Bundessozialgericht schränkt Angebot von Wahltarifen durch Krankenkassen ein

Bundessozialgericht schränkt Angebot von Wahltarifen durch Krankenkassen ein
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Das BSG-Urteil vom 30. Juli 2019 (Az.: B 1 KR 34/18 R) hat gezeigt, dass das Problem der von den Krankenkassen angebotenen Wahltarife etwa für Ausland, Wahlleistungen im Krankenhaus oder ergänzende Zahnleistungen in der Konkurrenz zwischen Gesetzlicher (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV) nicht gelöst werden kann.

Bevor die Politik gefragt wird, ob sie in dieser Frage Handlungsbedarf sieht und deshalb für die Wahltarife die gesetzlichen Grundlagen in PKV oder GKV schaffen will: Es gibt einen dritten, sogar weit besseren Weg. Und zwar schon heute. Mit Lösung für gleich noch weit mehr Probleme: Eine bürgerlich freiheitliche Lösung unabhängig von der Politik, aber eng mit der einzelnen Krankenkasse verbunden. Und dieser kann zeitnah einen nahtlosen 1:1-Ersatz für die vom Urteil des 1. Senat des Bundessozialgerichts betroffenen Wahltarife bieten.

Krankenunterstützungskasse der Krankenkasse

Bereits heute gibt es sogenannte Krankenunterstützungskassen (KUK), – zum Beispiel in Form einer Stiftung eingerichtet – die nach unterschiedlichen Gesundheitsplänen (wie Tarife dort heißen) Zusatzschutz zur gesetzlichen Krankenversicherung bieten. Vergleichbar einer privaten Krankenversicherung, doch aufsichtsfrei und damit weit flexibler – auch im Vertrieb ohne jede Vermittlerregulierung –  und bisher schon ohne Gesundheitsprüfung.

Niemand ist zu krank oder zu alt für eine Krankenunterstützungskasse

Genau dies kann auch als Krankenunterstützungskasse für die Krankenkasse (KUK GKV) eingerichtet werden. Womit nicht nur alle Wahltarife möglich werden, sondern auch gleich noch die Kooperationen mit der PKV auf einfachere Weise zu ersetzen sind. Krankenunterstützungskassen können auch auf Initiative gesetzlicher wie auch privater Krankenversicherer oder deren Versicherten gegründet werden – auch manche Kooperationsmöglichkeit eröffnet sich so.

Garantierte dauerhaft sichere Aufnahme bei der Krankenunterstützungskasse

Rechtsanwalt Dr. Johannes Fiala
Rechtsanwalt Dr. Johannes Fiala

Bei zu erwartender guter Bestandsmischung und entsprechenden Voraussetzungen bei Leistungen und Kalkulation kann auch wie bei den Wahltarifen auf Wartezeiten verzichtet, Vorerkrankungen automatisch eingeschlossen und altersunabhängige Beiträge erhoben werden. Einengende Vorschriften für die Kalkulation der PKV gelten für eine KUK schlicht nicht. Als einfachere, bessere, flexiblere und passgenauere Alternative für Wahltarife der GKV bietet sich also die KUK GKV an. Sie kann sogar speziell auf den Bedarf einer bestimmten Krankenkasse abgestimmt werden kann, selbst als deren „eigene Kranken-Unterstützungskasse“, auch als Selbsthilfeeinrichtung der Krankenkassenmitglieder oder der Arbeitgeber, ganz ohne offizielle Mitwirkung der Krankenkasse selbst.

Bei Betriebskrankenkassen ist es zudem sinnvoll, wenn die Initiative vom Arbeitgeber selbst ausgeht, indem er neben die Betriebskrankenkasse die Betriebliche Krankenunterstützungskasse (bKU) stellt, mit stärkerer Identifikations- und Bindungswirkung als es jede sogenannte betriebliche Krankenversicherung (bKV) sein könnte, und mit größeren Steuervorteilen als nur bei deren begrenzter Sachlohnregelung.

Wie die Krankenunterstützungskasse nicht nur die Krankenkasse fördert

Da Krankenunterstützungskassen – soweit es sich um ungewisse Lebensrisiken handelt – trotz seit vielen Jahrzehnten faktisch verlässlicher Leistung keinen formalen Rechtsanspruch bieten dürfen, werden sie nicht beaufsichtigt und sind daher flexibler als Versicherungen. Ihre Vermittlung unterliegt keiner Regulierung als Versicherungsvermittlung – einengende Erschwernisse dafür aus gesetzlichen Pflichten entfallen. Zehntausende Deutsche vertrauen bereits eher auf die Leistung einer KUK als darauf, dass eine PKV ihre Leistungsverpflichtung auch umstandslos erfüllt – der formal fehlende Rechtsanspruch auf die in Aussicht gestellten Leistungen spielt faktisch dabei keine Rolle.

Sie kann als Gruppen-Unterstützungskasse Krankenkassenübergreifend oder als speziell einer bestimmten Krankenkasse oder Krankenkassenart zugeordnete KUK gestaltet werden, auch als Selbsthilfeeinrichtung und sogar unter Verwendung deren Namensbestandteils.

Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungs-mathematik
Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik

Einer offiziellen Mitwirkung der Krankenkasse bedarf es dazu nicht – doch können zum Beispiel Leitende, Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane der Krankenkasse (formal auch schlicht als Einzelmitglieder) persönlich in den Beirat der Stiftung berufen werden, sogar selbst Mit-Stifter sein. Niemand wird dies gegen die Interessen der Krankenkasse umsetzen wollen, auch wenn sie dies formal gar nicht verhindern könnte. Vor einer Umsetzung sollte ihr also die Möglichkeit der informellen Einflussnahme gegeben werden, und auch später laufend.

Indem Gesundheitspläne der KUK GKV an das Bestehen der Mitgliedschaft in einer bestimmten Krankenkasse gebunden werden können, werden genau die erwünschten Neuzugänge für die Krankenkasse gewonnen und gehalten. Dazu kann auch über von der KUK GKV gezahlte laufende Provisionen der Vertrieb der Unterstützungskasse eingesetzt werden, aber auch Freundschaftswerbung über bereits gewonnene Mitglieder bis hin zu einem Network-Marketing oder Strukturvertrieb auch durch Laienwerber, der keiner behindernden Versicherungsvermittlungsregulierung unterliegt.

Leistungsangebote der KUK GKV können weit einfacher und flexibler – als Wahltarife der GKV – konzipiert werden. Der Aufwand für eine aufsichtsrechtliche Genehmigung entfällt. Das Angebot ist unproblematisch erweiterbar.

Ergänzungstarife der PKV ablösbar oder integrierbar

Doch auch sogar Ergänzungstarife der PKV (wenn gewünscht unverändert aus bereits eingeführten Kooperationen) können als Rückdeckungsversicherungen der KUK GKV eingebunden werden, womit das Krankenkassenmitglied oder dessen Mitversicherte direkt über die KUK GKV als „Versicherte Personen“ im Gruppentarif der PKV abgesichert sind, statt in einem unmittelbar direkt in der PKV abgeschlossenen Ergänzungstarif/Zusatzversicherung als Versicherungsnehmer.

Die Krankenkasse muss dann nicht mehr als Versicherungsvermittler für die PKV in Erscheinung treten, braucht also keine Vermittlerzulassung mehr. Und auch etwa die Informationspflichten und das Rechtsverhältnis insgesamt werden dabei deutlich erleichtert. Dabei kann die Beitragsgestaltung des PKV-Ergänzungstarifs durch die KUK transformiert werden, indem sie etwa selbst altersunabhängige oder nach anderen sozialen Gesichtspunkten bemessene Beiträge erhebt, obwohl sie als Versicherungsnehmer an die PKV altersabhängige risikoadäquate Beiträge für jeden Einzelnen zahlt.

Auch kann sie die PKV-Leistungen durch eigene weitere selbst ergänzen, wenn zum Beispiel nicht alles zu 100 Prozent in der PKV rückdeckbar ist. Und damit PKV-Tarife krankenkassenindividuell modifizieren, ohne dass es eines dafür jeweils eigens angepassten Tarifs in der PKV bedarf. Aber eben auch eigene Wahltarife ganz ohne unterlegten Tarif der PKV anbieten, wie bisher die GKV mit ihren Wahltarifen, und weit darüber hinaus.

Der in der Krankenkasse Versicherte erklärt dafür nur seinen Beitritt zur KUK GKV und diese als Versicherungsnehmer meldet ihn gegebenenfalls – nur falls Rückdeckung dort überhaupt sinnvoll oder erwünscht ist – im entsprechenden PKV-Tarif an. Damit handelt es sich nicht mehr um regulierte Versicherungsvermittlung, da ja der Versicherungsnehmer (die KUK GKV) selbst ohne Vermittler die Versicherung für die nur versicherte Person abschließt. Erschwerende Regelungen zur Versicherungsvermittlung finden dann schlicht keine Anwendung mehr.

Da auch keine Spartentrennung gilt, kann die KUK GKV sogar Zusatzleistungen anderer Sparten wie etwa ein Sterbegeld, Patienten-Rechtsschutz oder Reisegepäck-/Hausratschutz etwa im Krankenhaus anbieten, mit oder ohne Rückdeckung bei einem Versicherungsunternehmen.

Werbung mit Vorteilspartnern wieder zulässig

Die KUK GKV der Gesetzlichen Krankenkasse (da formal nicht mit ihr verbunden) darf selbstverständlich auch mit solchen Leistungen werben, mit denen die Krankenkasse selbst nach dem weiteren Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Juli 2019 (B 1 KR 16/18 R) nicht werben darf. So kann zum Beispiel auf der Internetseite der KUK GKV mit Leistungen geworben werden, die die Versicherten der Krankenkasse zu Vorzugsbedingungen bei von ihr ausgesuchten „Vorteilspartnern“ in Anspruch nehmen können, etwa Rabatte im Fitness-Studio.

PKV hat das Nachsehen

In allen Fällen kann der Bezug zur einzelnen Krankenkasse in den Vordergrund gestellt werden – die Identifikation und Bindung an die Krankenkasse wird damit besser gefördert. Mit Zusatztarifen der PKV wäre dies so gut wie gar nicht möglich – sie können damit also optimal ersetzt werden.

Die Erwartung der PKV, dass die Krankenkassen, denen man selbst die Wahltarife in langwierigen Prozessen verdorben hat, nun bei ihr als Bittsteller für Kompromisse vorstellig werden, kann also nicht nur enttäuscht werden, sondern die PKV könnte dabei auch noch zusätzlich in dem Markt verlieren, in dem sie bisher sich in einer Alleinstellung wähnte: Bei denjenigen Zusatztarifen, die schon bisher nicht als Wahltarife in der GKV zulässig oder wirtschaftlich nicht tragbar waren.

Manche Krankenkasse konnte mangels ausreichender Bestandsgröße bestimmte Wahltarife gar nicht selbst anbieten. Auch weil alle drei Jahre ihre wirtschaftliche eigenständige Tragfähigkeit durch ein Gutachten nachzuweisen war. Eine KUK indes kann einen Risikoausgleich auch über mehrere Gesundheitspläne und kassenübergreifend durchführen, denn eine risikogerechte Kalkulation jedes einzelnen Gesundheitsplans/Tarifs ist ihr nicht vorgeschrieben. Sie ist nicht nur deshalb, sondern aus vielen Gründen gegenüber der PKV im Vorteil.

Krankenunterstützungskasse kann „systemische Nachteile“ auch der PKV kompensieren

Auch PKV-Tarife weisen oft Leistungslücken auf, die trotz günstiger Prämien einen Wechsel in diese erschweren. So werden übliche Arzt- und Zahnarztrechnungen im Standardtarif der PKV auf dem Niveau der GKV nur bis zu einem geringeren Gebührensatz erstattet – und eine Zusatzversicherung für Wahlleistungen im Krankenhaus darf nicht daneben bestehen. Hier kann eine KUK – die ja keine Versicherung ist – dann in entsprechenden Gesundheitsplänen die im Standardtarif nicht erstatteten Rechnungsbeträge übernehmen und Wahlleistungen im Krankenhaus erstatten.

Auch andere PKV-Tarife können durch Ergänzungen per KUK attraktiver werden, und insgesamt preislich weit günstiger als wenn ein entsprechender Hochleistungstarif der PKV gewählt würde.

Die KUK kann bei Leistungsverweigerungen der PKV sogar in Vorleistung treten und den Rechtsschutz für das Einklagen der PKV-Leistung freiwillig bieten, auch durch kooperierende Anwälte.

Eine KUK kann flexibler und menschlicher die Leistungen gestalten, und von Fall zu Fall entscheiden – sie muss nicht eine fest umschriebene Leistungszusage risikogerecht kalkulieren.

Damit ist die KUK für GKV und PKV potentielle Partnerin für eine Win-Win-Situation.

Von Dr. Johannes Fiala, PhD, RA, RB, MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann (www.fiala.de) und

Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik, Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de).

 

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