Arbeitszeiterfassung: Nur drei Viertel der Unternehmen setzen gesetzliche Vorgaben um
Drei Viertel der Unternehmen erfassen inzwischen die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten – ein deutlicher Anstieg seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Doch viele Betriebe sehen darin einen bürokratischen Mehraufwand und fordern eine Reform des Arbeitszeitrechts: weniger Kontrolle, mehr Flexibilität und praxisnahe Regeln für die digitale Arbeitswelt.
Rund 74 Prozent der deutschen Unternehmen mit mindestens 20 Beschäftigten erfassen derzeit die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeitenden. Das zeigt eine repräsentative Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. Damit reagieren viele Betriebe auf die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom September 2022, die Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Zum damaligen Zeitpunkt hatte lediglich knapp ein Drittel der Unternehmen entsprechende Systeme implementiert.
Digitale Systeme dominieren – aber analoge Methoden bleiben verbreitet
Die technische Umsetzung variiert deutlich: 31 Prozent der Unternehmen nutzen elektronische Zeiterfassungssysteme am Computer, 18 Prozent setzen auf Smartphone-Apps. Weitere 24 Prozent greifen auf stationäre Geräte mit Chip oder Transponder zurück, 19 Prozent arbeiten mit klassischen Stechuhren. Bemerkenswert: Trotz technischer Alternativen setzen 16 Prozent auf Excel-Tabellen und 13 Prozent sogar noch auf handschriftliche Stundenzettel.
Erfassung schützt Beschäftigte – rechtliche Risiken bei Verstößen
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung dient nicht nur der betrieblichen Organisation, sondern insbesondere dem Schutz der Beschäftigten. Sie soll gewährleisten, dass gesetzliche Höchstarbeitszeiten sowie Ruhe- und Pausenzeiten eingehalten werden und Überstunden transparent dokumentiert sind. Unternehmen, die ihrer Pflicht zur Erfassung nicht nachkommen, riskieren Konsequenzen: Bei Verstößen drohen Bußgelder, arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen und ein Reputationsverlust. Zudem können Mitarbeitende rückwirkend Ansprüche auf Vergütung von Überstunden geltend machen, wenn keine ordnungsgemäße Zeiterfassung erfolgt ist. Auch das Risiko für Gesundheitsschäden durch Überlastung steigt ohne Kontrolle der Arbeitszeiten.
Darüber hinaus ist die Arbeitszeiterfassung ein zentrales Element bei Lohnsteuer-Außenprüfungen und Prüfungen durch die Deutsche Rentenversicherung. Insbesondere bei der Beurteilung von Mehrarbeit, Minijobs oder sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen sind dokumentierte Arbeitszeiten ein wesentlicher Nachweis gegenüber den prüfenden Behörden. Fehlende oder unvollständige Zeiterfassungen können zu erheblichen Nachforderungen bei Steuern und Sozialabgaben führen – einschließlich möglicher Säumniszuschläge und Strafverfahren.
Viele Unternehmen planen Einführung – nur wenige warten ab
21 Prozent der befragten Unternehmen wollen im laufenden Jahr eine Arbeitszeiterfassung einführen. Nur 2 Prozent zeigen sich abwartend und setzen vorerst auf eine gesetzliche Präzisierung. Der Koalitionsvertrag sieht vor, die elektronische Erfassung möglichst unbürokratisch zu regeln und zugleich Flexibilität zu erhalten.
„Arbeitszeitrecht muss zur Lebensrealität passen“
Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst kritisiert das bestehende Arbeitszeitgesetz als nicht mehr zeitgemäß:
„Minutengenaue Erfassung ist in der Wissensarbeit praxisfern. Wer abends noch berufliche E-Mails liest, darf am nächsten Morgen nicht gegen das Gesetz verstoßen.“
Eine Reform müsse klarstellen, dass kurzfristige Tätigkeiten nach Feierabend die Ruhezeit nicht unterbrechen.
Vertrauensarbeitszeit in Gefahr – Sorgen um Kontrolle
Zwei Drittel der Unternehmen befürchten, dass durch die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung die Flexibilität von Vertrauensarbeitszeit verloren geht. 55 Prozent halten eine genaue Erfassung in der Wissensarbeit für kaum umsetzbar. 41 Prozent berichten, dass sich Mitarbeitende durch die Erfassung stärker kontrolliert fühlen.
Umsetzung fortgeschritten, Reformbedarf deutlich
Die Einführung von Zeiterfassungssystemen schreitet voran – doch die Stimmen nach Reformen im Arbeitszeitrecht werden lauter. Eine stärkere Orientierung an digitalen Arbeitsrealitäten, gepaart mit klaren, aber flexiblen gesetzlichen Vorgaben, scheint aus Sicht der Unternehmen dringend geboten.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Umlagesystem unter Druck: Studie warnt vor massiver Beitragslast für junge Generationen
Die demografische Entwicklung wird das umlagefinanzierte System der Sozialversicherungen in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten finanziell überfordern, zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP).
Vier Tage statt fünf? Beschäftigte unterstützen Reformpläne
Die Beschäftigten in Deutschland sprechen sich mehrheitlich für die Einführung einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit aus. Das ist das Ergebnis einer aktuellen, repräsentativen YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur.
Mehr Flexibilität, klare Grenzen: Das ändert sich bei der Arbeitszeitregelung
Die künftige Bundesregierung plant eine grundlegende Änderung im Arbeitszeitrecht: Künftig soll die bisherige Begrenzung der täglichen Arbeitszeit durch ein neues Arbeitszeitmodell ersetzt werden. Das sieht der aktuelle Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Kapitel „Arbeit und Soziales“ vor. Welche Bereiche davon unberührt bleiben – und welche praktischen Auswirkungen die Änderung haben könnte.
Starkes erstes Jahr: BarmeniaGothaer wächst 2024 in allen Segmenten über Markt
Im Jahr ihres Zusammenschlusses hat die BarmeniaGothaer deutliche Marktanteile gewonnen. Mit einem Beitragsplus von 7 % auf 8,59 Mrd. Euro wuchs der Konzern in allen Segmenten überdurchschnittlich. Besonders stark entwickelte sich das Kompositgeschäft – getragen vom Unternehmer- und Privatkundenbereich.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Abschlussabsicht und Kundentreue: Allianz und HUK ganz vorn
Mit gebündelter Marktpräsenz und hoher Kundenbindung behaupten sich die Allianz und die HUK-COBURG im aktuellen Versicherungsranking von research tools erneut an der Spitze. Laut der soeben veröffentlichten Studie „Unternehmensprofile Versicherungen 2025“ vereinen beide Anbieter gemeinsam mehr als 25 Prozent der 6.860 analysierten Produktabschlüsse auf sich.
Künstliche Intelligenz im Praxistest: Zwischen Investitionsboom und Sicherheitslücke
Künstliche Intelligenz wird in der Dienstleistungsbranche immer stärker eingesetzt – doch vielen Unternehmen fehlen Absicherungsstrategien, Know-how und ein klarer regulatorischer Kompass. Die Hiscox KI-Umfrage 2025 zeigt, wo Investitionen blühen – und wo Risiken unterschätzt werden.
Schadenökosysteme in der Assekuranz: Vom Trend zur Transformationsstrategie
Eine aktuelle Verisk-Studie zeigt: Die Versicherungsbranche in Deutschland erkennt zunehmend das Potenzial vernetzter Schadenökosysteme. Wie Versicherer und Dienstleister gemeinsam Effizienz, Innovation und Kundenzufriedenheit steigern wollen – und welche Hürden noch überwunden werden müssen.
Sportunfälle 2024: ERGO veröffentlicht neue Unfallstatistik pünktlich zur Frauen-EM
Fußball, Skisport, E-Bikes – wo Sport zur Gefahr wird: Die neue Unfallstatistik von ERGO zeigt, welche Sportarten 2024 besonders viele Verletzungen verursacht haben. Wer denkt, es trifft nur die Profis, liegt falsch. Besonders auffällig: Eine beliebte Sommersportart ist aus den Top Ten verschwunden.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.