Es ist unabdingbar, dass in der aktuellen Legislaturperiode wichtige Weichen für die Zukunft der Altersvorsorge in Deutschland gestellt werden. Was werden die zukünftigen Herausforderungen des Altersvorsorgesystems in Deutschland sein und wie wirksam sind mögliche Reformansätze?
Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) im Auftrag der Union Investment Privatfonds GmbH eine Studie erstellt, um diese Fragen zu erläutern. Hieraus leiten sie folgende Thesen zur Zukunft der Altersvorsorge in Deutschland und zu Anforderungen an Reformen ab.
Ausmaß des Problems und Anforderungen an Reformen
Der Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand wird die gesetzliche Rentenversicherung insbesondere in den 2030er Jahren vor große Herausforderungen stellen. Die ifa folgert, dass man an vielen Stellschrauben gleichzeitig drehen muss, um weder Beitragszahler noch Rentenempfänger oder Steuerzahler unangemessen zu belasten.
Zwei wichtige Stellschrauben dauerhaft und eine weitere temporär für tabu zu erklären, wie es im aktuellen Koalitionsvertrag geschieht (Mindestrentenniveau von 48 Prozent, Höchstbeitragssatz von 20 Prozent und Aussage, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht steigen kann), ist weder zielführend noch generationengerecht. Darüber hinaus muss die Politik festlegen, ob das Ziel der Vermeidung von Altersarmut künftig ein höheres Gewicht erhalten soll. Denn hiervon hängt ab, ob auch Maßnahmen in Frage kommen, die dezidiert auf eine Erhöhung niedriger Renten abzielen.
Zusammenspiel zwischen Umlageverfahren und Kapitaldeckung
Umlageverfahren und Kapitaldeckung sind anfällig für unterschiedliche Risiken. Daher gilt es, Risiken zu streuen, indem man beide Systeme parallel nutzt und sinnvoll aufeinander abstimmt. Mehr Kapitaldeckung ist erstrebenswert. Hierfür stellt der im Koalitionsvertrag vorgesehene Kapitalstock für die gesetzliche Rentenversicherung einen sinnvollen ersten Schritt dar, dem aber weitere folgen müssen.
Man muss sich außerdem bewusst sein, dass Kapitaldeckung Zeit braucht, um Wirkung zu entfalten. Die Länder, die in der aktuellen Diskussion als Vorbild genannt werden, profitieren heute davon, dass sie rechtzeitig auf die Warnungen von Wissenschaftlern reagiert haben und den Einstieg in die Kapitaldeckung bereits vor langer Zeit vorgenommen haben. Entsprechend werden auch bei uns erst spätere Generationen von einem heutigen Einstieg profitieren. Die Herausforderungen der 2030er Jahre können hiermit nicht gelöst werden.
Bedeutung existierender kapitalgedeckter Systeme und Möglichkeiten deren Stärkung
Weil Kapitaldeckung Zeit benötigt, ist ein kapitalgedecktes System wie beispielsweise die Riesterrente, in welchem bereits über Jahre Kapital angespart wurde, ein wertvolles Gut. Dieses Argument wird in der Diskussion bisher nicht ausreichend beachtet. Darüber hinaus ist die staatliche Förderung bei der Riesterrente sehr gut geeignet, die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern.
Die aktuelle Diskussion um die Riesterrente führte allerdings bei vielen Menschen zu einem Verlust des Vertrauens in diese Form der Altersvorsorge, welches dringend wiederhergestellt werden muss. Eine Stärkung der Riesterrente ist mit wenigen, einfachen Maßnahmen möglich. Auch die bAV, deren Bedeutung so groß ist, dass sie bei allen Überlegungen zwingend eine zentrale Rolle spielen muss, kann im Übrigen mit einfachen Maßnahmen aktiv gestärkt werden, auch wenn sie keinen ähnlich dringenden Reformbedarf aufweist wie die Riesterrente.
Die Rolle des Staats bei der Kapitaldeckung
Es gibt viele mögliche Ausgestaltungen von staatlich organisierter kapitalgedeckter Altersvorsorge. Wenn der Staat selbst als „Spieler“ auftritt, so geht dies mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen einher. Da manche dieser Risiken und Nebenwirkungen außerhalb der ersten Säule besonders stark ausgeprägt sind, tritt der Staat in den Beispielen aus anderen Ländern lediglich in der ersten Säule als Spieler auf.
Auch in Deutschland sollte er sich deshalb außerhalb der ersten Säule auf die Rolle als „Schiedsrichter“ beschränken. Insbesondere sollten dabei existierende privatwirtschaftlich organisierte kapitalgedeckte Systeme gestärkt werden. Denn hier wurden bereits signifikante Beträge angespart. Um diesen Zustand zu erreichen, würde ein neues System sehr viel Zeit benötigen, die wir inzwischen nicht mehr haben.
Bedeutung der Auszahlphase
Im Gegensatz zu vergangenen Rentenreformen spielt die Auszahlphase in der aktuellen Diskussion kaum eine Rolle. Auch in Zukunft muss aber durch geeignete Anreize sichergestellt werden, dass zumindest diejenigen Bürger, deren gesetzlicher Rentenanspruch absehbar unter einem gewissen Mindestniveau liegt, ihre lebenslangen Ausgaben durch ein lebenslanges Einkommen absichern. Dies ist in existierenden Systemen (Riesterrente, bAV) bereits umgesetzt.
Leitplanken für anstehende Reformen
Insgesamt sollte man bei der Reform der Altersvorsorge in Deutschland folgende Leitplanken unbedingt im Blick haben: Die Einrichtung eines Kapitalstocks zur langfristigen Stabilisierung der gesetzlichen Rente ist sinnvoll. Fragen, wie die teilweise Kapitaldeckung konkret ausgestaltet werden sollte, welche Volumina im weiteren Zeitverlauf aufgebaut werden und wie man deren Finanzierung plant, müssten zeitnah beantwortet werden. Und man muss sich bewusst sein, dass man die Herausforderungen der 2030er Jahre hierdurch nicht bewältigen kann.
Um die Herausforderungen der 2030er Jahre ohne eine Überforderung der öffentlichen Finanzen zu bewältigen, ist eine Abkehr von der doppelten Haltelinie sowie eine weitere Erhöhung der Regelaltersgrenze (idealerweise automatisiert gekoppelt an die Entwicklung der Lebenserwartung) erforderlich. Da dies bereits heute offenkundig ist, sollte es den Bürgern auch transparent kommuniziert werden. Außerhalb der gesetzlichen Rente müssen vorrangig existierende kapitalgedeckte Systeme gestärkt werden statt neue, staatlich organisierte einzuführen.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Mathematisch schwer – politisch notwendig: Warum die Rentenreform keine Garantie, aber eine Voraussetzung ist
Die deutsche Rentenversicherung steht vor einer historischen Belastungsprobe. Längeres Arbeiten und mehr private Vorsorge sollen das System retten – doch die mathematische Realität spricht eine andere Sprache. Warum Reformen zwar notwendig, aber keine Garantie für Stabilität sind.
ifo-Gutachten: Rentenreform dringend nötig – Beitragssatz könnte bis 2050 auf 22 Prozent steigen
Das deutsche Rentensystem steht unter massivem Reformdruck. Zu diesem Schluss kommt ein aktuelles Gutachten des ifo Instituts Dresden im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ohne grundlegende Strukturänderungen drohen nicht nur steigende Beitragssätze, sondern auch eine erhebliche finanzielle Überlastung künftiger Generationen.
„45 Jahre gearbeitet – und trotzdem reicht es nicht“: Neue Rentenzahlen werfen Fragen auf
Über ein Viertel der Menschen mit 45 Versicherungsjahren erhält unter 1.300 Euro Rente im Monat. Was das über die Wirksamkeit des Rentensystems aussagt – und warum Beitragsjahre nicht immer volle Sicherheit bieten.
„Die Pflegeversicherung war als Teilkasko gedacht – heute wird sie wie eine Vollkasko beansprucht“
Wie lässt sich eine zukunftsfähige Altersvorsorge gestalten, die auch den wachsenden Pflegebedarf berücksichtigt? Diese Frage stand im Zentrum der Jahrestagung der DAV und DGVFM. Der Rückblick im Verbandsmagazin Aktuar zeigt: An klaren Analysen mangelt es nicht.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Altersvorsorge: Deutsche wollen mehr sparen
Mehr als die Hälfte der deutschen Privatanleger will künftig höhere Summen in die Altersvorsorge investieren. Die Fidelity-Umfrage zeigt, wie stark die Eigenverantwortung wächst – und warum die gesetzliche Rente allein nicht reicht.
Erbschaft: „Es ist gefährlich, die eigene Altersvorsorge darauf zu stützen“
Jeder Siebte plant, die eigene Rente über ein künftiges Erbe zu finanzieren – in Hessen sogar fast jeder Vierte. Doch Experten warnen: Auf Erbschaften als Altersvorsorge zu setzen, ist riskant und kann schnell zur Falle werden.
Frührente bleibt Normalfall – Mehrheit der Neurentner steigt vorzeitig aus
Sechs von zehn Neurentnern haben 2024 den Ruhestand vorzeitig angetreten. Exklusive Daten der Deutschen Rentenversicherung zeigen: Frührente ist längst der Standard. Während viele Beschäftigte bereit sind, Abschläge hinzunehmen, versucht die Politik mit der geplanten Aktivrente gegenzusteuern. Doch die Kluft zwischen gesetzlicher Zielmarke und gelebter Realität wächst.
Frühstart-Rente trifft auf hohe Kaufbereitschaft – drei Millionen Abschlüsse möglich
Eltern von Schulkindern sehen in der geplanten Frühstart-Rente eine echte Chance für die private Altersvorsorge ihrer Kinder. Die Marktuntersuchung von Sirius Campus und Aeiforia zeigt: Bekanntheit und Abschlussbereitschaft sind überraschend hoch – doch nicht alle Vorteile sind kommuniziert. Welche Lücken Anbieter und Vermittler jetzt schließen müssen.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.