Der beste Beweis bei fehlerhafter Beratung ist die Beratungsdokumentation, weil sich daraus die Lücken in der Beratung ableiten lassen. Die wenigen sachverständig beratenen Versicherungsnehmer haben häufig bessere Aussichten, die Beratungslücken sowie eventuelle Fehler darzulegen. Umgekehrt haben aber auch Versicherungsvermittler und Versicherungsmakler bei Begleitung durch einen Privatgutachter weitaus bessere Chancen bei der Haftungsabwehr.
Der Kläger wünscht sich sein Recht, also Gerechtigkeit – es gibt aber nur ein Urteil
Ein Ex-DDR-Bürger mit Promotion und Anwaltszulassung meinte sinngemäß „Ich kann bis heute nicht verstehen, weshalb im Privatrecht die Gerichte über Lügen beider Parteien entscheiden“. Diese Sichtweise ist fundamental, weil es im Zivilrecht kaum noch eine Amtsermittlung gibt. Dafür existieren die primäre und die sekundäre Darlegungslast der Parteien im Zivilprozess.
OLG Dresden: Mangels Beratungsdokumentation keine Schadensersatzpflicht
Das OLG Dresden (Urteil vom 21.02.2017, Az. 4 U 1512/16) entschied, dass die Verletzung der Dokumentationspflicht keine Schadensersatzpflicht bedeutet, sondern „nur“ eine Umkehr der Beweislast zur Folge hat. Mit der Dokumentation soll das Beratungsgespräch festgehalten werden, und „dem Versicherungsnehmer die Gründe der Entscheidung für ein bestimmtes Produkt nochmals vor Augen“ geführt werden.
Und wenn die Dokumentation inhaltlich gar keine Beratung ausweist? „Dann muss der Makler nachweisen, dass er entgegen der schriftlichen Dokumentation trotzdem mündlich beraten hat, wie er behauptet “. Also: Erst hat er es (sekundär) darzulegen, und dann zudem zu beweisen.
OLG Dresden: Mangels Beratungsdokumentation jedoch Beweislastumkehr
Dazu schreibt das OLG:
„Die Funktion der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Dokumentationspflicht liegt vornehmlich darin, dass der Versicherungsnehmer mit einer Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen geführt und an die Hand bekommt; hierdurch wird er in die Lage versetzt, seine Entscheidung des Näheren zu überprüfen und den ihm sonst kaum möglichen Nachweis über den Inhalt der Beratung zu führen. Wird ihm diese Nachweismöglichkeit durch das Fehlen einer Dokumentation abgeschnitten, so hat dies zu seinen Gunsten Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast.“.
Das OLG klingt nur unschlüssig – es kann über nichts entscheiden, was nicht vorgetragen wurde
Denn das OLG setzt sich nicht damit auseinander, was daraus folgt, dass dem VN die gesetzlich (gemäß EU-Vorgabe seit 21.05.2007, der EU-Vermittler-Richtlinie) beabsichtigte Möglichkeit genommen wurde, die Gründe für die Entscheidung nochmals sich (durch die dem künftigen VN vorgelegte Beratungsdokumentation) vor Augen zu führen und damit außerhalb der mündlichen Beratungssituation nachzuvollziehen und dies alles zu überdenken. Andererseits lässt das Urteil auch entsprechenden Vortrag des Klägers gar nicht erkennen. Dieser müsste ja darlegen, was in der Dokumentation zwingend hätte stehen müssen, und dass dies dann zu einer anderen Entscheidung des VN geführt hätte. Ohne Fachleute, die keine Anwälte sein müssen, etwa Privatgutachter oder Versicherungsfachleute, ist dies selten umsetzbar.
Kenner der Materie wissen, dass „die EU“ beziehungsweise „Brüssel“ den Vermittlern von Versicherungen misstraut. Dem Kundenschutz dient die Vorschrift, dass der künftige VN die Beratungsdokumentation vor der Unterschrift unter den Vertrag oder Versicherungsantrag erhalten muss. Immerhin steht dies seit 2008 auch in § 62 VVG. Dies nachzuweisen ist ein Problem für Vermittler, welche darin nicht geschult sind – und sei es vom Versicherer.
Dokumentation als Hürde beim Vertrieb von Netto-Policen
Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 24.03.2016, Az. 12 U 144/15) entschied bereits: „Aus Sicht des Senats wäre es mit dem Sinn und Zweck der §§ 59 ff VVG, eine ausreichende Information und Beratung des Versicherungsnehmers zu gewährleisten, nicht vereinbar, wenn ausgerechnet die Beratung über die für den Versicherungsnehmer potentiell besonders nachteilige gesonderte Vergütungsvereinbarung nicht der Dokumentationspflicht unterläge (so im Ergebnis ohne nähere Begründung auch LG Saarbrücken, aaO, Tz. 23f). Für dieses Ergebnis spricht zudem, dass gerade auch die besonderen Dokumentations- und Beratungspflichten des Vermittlers nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein anerkennenswertes Interesse des Vermittlers am Abschluss einer gesonderten Vergütungsvereinbarung begründen (vgl. BGH, Urteil vom 05.06.2014, III ZR 557/13, juris, Tz. 12). Dann ist es aber aus Sicht des Senats nur folgerichtig, eine Dokumentationspflicht auch hinsichtlich der Information und Beratung über diese Vereinbarung anzunehmen.“.
In solchen häufigen Fällen schulden VN daher die mit dem Makler vereinbarte Vergütung nicht: Dieses Problem wird jedoch meist erst dann virulent, wenn der VN vorzeitig kündigt.
Beratungs- und Dokumentationspflichten auch im Fernabsatz
Das OLG München (Urteil vom 06.04.2017, Az. 29 U 3139/16) entschied, dass auch „Online-Makler“ der Pflicht zu Dokumentation und Beratung unterliegen, § 61 VVG. Zudem muss der (potentielle beziehungsweise künftige) Kunde die Erstinformation nachweislich beim ersten Kontakt erhalten; zwar nur in Textform – eben auch beim Online-Vertrieb: Die Abrufbarkeit auf einer Homepage genügt nicht. Passend erfahrene IT-Experten muss man dann auch erst mal auffinden.
Prozesssituation bis hin zur Beweislastumkehr – aus Sicht des Bundesgerichtshofs
Der BGH tenorierte (Urteil vom 13.11.2014, Az. III ZR 544/13):
„Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers nach § 61 Abs. 1 Satz 2, § 62 VVG kann zu Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr führen. Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist.“.
Damit wird dem Versicherungsvermittler die gleiche Sorgfalt auferlegt, wie Architekten und Ärzten.
Verzicht auf Beratung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)?
Es ist ein netter Versuch verschiedener Risikoträger, in Antragsformularen irgendwo zwischendrin den Beratungsverzicht unterzubringen – mit einer weiteren Unterschrift des künftigen VN. Es ist nach wie vor umstritten, ob ein Beratungsverzicht „durch Formular“ überhaupt wirksam sein kann, also in Allgemeinen Geschäftsbedingungen überhaupt als möglich erscheint, § 307 BGB: In der Literatur wird dies gegenüber Verbrauchern kaum als wirksam beurteilt.
Darauf kommt es jedoch gar nicht erst an, wenn nicht mal die Form gewahrt wurde. Der Gesetzgeber (Bundestag, Drucksache 16/3945) begründete die eingeschränkte Möglichkeit des Beratungs- und Dokumentationsverzichts, wonach zu vermeiden ist „dass ein Verzicht des Versicherungsnehmers formularmäßig vereinbart wird“ – vielmehr „bedarf er zu seiner Wirksamkeit einer ausdrücklichen Erklärung in einem gesonderten vom Versicherungsnehmer unterschriebenen Schriftstück.“.
Dies war bereits früher in einer Gesetzesbegründung ausdrücklich angesprochen worden (Bundestag, Drucksache 16/1935):
„Um dem Kunden den Verzicht bewusst vor Augenzuführen (Warnfunktion), muss die Verzichtserklärung zum Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung in einem eigenen Dokument, also nicht versteckt in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, gemacht und vom Kunden unterschrieben werden.“.
Übrigens: Zeitlich bis zum Beratungsverzicht, auch inhaltlich, ist natürlich zu dokumentieren.
Mit einem vielleicht benutzten „Vermittler-Protokoll“ sollte man dies dann auch nicht verwechseln.
Von Dr. Johannes Fiala, PhD, RA, RB, MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann (www.fiala.de) und
Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik (Diethardt), Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de).
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