien ansprechen sowie zum Teil auch ein risikoarmes Verhalten ihrer Kundschaft fördern. Zudem haben sie die Möglichkeit, mit Smart Devices sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen bei der Früherkennung von Risiken zu unterstützen.
  2. Embedded Insurance. Bis zum Ende dieser Dekade werden die globalen Prämieneinnahmen im Kfz- und Immobiliensektor bereits im dreistelligen Milliardenbereich liegen. Jeder Versicherer muss für sich die Frage beantworten, ob er als Zulieferer in diesem Geschäft aktiv bleibt und wie die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden können.
  3. Direkter Kontakt zur Kundschaft. Nur mit einem Omnikanal-Ansatz können traditionelle Versicherer die Bedürfnisse der zunehmend hybrid agierenden Kundinnen und Kunden erfüllen. Dies beinhaltet den Auf- und Ausbau direkter Vertriebskanäle und die geschickte Verzahnung dieser Zugänge mit den klassischen etablierten Vertriebswegen.

Diese strategischen Weichenstellungen sowie der vermehrte Einsatz neuer Technologien dulden keinen Aufschub, betont Bain-Partner Kinder. Je früher sich etablierte Versicherungen auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen würden, desto eher könnten sie von steigenden Prämieneinnahmen sowie sinkenden Kosten profitieren und sich damit nicht zuletzt gegenüber neuen Wettbewerbern behaupten. „Wem dies gelingt“, fügt Kinder hinzu, „für den könnte in der Tat eine goldene Ära beginnen.“

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