Die Bundesrepublik gehört neben Kanada zu den Top-Destinationen für internationale Talente. Besonders die oft problematische Integration verhindert jedoch die Migration hochqualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland.
In Deutschland bewerten Unternehmen laut eines Berichts von Weser-Ems-Wirtschaft.de den Fachkräftemangel noch vor den steigenden Rohstoff- und Energiekosten als größtes Risiko. Die seit Jahren andauernde Diskussion über die Einwanderungspolitik wird deshalb auch die kommende Bundesregierung beschäftigen. Ein Report der Boston Consulting Group (BCG) zeigt nun überraschend, dass die Bundesrepublik schon jetzt zu den beliebtesten Zielen gut ausgebildeter Migranten gehört.
Als Datenbasis konnten die Autoren auf die Studienreihe „Decoding Global Talent“, in der die Unternehmens- und Strategieberatungen mehr als 200.000 Menschen aus 190.000 Länder befragt hat. Bewertet haben die Analysten der BCG sowohl die Zugänglichkeit als auch die Standortattraktivität vieler Länder.
Deutschland bei Zugänglichkeit führend
Der Punkt Zugänglichkeit bewertet dabei die Vergabe von Arbeitsvisa. Analysiert haben die Ökonom Johann Harnoss und seiner Kollegin Anna Schwarz die Situation in den zehn Ländern mit der höchsten Einwanderung sowie in Japan und Indien. Berücksichtigt wurden dabei verschiedene gesetzliche Aspekte, etwa ob ein Land eine Obergrenze für Arbeitsvisa hat und ob bereits für den Antrag ein Arbeitsvertrag vorgelegt werden muss.
Dies ist unter anderem in den USA der Fall. In Deutschland müssen Bewerber für die Vergabe eines Arbeitsvisums hingegen lediglich nachweisen, dass sie einen Job suchen. Insgesamt liegt Deutschland bei der Zugänglichkeit des Arbeitsmarktes für ausländische Fachkräfte damit auf dem ersten Platz. Harnoss konstatiert:
Grundsätzlich ist Deutschland bereits viel offener als viele denken.
Dies betrifft besonders hochqualifizierte Personen, für die Deutschland global das offenste Land ist.
Kanada, USA und Australien bei Standortattraktivität vor Deutschland
Bei der letzten Befragung im Jahr 2018 konnte Deutschland auch bei der Standortattraktivität einen hervorragenden zweiten Platz erreichen. Inzwischen liegt Deutschland in diesem Punkt hinter Kanada, den USA und Australien nur noch auf dem vierten Rang.
Wenn man beide Faktoren addiert, ist Deutschland neben Kanada aber noch immer das beste Ziel für internationale Talente. Gemeint sind damit Personen, die mindestens einen Bachelor-Abschluss haben und die mindestens ein Jahresgehalt von 60.000 Euro (netto) erzielen können.
Arbeitsvisa nur für die Führungsebene?
Betrachtet man die Ergebnisse der Befragung, entsteht die Frage, wieso in Deutschland trotz der guten Bedingungen für hochqualifizierte Migranten ein Fachkräftemangel herrscht.
Die Wissenschaftlerin Christina Hoon von der Universität Bielefeld geht sogar einen Schritt weiter und vertritt die Ansicht, dass der in öffentlichen Debatten stets beschworen Fachkräftemangel gar nicht existiert.
Einige Unternehmen seien gut darin, den Top-Leuten Visa zu besorgen, so Hoon. Problematisch wird es hingegen für Akademiker, die weiter unten in der Hierarchie der Unternehmen benötigt werden.
Deutschland benötigt mehr Fachkräfte
Im Anbetracht der demografischen Entwicklung der deutschen Gesellschaft, wird es deutlich, dass der Bedarf der Wirtschaft an ausländischen Fachkräften in den kommenden Jahrzehnten deutlich zunehmen wird. Harnoss dazu:
Ich glaube, Deutschland ist grundsätzlich auf einem guten Weg. Wenn man sich aber die Zahlen anschaut, wird dieser Weg einfach viel zu langsam begangen.
In den vergangenen Jahren sind etwa 40.000 Arbeitskräfte aus Drittstaaten, also Ländern außerhalb der Europäischen Union (EU), nach Deutschland gekommen.
Dies reicht laut des Ökonomen aber bei weitem nicht aus. Auch eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) kam zu dem Ergebnis, dass Deutschland deutlich mehr gut ausgebildete Migranten braucht. Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit Detlef Scheele beziffert das Defizit:
Wir brauchen 400.000 Zuwanderer pro Jahr. Also deutlich mehr als in den vergangenen Jahren. Von der Pflege über Klimatechniker bis zu Logistikern und Akademikerinnen: Es werden überall Fachkräfte fehlen.
Integration in Deutschland problematisch
Zentrale Faktoren, die den Zuzug von ausländischen Fachkräften in Deutschland hemmen, sind die Sprache und die Integration. Maike Andresen, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bamberg weiß, dass beim Recruiting immer noch abgefragt werde, ob ein Bewerber deutsch spreche oder nicht.
Laut der Expertin für Personalmanagement könnten Unternehmen für Top-Talente aus dem Ausland deutlich attraktiver werden, wenn sie auch Englisch als Arbeitssprache zuließen. Außerdem würde dies die Produktivität der neuen Mitarbeiter erhöhen. Andresen erklärt:
Wenn mich die Sprache stresst, kann ich mich nicht auf meine berufliche Performance konzentrieren.
Christina Hoon aus Bielefeld beleuchtet einen weiteren Aspekt. Die Wissenschaftlerin ist der Ansicht, dass viele Unternehmen noch immer Probleme mit kultureller Vielfalt haben. Dies bestätigt auch Johann Harnoss, der als Unternehmensberater zahlreiche Einblicke zu diesem Aspekt erlangen konnte: „Ich glaube, in Deutschland gibt es manchmal noch Vorbehalte gegenüber Menschen aus muslimischen Ländern.“
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