Krankenkasse darf nicht aufgrund der Wettbewerbsgrundsätze kündigen

Krankenkasse darf nicht aufgrund der Wettbewerbsgrundsätze kündigen
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Das OLG Celle hatte darüber zu entscheiden, ob eine Krankenkasse einem Vertreter fristlos kündigen darf, weil die Provision für die Mitgliederwerbung die nach den Wettbewerbsgrundsätzen zulässige Höhe überschreitet. Der Vertreter klagte auf Zahlung und erhielt Recht. 

Der Senat begründete seine Entscheidung unter anderem mit den folgenden Erwägungen. Die fristlose Kündigung sei nur wirksam, wenn ein wichtiger Grund vorliege, dem Kündigenden also unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung bis zur vereinbarten Vertragsbeendigung oder dem Ablauf der Frist zur ordentlichen Kündigung nicht zugemutet werden kann.

Wurde vereinbart, dass der Vertretervertrag nicht ordentlich gekündigt werden kann, so seien an den wichtigen Grund strenge Anforderungen zu stellen. Damit der vereinbarte Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts nicht einfach umgangen wird, müsse der wichtige Grund in einem Verhalten des zu Kündigenden liegen, das auch unter Berücksichtigung der Unkündbarkeit die sofortige Vertragsbeendigung rechtfertige. Die Umstände dürften dabei aber nicht bereits bei Vertragsschluss bekannt gewesen sein.

Auch Umstände, die nicht aus der Risikosphäre des gekündigten Vertreters stammen, rechtfertigten regelmäßig keine außerordentliche Kündigung. Das gelte besonders für Gründe, die aus der Risikosphäre des kündigenden Unternehmers stammen oder von diesem zu vertreten sind.

Eine außerordentliche Kündigung sei in diesen Fällen nur berechtigt, wenn trotz umfassender Berücksichtigung aller Interessen und Belange des zu Kündigenden und des Vertragszwecks dem Kündigenden eine Fortsetzung des Vertrags, selbst zu geänderten Bedingungen, bei objektiver Würdigung unter keinen Umständen mehr zumutbar sei.

Berufung auf die Wettbewerbsgrundsätze

Berufe sich eine gesetzliche Krankenkasse darauf, dass die Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden die Zahlung vereinbarter Betreuungsprovisionen verböten, könne damit keine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt werden. Zum einen habe die Neufassung der Wettbewerbsgrundsätze keine Änderung der Rechtslage mit sich gebracht. Zum anderen handele es sich bei den Wettbewerbsgrundsätzen lediglich um eine Interpretation des gesetzlichen Handlungsrahmens durch die Aufsichtsbehörde der gesetzlichen Krankenversicherung.

Könne der Kündigende nicht darlegen, dass im Zeitpunkt der Kündigungserklärung irgendeine relevante Änderung der Rechtslage eingetreten ist, fehle es von vornherein an einem wichtigen Grund für eine Kündigung. Selbst im Falle einer wesentlichen Änderung könne der Krankenversicherungsträger darauf eine zehn bis zwölf Jahre  später ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht mehr stützen.

Rechtsanwalt Jürgen Evers, Kanzleiinhaber Evers Rechtsanwälte für Vertriebsrecht

Ebenfalls stehe der Einwand von Treu und Glauben dem Provisionsbegehren nicht entgegen. Für einen solchen rechtsvernichtenden Einwand sei bei einem Vertretervertrag grundsätzlich kein Raum, weil dem Grundsatz bereits mit der Möglichkeit zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund ausreichend Rechnung getragen werde.

Nach § 86 HGB habe der Vertreter nicht die Pflicht, das Interesse des vertretenen Unternehmers an der Einhaltung der Wettbewerbsgrundsätze zu wahren und auf eigene  wohlerworbene Provisionsansprüche zu verzichten.

Der Anspruch auf Provision könne ausgeschlossen sein, wenn dem Unternehmer die Fortführung des Vertretervertrages wegen eines entgegenstehenden Verbots im Sinne des § 275 BGB unmöglich sei.

Die rechtliche Unmöglichkeit sei in zwei Formen denkbar. Eine Form sei, dass die Rechtsordnung den angestrebten Erfolg nicht anerkenne. Dieser Fall sei bei einem wirksamen Vertretervertrag nicht gegeben. Die andere Erscheinungsform stelle sich so dar, dass der geschuldete Erfolg zwar herbeigeführt werden könnte, der Schuldner zur Bewirkung der Leistung aber gegen die Rechtsordnung verstoßen müsste. Unter diesen Umständen könne der Schuldner zwar tatsächlich leisten, er dürfe es aber aus rechtlichen Gründen nicht. Auch dies treffe hier nicht zu.

Der Beurteilungsspielraum ist begrenzt

Träger gesetzlicher Krankenversicherungen seien zwar gehalten, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu wahren. Dabei stehe ihnen jedoch ein aufsichtsbehördlich und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Trage der Krankenversicherungsträger keine Tatsachen vor, die es dem Gericht ermöglichen zu beurteilen, ob die Provisionen den eingeräumten Beurteilungsspielraum überschreiten und wegen  Unwirtschaftlichkeit als rechtlich eindeutig unzulässig einzuordnen sind, gehe dies zu seinen Lasten.

Denn die tatsächlichen Voraussetzungen des rechtsvernichtenden Einwands einer rechtlichen Unmöglichkeit von Provisionszahlungen müsse nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen der Unternehmer darlegen, der diesen Einwand erhebt.

Außerdem spreche der erste Anschein gegen eine Unwirtschaftlichkeit der Provision, wenn der handelnde Vorstand die im Vertretervertrag  festgelegte Provision ursprünglich als angemessene Gegenleistung für die Vertriebsbemühungen bewertet hat, und nichts dahin gehend ersichtlich sei, dass der Vorstand kollusiv mit dem Vertreter zum Nachteil des Krankenversicherungsträgers zusammengewirkt habe.

Der Vertriebserfolg des Vertreters, der dem Krankenversicherungsträger rund ein Drittel seines Mitgliederbestands zugeführt hat, lege nicht die Annahme nahe, die Provisionsvereinbarung sei unwirtschaftlich. Dies gelte auch für den Umstand, dass die Bestandsprovisionen über mehr als dreizehn Jahre hinweg bezahlt worden sind.

Bei den sogenannten „Wettbewerbsgrundsätzen“ handele es sich nicht unmittelbar um einen Teil der Rechtsordnung, sondern lediglich um eine Meinungsäußerung der Aufsichtsbehörden. Diese führten nicht dazu, dass einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ein bestimmtes Verhalten verboten sei.

Ein Recht der Krankenkasse, eine Anpassung des Vertretervertrages wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage zu verlangen, scheide als rechtsvernichtender Einwand von vornherein aus. Die Möglichkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund verdränge die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, soweit es um die Auflösung des Vertrags gehe. Es lasse sich auch nicht feststellen, dass dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die Zahlung einer mit den Wettbewerbsgrundsätzen unvereinbaren Bestandsprovision durch ein förmliches Gesetz verboten werde.

Ein Verbot aus den Regelungen des Sozialgesetzbuchs berühre die Gültigkeit des Vertretervertrages in der Regel schon deshalb nicht, weil es sich allein gegen die Krankenkasse richte. Ein Verstoß gegen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit lasse die Gültigkeit einer Provisionsabsprache unberührt.

Ebenfalls sei der Tatbestand des Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) nicht erfüllt. Dies gelte auch, wenn die Provision die nach den Wettbewerbsgrundsätzen zulässige Höhe überschreite. Der Fachsenat für Handelsvertretersachen hob in diesem Zusammenhang hervor, dass die in den Wettbewerbsgrundsätzen genannten Höchstgrenzen eher deutlich unter demjenigen liegen, was private Krankenversicherer an Provisionen für die Neukundengewinnung zahlen.

Mit einer offensichtlichen Verletzung öffentlich-rechtlicher Haushaltsvorschriften sei eine Sittenwidrigkeit nicht zu begründen, weil keine Anhaltspunkte gegeben seien, dass dies den Parteien bewusst gewesen sei.

 

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