Im Jahr 2019, als der Kreditzyklus erste Anzeichen von Reife zeigte, war es für Anleger eine einfache Entscheidung, das Kreditengagement zu reduzieren, die Duration der Kreditspreads zu verkürzen und die Allokation in längerfristige risikofreie Staatsanleihen wie US-Treasuries zu erhöhen. Im Jahr 2022 stehen die Anleger vor deutlich komplexeren Entscheidungen, wenn es um die Allokation ihrer Staatsanleihen geht.
Marktkommentar zum Ukraine-Konflikt von Gary Kirk, Partner bei TwentyFour Asset Management
Einerseits sind wir mit einer Inflation konfrontiert, die eindeutig nicht nur vorübergehender Natur ist. Der aktuelle Anstieg der Rohstoffpreise verstärkt die längerfristigen Inflationsängste dabei noch. Die Notenbanken sind gerade erst von der Stimulierung der Märkte zu einer Änderung der Geldpolitik übergegangen und so würden wir unter diesen Umständen normalerweise von jeglichem Engagement in durationsabhängigen Staatsanleihen absehen und abwarten, bis die Leitzinsen ihre Höchststände erreicht haben, bevor wir eine nennenswerte Position zum Schutz des Portfolios aufbauen.
Andererseits hat der Einmarsch Russlands in die Ukraine die Dynamik und den Fokus des Marktes verändert. Zunächst gab es die naheliegende Flucht in Sicherheit, das heißt in risikofreie Zinssätze (vor allem US-Treasuries). Gleichzeitig droht der oben erwähnte Preisanstieg bei Rohstoffen zu einem regelrechten Angebotsschock zu werden, was die Wahrscheinlichkeit einer Konjunkturabkühlung und einer möglichen Rezession erhöht. In einem solchen Szenario würden wir normalerweise eine verstärkte Allokation in langlaufende Staatsanleihen bevorzugen, eine Entscheidung, die auch durch den Anstieg der Renditen infolge der aggressiveren Haltung der Zentralbanken seit Dezember erleichtert werden würde.
Anleiheanleger stehen also vor einem Dilemma. Die Zentralbanken müssen eine proaktive Geldpolitik betreiben, um die Inflation zu bekämpfen. Aber sie müssen dabei auch berücksichtigen, dass die Verbraucher die höheren Lebenshaltungskosten bereits jetzt schon spüren. Jede weitere Belastung könnte leicht zu einem aggressiven Stimmungsumschwung führen, der im Umkehrschluss wiederum zu einer harten Landung der Wirtschaft führen würde. Bedeutet das also, dass die Zentralbanken vorsichtiger vorgehen werden, als der Markt derzeit prognostiziert? Derzeit gehen die Märkte von sechs Zinserhöhungen der Fed und der Bank of England bis zum Jahresende aus und von fast drei Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank EZB. Je länger der militärische Konflikt in der Ukraine andauert, desto wahrscheinlicher wird ein anhaltender Schock bei der Rohstoffversorgung und desto weniger Flexibilität werden die Zentralbanken haben.
Natürlich weiß niemand, wie die Entwicklung ausgehen wird. Aber Vieles spricht für einen vorsichtigen Ansatz, und Anleger ohne jeglichen Schutz sollten zum Ausgleich ein gewisses Maß an Zinsen in ihr Portfolio einbauen. Wir sind der Annahme, dass die Zentralbanken angesichts des aktuellen Hintergrunds einen gemäßigteren geldpolitischen Kurs verfolgen werden, als die Märkte derzeit einpreisen. Sollte dies der Fall sein, so folgt daraus, dass die Inflation ein hartnäckigeres Ärgernis sein dürfte, als ursprünglich gedacht und dass das lange Ende der Zinskurve noch nicht das erforderliche Gleichgewicht für die Portfolios bietet.
Die Form der Renditekurve erleichtert unser Entscheidungsdilemma. Die Kurven der Staatsanleihen sind flach, was die derzeitige Unsicherheit zeigt. Der Renditeunterschied zwischen 10-jährigen und fünfjährigen US-Treasuries beträgt weniger als 10 Basispunkte, während er bei den Gilts rund 20 Basispunkte beträgt. Da am kurzen Ende bereits sechs Zinserhöhungen bei der Fed und der Bank of England gleichermaßen eingepreist sind, wäre eine Positionierung hier vielversprechender, als am langen Ende, bei dem sich die Lücke wieder vergrößern könnte, sollte sich der Konflikt in Osteuropa entspannen und das Inflationsproblem wieder in den Mittelpunkt rücken.
Schnelllebige Situationen wie diese sind für Anleger immer eine Herausforderung, aber die Ausrichtung eines Portfolios auf das kurze bis mittlere Ende der Zinskurve scheint in dieser Zeit der Ungewissheit ein vernünftiger und umsichtiger Ansatz zu sein. Dies gilt vor allem dann, wenn einige der eingepreisten Zinserhöhungen nicht eintreten, weil die Zentralbanken eine Pause einlegen, um die Auswirkungen des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine und einer sanktionsbedingten Wachstumsverlangsamung zu bewerten.
Themen:
LESEN SIE AUCH
EZB erhöht zum neunten Mal die Leitzinsen
Die Inflation geht zwar weiter zurück, es wird jedoch nach wie vor erwartet, dass sie zu lange zu hoch bleiben wird. Um das 2 Prozent-Inflationsziel zügig zu erreichen, hat der EZB-Rat daher beschlossen, die drei Leitzinssätze erneut um jeweils 25 Basispunkte anzuheben.
EZB-Zinsentscheid wird Bauzinsen beeinflussen
Der Zinsanstieg ist noch nicht zu Ende: Eine erneute Erhöhung der Leitzinsen bei der kommenden Sitzung der EZB ist so gut wie sicher. Analysten halten sogar einen weiteren Schritt im September für möglich. Wie werden sich die Baufinanzierungszinsen vor diesem Hintergrund entwickeln?
Die Märkte kommen nicht zur Ruhe
Zentralbanken reagieren auf Inflation
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
BFH-Urteil zum freiwilligen Wehrdienst: Wann Kindergeld trotz Soldatendienst gezahlt wird
Der Bundesfinanzhof schafft Klarheit: Ein freiwilliger Wehrdienst allein begründet keinen Anspruch – doch wer ausbildungswillig ist und keinen Platz findet, kann profitieren. Was das Urteil für Familien bedeutet.
Geldanlage: Sicherheit vor Rendite – aber mit wachsender Risikobereitschaft
Für die meisten Deutschen steht Sicherheit bei der Geldanlage weiterhin an erster Stelle. Das zeigt eine aktuelle repräsentative forsa-Umfrage im Auftrag der BarmeniaGothaer. Während klassische Sparformen dominieren, gewinnt das Interesse an renditestärkeren Alternativen wie Fonds und Aktien langsam an Bedeutung.
Insolvenzverfahren der P&R-Gruppe: Über 666 Millionen Euro an Gläubiger verteilt
In den Insolvenzverfahren der vier deutschen P&R-Containerverwaltungsgesellschaften wurde nunmehr die vierte Abschlagsverteilung vorgenommen. Insgesamt rund 122 Millionen Euro wurden an mehr als 54.000 Gläubiger ausgezahlt.

Steuerbonus aus der Nebenkostenabrechnung
Versteckte Steuerersparnis in der Betriebskostenabrechnung: Wer haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen gezielt nutzt, kann jährlich mehrere hundert Euro direkt von der Steuer abziehen. Was § 35a EStG erlaubt, wie man eine Bescheinigung bei der Hausverwaltung anfordert – und worauf Mieter und Eigentümer jetzt achten sollten.