OECD senkt Wachstumsprognose – strukturelle Schwächen dämpfen wirtschaftliche Dynamik
Deutschlands wirtschaftliche Schwäche ist längst kein temporäres Phänomen mehr. Vielmehr entwickelt sie sich zunehmend zu einer strukturellen Belastung – nicht nur für die eigene wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch für die Stabilität der Eurozone. Im aktuellen OECD Economic Outlook (Interim Report, September 2025) warnt die Organisation eindringlich vor der Entkopplung der Bundesrepublik vom globalen Konjunkturtrend: Während die Weltwirtschaft im laufenden Jahr um 3,2 Prozent wachsen dürfte, prognostiziert die OECD für Deutschland lediglich ein mageres Plus von 0,3 Prozent – eine erneute Abwärtskorrektur um 0,1 Prozentpunkte gegenüber dem Juni-Bericht.
Für das Jahr 2026 erwartet die OECD zwar eine leichte Belebung auf 1,1 Prozent, doch auch dieser Wert liegt unterhalb früherer Erwartungen und signalisiert keine Trendwende. Im Gegenteil: Die Wachstumsschwäche scheint sich zu verfestigen – ein Alarmzeichen für Politik und Wirtschaft gleichermaßen.
Konjunkturelle Stagnation hat strukturellen Kern
Die Ursachen für die anhaltende Schwäche sind vielfältig, aber im Kern struktureller Natur. Die industrielle Wertschöpfung bleibt in Deutschland rückläufig, was besonders in einem exportorientierten Land schwer wiegt. Wie die OECD darlegt, ist die Industrieproduktion in der Bundesrepublik zuletzt deutlich gefallen – ein Indikator für tiefgreifende Probleme in den Lieferketten, der Energieversorgung und der Investitionstätigkeit.
Zudem stockt der private Konsum. Gründe dafür sind eine anhaltend gedämpfte Konsumlaune, gestiegene Lebenshaltungskosten und eine stagnierende Reallohnentwicklung. Gleichzeitig zeigen sich erste Risse im bislang robusten Arbeitsmarkt: Zwar ist die Arbeitslosenquote weiterhin niedrig, doch nimmt die Zahl offener Stellen ab, und die durchschnittliche Arbeitszeit pro Beschäftigtem sinkt.
Hinzu kommt ein zunehmend ungünstiges außenwirtschaftliches Umfeld. Die drastische Erhöhung der US-Zölle – der effektive Satz auf US-Importe ist laut OECD auf den höchsten Stand seit 1933 gestiegen – trifft exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland besonders hart. Der damit verbundene Rückgang des Welthandels stellt eine unmittelbare Belastung für die deutsche Industrie dar.
Deutschland fällt im europäischen Vergleich zurück
Auch im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften der Eurozone bleibt Deutschland zurück. Während Spanien mit einem erwarteten Wachstum von 2,6 Prozent, Frankreich mit 0,6 Prozent und selbst Italien mit 0,6 Prozent für 2025 besser abschneiden dürften, rutscht Deutschland in die Schlussgruppe der OECD-Staaten ab. Für den gesamten Euroraum prognostiziert die OECD ein Wachstum von 1,2 Prozent, was den Rückstand Deutschlands umso deutlicher macht.
Die OECD macht dabei klar: Die Differenz ist nicht rein zyklisch erklärbar, sondern Ausdruck struktureller Defizite. Während andere Staaten ihre Widerstandsfähigkeit durch Investitionen, Reformen oder digitale Transformation stärken, ringt Deutschland mit bekannten Baustellen – und zeigt dabei kaum Fortschritte.
Inflationsentwicklung: Stabil, aber ohne Entlastungseffekt
Auch bei der Preisentwicklung zeichnet sich kein Befreiungsschlag ab. Die OECD rechnet für Deutschland mit einer Inflationsrate von 2,2 Prozent im Jahr 2025 und 2,1 Prozent im Jahr 2026. Diese Werte liegen zwar im Bereich des geldpolitischen Zielkorridors der Europäischen Zentralbank, führen aber nicht zu einer spürbaren Entlastung der Verbraucher. Die Reallöhne stagnieren, das Konsumverhalten bleibt verhalten – ein weiterer Dämpfer für die Binnenkonjunktur.
Politischer Handlungsdruck wächst
Die OECD fordert mit Blick auf Deutschland eine Neuausrichtung der Wirtschafts- und Strukturpolitik. Eine fiskalische Konsolidierung sei zwar notwendig, dürfe aber nicht auf Kosten dringend benötigter Investitionen gehen. Die Herausforderung bestehe darin, haushaltspolitische Disziplin mit strategischen Zukunftsausgaben zu verbinden, etwa für Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung.
Zugleich müsse die Effizienz staatlicher Strukturen gesteigert werden – insbesondere durch schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Der Abbau bürokratischer Hürden gilt laut OECD als zentral, um das Investitionsklima zu verbessern. In diesem Zusammenhang wird auch der Mangel an wirtschaftlicher Planbarkeit kritisiert, der inländische wie ausländische Investoren zunehmend abschreckt.
Ein weiterer Reformschwerpunkt liegt im Arbeitsmarkt. Die OECD empfiehlt Maßnahmen zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, zur Bekämpfung von Fachkräftemangel und zur Förderung lebenslangen Lernens. Darüber hinaus betont die Organisation die Notwendigkeit, die Innovationskraft zu stärken – insbesondere durch gezielte Förderprogramme für Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz und nachhaltige Energieversorgung.
Deutschland als latentes Risiko für die Eurozone?
Die Schwäche der deutschen Wirtschaft bleibt nicht ohne Auswirkungen auf den europäischen Kontext. Als größte Volkswirtschaft der Eurozone ist Deutschland integraler Bestandteil der wirtschaftlichen Architektur der EU – sowohl hinsichtlich Nachfrage als auch Stabilitätsanker. Eine anhaltende Wachstumsschwäche könnte geldpolitischen Handlungsdruck auf die Europäische Zentralbank erhöhen und fiskalpolitische Konflikte innerhalb der EU verschärfen, etwa in Bezug auf Haushaltsregeln, Stabilitätspakte oder Investitionsfonds.
Zudem ist zu befürchten, dass andere exportorientierte EU-Staaten durch einen schwächelnden deutschen Absatzmarkt in Mitleidenschaft gezogen werden. Darüber hinaus birgt die Entwicklung auch politische Risiken: Eine ökonomisch verunsicherte Bevölkerung bietet Nährboden für populistische Kräfte, die wirtschaftliche Krisenlage für ihre Narrative zu instrumentalisieren wissen – mit potenziell destabilisierender Wirkung auf den gesamten Integrationsprozess.
Reform oder Rückschritt
Die OECD zeichnet ein nüchternes Bild der deutschen Wirtschaftslage: Die Kombination aus struktureller Reformverweigerung, politischer Zögerlichkeit und internationalem Druck droht, Deutschlands wirtschaftliche Stärke nachhaltig zu untergraben. Die Bundesrepublik steht an einem Scheideweg: Entweder gelingt die politische Neuausrichtung hin zu mehr Dynamik, Investitionsbereitschaft und Modernisierung – oder das Land verharrt in einer Spirale aus verpassten Chancen, wachsender Unzufriedenheit und sinkender Wettbewerbsfähigkeit.
Der Appell der OECD ist unmissverständlich: Deutschland muss handeln – und zwar strukturell, strategisch und entschlossen.
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